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Semper, Hans
Das Fortleben der Antike in der Kunst des Abendlandes — Führer zur Kunst, Band 3: Esslingen: Paul Neff Verlag (Max Schreiber), 1906

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https://doi.org/10.11588/diglit.67330#0092
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Das Fortleben der Antike

Auch in Deutschlands Skulptur versiegt im elften und
zwölften Jahrhundert der Born der antiken Ueberlieferung
nicht ganz und zeitigt trotz mancher Rückfälle einen neuen
Aufschwung, der in der zweiten Hälfte des zwölften Jahr-
hunderts einsetzt, um im dreizehnten Jahrhundert seine reifsten
Früchte zu tragen, welche sich mit den französischen Werken
an Schönheit und Eigenart messen können, wenn sie auch
zum Teil davon beeinflußt worden sein mögen.
Wesentlich trägt die fortdauernde Blüte der Goldschmied-
und Metallgußkunst am Rhein und in Niedersachsen zur
Wiederbelebung edlerer Formen auf antiker Grundlage, wenn
auch zum Teil durch byzantinische Vermittlung, bei. In der
niederfränkischen Goldschmiedkunst am Rhein und in Belgien
sind es besonders die zahlreichen Reliquiensärge, welche durch
die Ausschmückung ihrer Seitenwände mit getriebenen Figuren,
der Apostel, Christi, der Madonna sowie der Heiligen, denen sie
gewidmet waren, Anlaß zu einer Entwicklung figuraler Klein-
plastik boten, welche schließlich Bedeutendes in entschieden
antikisierendem Stil schuf. Als reife Früchte dieser Entwicklung
sind die sitzenden Apostel und Königsfiguren vom Heiligen-
dreikönigschrein im Kölner Dom (1167—91) sowie die geradezu
klassischen Figuren am Schrein des heiligen Eleutherius in der
Kathedrale von Tournai zu bezeichnen. Dasselbe gilt auch von
dem noch im Jahre 1112 gegossenen messingenen Taufbecken
im Dom von Lüttich, auf welchem in schön ausgearbeitetem,
zum Teil frei abstehenden Hochrelief die Taufe Christi und
andre Szenen in vornehm und edel bewegten Figuren, in
klassischem, schön fließenden Gewandwurf dargestellt sind
(Abb. 20). Diesem Taufbecken stehen an trefflichem Stil wenig
nach diejenigen in Osnabrück und im Dom von Hildesheim.
Ein beliebtes Material der niedersächsischen Plastik im
zwölften Jahrhundert war der schon im Altertum und auch
schon im frühen Mittelalter verwendete Stuck mit farbiger
Bemalung, dessen leichte Bearbeitung zu einer freieren Formen-
bildung geradezu einladen mußte.
 
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