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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — München: Bruckmann, 1878

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https://doi.org/10.11588/diglit.66814#0435
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Textile Kunst. Aegypten. Altes und neues Reich.

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merkwürdigen Holzbekleidungsarchitektur, ausgeführt in stucküberzogenem
Steine. Zugleich gemahnen beide an Aehnliches, was sich in Lykien und
selbst in dem alten Hetrurien findet. —
Ueber die Malerei und Skulptur auf diesen Gräbern, deren allge-
meinen nicht symbolisch-mystischen, sondern einfach darstellenden Stil
ich schon kurz bezeichnete, bemerke ich noch, dass in den frühen Zeiten,
aus welchen die ältesten Gräbergrotten stammen, das relief en creux
wohl schon gekannt war, aber nur zu bestimmten Zwecken gebraucht
wurde. Die meisten eigentlichen Bilder sind flach erhaben oder nur
gemalt. Auch finden sich bereits Statuen aus jener Zeit, die bewegter,
naturgetreuer sind und einen besseren künstlerischen Geist athmen, als
die des jüngeren Reichs. Im Allgemeinen sind die Verhältnisse gedrungen,
die Gesichter durchaus nicht typisch gehalten, sondern von fast geist-
voller Portraittreue, mit eingesetzten Augen aus Bergkrystall und Onyx,
die durch ihre Natürlichkeit und ihr Leben in Erstaunen setzen. Das
schönste Exemplar statuarischer Kunst aus dieser Zeit, ein sitzender
Hierogrammateus, gefunden unweit des sogenannten Serapeum oder der
Apisgräber bei Memphis, befindet sich mit andern trefflichen Skulpturen
des alten Reichs indem ägyptischen Museum des Louvre. Jene genannte
Figur aus, für Aegypten naturgetreu, nämlich ziemlich rothbraun poly-
chromirtem, Kalksteine, steht den äginetischen in plastischer Vollendung
der Formen wenig nach; in lebendigem Ausdrucke des Gesichts lässt sie
dieselben weit hinter sich zurück.
Die Stuckbekleidung der Mauern und aller aus Stein und Terra-
kotta ausgeführten Gegenstände und der davon unzertrennliche polychro-
matische Schmuck ist eine Sitte, die niemals in Aegypten ganz abgeschafft
aber im alten Reiche bis zu den Grenzen des neuen hinab in entschie-
denster Weise gehandhabt wurde. Beispiel der berühmte in Stuck aus-
geführte königliche Stammbaum Thotmes III. aus dem hinteren Anbau
dieses Königes zu Karnak. 1
In allen Gräbern bis tief in die Pharaonenzeit hinunter zeigt sich
in der Wanddekoration die Erinnerung an das Urmotiv, das ihr zu
Grunde liegt, nämlich an die Auskleidung der Wand mit gestickter Ta-
pete. Die einzelnen Bilder sind umrändert, mit Borten versehen, gleich-
sam an die Mauer angeheftet, nicht, wie später, mit dieser identificirt.
Der Tempellapidarstil, die Versteinerung des alten Motivs und die

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