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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 1): Die textile Kunst für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — München: Bruckmann, 1878

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https://doi.org/10.11588/diglit.66814#0440
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Viertes Hauptstück.

männlich schlanken Verhältnissen, trägt einen Abakus, entweder unmittelbar
(Beni Hassan) 1 oder durch die Vermittlung eines Wulstes, der durch
mehrere Ringe oder Riemen mit dem Schafte verbunden ist. Vielleicht
suchte derselbe Priestergedanke, welcher später die Kelchsäule erdachte,
vorher in diesen nackt konstruktiven Formen einen äquivalenten, wenn
auch antiphonischen Ausdruck; der Gedanke nämlich durch scheinbar
ursprünglichste Motive der Baukunst den Glauben an die Autochthonie
des Regime, welchem die Monumente angehören, im Volke zu befestigen;
man wollte die Säule als den einfach abgefaseten (an den Ecken abge-
stumpften) quadratischen Wandpfeiler charakterisiren. Vielleicht aber
auch ist sie eine auf natürlichem Wege bereits verarmte Form und datirt
sie wirklich aus derselben Kunstperiode, welcher die steinbekleideten Erd-


monumente und die in Quadern
ausgeführten Lattenfa^aden der
Memphisgräber angehören. Der
echinuslose, einfach abgefasete
Schaft mit dem Abakus wäre
dann in stilhistorischer Beziehung
jüngeren Ursprungs als die
gleiche Säule mit dem Echinus-
kapitäl und träte durch diese
Vermittlung mit der asiatischen
tubulären Metallsäule in einen,
wenn auch entfernten, Grad der
Stilverwandtschaft. Wir sind

beinahe genöthigt, hier eine solche absichtslose Formenverarmung anzu-
nehmen, in Betracht des Kontrastes, in welchem die Nacktheit dieser
Stützen zu dem relativen Reichthum des dreifach gegliederten Gebälkes
steht, welches sie tragen. Allerdings erscheint an einigen der proto-
dorischen Gräber das Gebälk noch sehr primitiv, wie an den Gizeh-
gräbern, als Balkendeckenvorsprung; andere Darstellungen solcher Gräber
deuten dagegen auf einen Architrav, mit Platte, Tropfenbehang und dar-
über befindlichem Friese, hin; die Bekrönung scheint zu fehlen und war
vielleicht schon in Form der späteren Hohlkehle.
Aehnliche Ursachen konnten auch auf anderer Stelle ganz ähnliche
Wirkungen hervorbringen; ein dem pharaonischen in gewissen Grund-

1 Sie sind keineswegs selten; siehe Falkener: On some Egyptian-Doric columns
in dem Museum of classical antiquities Nr. 1, January 1851.
 
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