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Viertes Hauptstück.
Metamorphose der bildnerischen Darstellung in Mauerschrift findet in den
Gräbergrotten nur langsamen Eingang, und, wie es scheint, beschränkte
sich dieser Einfluss des herrschend gewordenen theokratischen Hieroglyphen-
stils selbst in später Zeit auf die Gräber der Könige und der Mitglieder
des königlichen Hauses, deren Darstellungen sich ungefähr seit Rhamses V.
(XV. Jahrh. v. Chr.) nur auf Todtenkult, auf Todtengericht und auf das
Leben nach dem Tode beziehen, wogegen die Privaten und selbst hohe
Beamte fortfuhren, ihre irdischen Schätze, Freuden und Verhältnisse auf
den Wänden ihrer Gräber nach alter Sitte darstellen zu lassen. Doch
konnte sich die Art der Darstellung dem Einflüsse des herrschenden
Kunststiles nicht mehr entwinden. — Ferner ist in jenen Gräbern alten
Stils die Decke nicht mit Figuren und symbolischen Bildern bedeckt,
sondern mit Motiven rein dekorativer Art, und zwar solchen, die ihren
Ursprung aus der Weberei und Stickerei deutlich kundgeben. Dieselben
ornamentalen Motive bilden auch die Einfassungen der Wandbilder, von
denen oben die Rede war. Die Hieroglyphik konnte sich hier des Orna-
ments so wenig wie der darstellenden Kunst bemeistern, sondern jenes
behielt seinen primitiven einfach-struktiven Sinn als Muster, als Naht,
Saum oder dergl. Diese Wand Verzierungen alten Stils sind in Kom-
position und Farbe untadelhaft und man könnte sie für die Vorbilder der
griechischen halten, wären sie nicht das natürliche Gemeingut aller Völker,
worauf gleichsam die Natur selbst diese verwies und hinführte.1 (Siehe
Farbendrucktafel XI.)
An ihre Stelle setzt der hieratische Pharaonenstil das symbolische
Ornament, das gleichsam aus einer Reihung von Hieroglyphen besteht,
und dem nur selten zugleich Struktur-symbolischer Sinn innewohnt, gleich-
sam wie zufällig oder instinktiv. Zu diesen symbolischen Ornamenten
gehören die Hathormasken, die Uräusschlangenreihen über der Platte der
Hohlkehlbekrönung, die Namenschilder der Könige mit dem heiligen
Symbol der Schlange rechts und links, die Skarabäen und dergl. Nm-
wenige ornamentale Symbole der ursprünglichen Art behält der hieratische
Hieroglyphenstil bei und selten ungeändert; z. B. das Federornament der
Hohlkehle, das aber durch Namenschilder, geflügelte Weltkugeln, geköpfte
1 Das verdienstvolle Werk Wilkinsons enthält eine Auswahl solcher Muster
(Vol. II, pag. 124), von denen ich einige auf Farbendrucktafel XI. gab, mit Beifügung
einer skandinavischen Stickerei, die aus dem frühen Mittelalter stammt, deren ähn-
liche aber noch jetzt als Geschicklichkeitsprobe und Vorbild für spätere Anwendung
beim Zeichnen der Wäsche von den Bäuerinnen Holsteins gestickt werden.
Viertes Hauptstück.
Metamorphose der bildnerischen Darstellung in Mauerschrift findet in den
Gräbergrotten nur langsamen Eingang, und, wie es scheint, beschränkte
sich dieser Einfluss des herrschend gewordenen theokratischen Hieroglyphen-
stils selbst in später Zeit auf die Gräber der Könige und der Mitglieder
des königlichen Hauses, deren Darstellungen sich ungefähr seit Rhamses V.
(XV. Jahrh. v. Chr.) nur auf Todtenkult, auf Todtengericht und auf das
Leben nach dem Tode beziehen, wogegen die Privaten und selbst hohe
Beamte fortfuhren, ihre irdischen Schätze, Freuden und Verhältnisse auf
den Wänden ihrer Gräber nach alter Sitte darstellen zu lassen. Doch
konnte sich die Art der Darstellung dem Einflüsse des herrschenden
Kunststiles nicht mehr entwinden. — Ferner ist in jenen Gräbern alten
Stils die Decke nicht mit Figuren und symbolischen Bildern bedeckt,
sondern mit Motiven rein dekorativer Art, und zwar solchen, die ihren
Ursprung aus der Weberei und Stickerei deutlich kundgeben. Dieselben
ornamentalen Motive bilden auch die Einfassungen der Wandbilder, von
denen oben die Rede war. Die Hieroglyphik konnte sich hier des Orna-
ments so wenig wie der darstellenden Kunst bemeistern, sondern jenes
behielt seinen primitiven einfach-struktiven Sinn als Muster, als Naht,
Saum oder dergl. Diese Wand Verzierungen alten Stils sind in Kom-
position und Farbe untadelhaft und man könnte sie für die Vorbilder der
griechischen halten, wären sie nicht das natürliche Gemeingut aller Völker,
worauf gleichsam die Natur selbst diese verwies und hinführte.1 (Siehe
Farbendrucktafel XI.)
An ihre Stelle setzt der hieratische Pharaonenstil das symbolische
Ornament, das gleichsam aus einer Reihung von Hieroglyphen besteht,
und dem nur selten zugleich Struktur-symbolischer Sinn innewohnt, gleich-
sam wie zufällig oder instinktiv. Zu diesen symbolischen Ornamenten
gehören die Hathormasken, die Uräusschlangenreihen über der Platte der
Hohlkehlbekrönung, die Namenschilder der Könige mit dem heiligen
Symbol der Schlange rechts und links, die Skarabäen und dergl. Nm-
wenige ornamentale Symbole der ursprünglichen Art behält der hieratische
Hieroglyphenstil bei und selten ungeändert; z. B. das Federornament der
Hohlkehle, das aber durch Namenschilder, geflügelte Weltkugeln, geköpfte
1 Das verdienstvolle Werk Wilkinsons enthält eine Auswahl solcher Muster
(Vol. II, pag. 124), von denen ich einige auf Farbendrucktafel XI. gab, mit Beifügung
einer skandinavischen Stickerei, die aus dem frühen Mittelalter stammt, deren ähn-
liche aber noch jetzt als Geschicklichkeitsprobe und Vorbild für spätere Anwendung
beim Zeichnen der Wäsche von den Bäuerinnen Holsteins gestickt werden.