*
J. Hüther
KARL VALENTIN
ERSTER UND LETZTER KRIEG
Seit es Menschen gibt, gibt es Kriege, sagte irgend
einmal einst wer. Dann müssen also Adam und
Eva im Paradies mitsammen Krieg geführt haben,
denn das waren die ersten Menschen. Wahrschein-
lich hat es außer der blöden „Apfelbeißerei" bei
diesen beiden sowieso nicht ganz gestimmt. Und die
zwei haben es doch so schön gehabt im Paradies.
Das reinste Paradies, dieses Paradies! Warum haben
die beiden nicht im Frieden gelebt? Weil sie nicht
zufrieden waren--. Der Adam hat g'sagt: „Das
Paradies gehört mir--" und die Eva hat g'sagt:
„Mir ghört's!" Jeder von den zweien wollte regie-
ren. Schon war der Friede gestört. — Also: Krieg!
— Ob einer gegen einen, oder Millionen gegen Mil-
lionen — Krieg ist Krieg. Also: Adam und Eva, die
Erfinder des Krieges.---Warum haben die
beiden nicht den ewigen Frieden erfunden? Viel-
leicht war den beiden der Friede zu langweilig —
also: Krieg! Das war natürlich nur ein winziger
Krieg gegen die später kommenden. Die zwei haben
sich damals wahrscheinlich nur mit Kokosnüssen
beworfen, denn Ferngeschütze gab es damals noch
nicht, hätten auch keinen Sinn gehabt, weil beide
immer zu nah aneinander gestanden sind, denn man
weiß heute noch nicht einmal, wieviel Tagwerk das
Paradies groß war. Nun haben aber bekanntlich
Adam und Eva zwei Kinder bekommen, den Max
und den Moritz — Verzeihung! — ich wollte sagen,
den Kain und den Abel. Daß sich diese beiden ge-
genseitig nicht riechen konnten, geht schon daraus
hervor, daß der Kain den Abel erschlagen hat. —
Und warum hat er ihn erschlagen ? Sehr einfach:
er hätte ihn vielleicht erschossen, wenn es damals
schon ein Gewehr gegeben hätte, es hat aber keines
gegeben, und hätte es eines gegeben, hätte er nicht
schießen können, weil es noch keine Munition gab,
denn das Pulver wurde erst viele tausend Jahre
später durch Berchtold Schwarz erfunden. — So-
lange hätte natürlich der Herr Kain mit seinem un-
geladenen Gewehr niemals warten können, weil der
Abel inzwischen an Altersschwäche sowieso gestor-
ben wäre. Warum hat eigentlich der Kain den Abel
erschlagen?--Sein Vater also, der Adam, hat
zu seinen zwei Söhnen gesagt: „So, Abel, du über-
nimmst jetzt im Paradies die Landwirtschaft, die
Ökonomie, tust fleißig ackern, säen und mähen,
und du Kain, übernimmst das kaufmännische Fach,
lernst nebenbei Stenographie und Schreibmaschine
und vertreibst dann die Landesfrüchte, damit Geld
ins Haus kommt!" — Der Kain war aber von Haus
aus etwas müde — erblich belastet vom Vater —
kein Freund der Arbeit und haßte seinen Bruder
Abel deshalb, weil dieser die Arbeit liebte. Abel
war brav und Kain war böse. — Schon sind beide
Brüder auf Kriegsfuß gestanden, — es folgte eine
kleine Schlacht im Nahkampf. Beide hatten noch
keine militärische Ausbildung genossen, und mit
einem gewöhnlichen Prügel aus prima Eichenholz
hat Kain seinen Bruder Abel getötet. — Kain hatte
gesiegt. — Um dem Kriegsgericht nicht in die
Hände zu fallen, verließ Kain meuchlings das Pa-
radies, zog in die weite Welt hinaus, und mit der
Herrlichkeit war's — aus, denn er heiratete dann.
— Er bekam Kinder, die Kinder heirateten später
auch, bekamen auch Kinder — diese Auchkinderv
bekamen auch wieder Kinder, und so ging die Kin-
derei weiter bis zum heutigen Tage. Die männlichen
Kinder, und zwar alle, die das zwanzigste Lebens-
jahr erreicht hatten, mußten bis 1938 zum Militär
und wurden Kämpfer des letzten Weltkrieges bis
1945. — Der erste Krieg war also vor 7000 Jahren
und der letzte 1945 (hoffentlich!). Kain war also
der erste Kriegsverbrecher auf Erden, und hätte es
damals schon ein Nürnberg gegeben, müßte er heute
genau so zur Verantwortung herangezogen werden,
wie seine Nachfolger des letzten Krieges.
BRIEF NACH AMERIKA
Sehr geehrter Mr. Myer!
Sie werden sich sicherlich meiner nicht mehr er-
innern, denn immerhin datiert unsere Bekannt-
schaft (oder war es eine Freundschaft?) gute 13
Jahre zurück. Ich habe es oft gesagt, wie schade es
war, daß Sie seinerzeit aus Deutschland gingen,
aber es war wohl gut, denn Hitler hätte )a alle
Juden, also auch Sie, vernichtet. Aber glauben Sie
mir, ich denke oft an die unvergefilichen Stunden,
die wir gemeinsam beim Warten auf die Straßen-
bahn erlebt haben. Und meine Trau — Sie kennen
sie leider nicht — sagt oft: „Was nur der nette
Herr Myer, von dem du so oft sprichst, in Amerika
macht..." Ja, ja, es ist etwas um so alte Freund-
schaften! Wenn wir so lange nicht geschrieben
haben, so werden Sie das verstehen, denn wir
wären )a alle ins KZ gekommen. Es war eine böse
Zeit, geehrter Herr Myer, aber trotzdem haben wir
in unverbrüchlicher Treue an unsere Freunde im
Ausland gedacht und gehofft, daß sie uns befreien
würden. Heute ist es soweit. Und nun, nachdem
der Postverkehr offen ist, war es mir ein Herzens-
bedürfnis als erstem gerade Ihnen zu schreiben, der
mir so nahe steht. Nicht wahr, lieber Herr Myer,
gerade wir Münchner, ob schwergeprüft in der Hei-
mat oder im Ausland, müssen zusammenhalten und
schauen, daß wir nicht untergehen. Vor allen Din-
gen macht uns die Verpflegungslage schwere Sor-
gen. Mit dem Essen ist es sehr knapp und meine
Frau ist ganz krank, weil es keinen Bohnenkaffee
gibt. Auch mit der Raucherei ist es sehr schlecht be-
stellt und meine Kinder wissen gar nicht mehr, was
sie in die Schule anziehen sollen. Glauben Sie nicht,
lieber, bester Myer, daß wir Sie um Hilfe anbetteln
wollen, getreu dem christlichen Wort „Liebe deinen
Nächsten wie dich selbst". Auch in unserer Armut
haben wir noch unseren Stolz. Der Zweck dieses
Briefes, lieber, lieber Myer, ist nur der, die alten
Bekanntschaften wieder anzuknüpfen. Ach, was
sage ich, Bekanntschaften, Freundschaften,
bester Myer! Und wenn man so vertraut beisam-
men war, kann man auch ruhig das herzlichere
„Du" anwenden. Sei versichert, wenn es Dir jemals
in Amerika schlecht gehen sollte, so wirst Du bei
mir immer ein offenes Haus finden und das Wenige,
was wir haben, soll gern mit Dir geteilt werden.
Schreib mir bald und bleib herzlich gegrüßt von
Deinem spitz and wife.
PS: Noch eine kleine Bitte, lieber Freund: wäre es
Dir nicht möglich, uns, gegen Bezahlung natürlich,
eines der für uns bestimmten 2j-Pfund-Pakete zu
besorgen? Oder sollen wir Dir das Geld lieber auf-
heben, bis Du nach München kommst? Also, schicke
es recht bald, es dürfen auch zwei sein.
DAS NEUE REINIGUNGSMITTEL
104
J. Hüther
KARL VALENTIN
ERSTER UND LETZTER KRIEG
Seit es Menschen gibt, gibt es Kriege, sagte irgend
einmal einst wer. Dann müssen also Adam und
Eva im Paradies mitsammen Krieg geführt haben,
denn das waren die ersten Menschen. Wahrschein-
lich hat es außer der blöden „Apfelbeißerei" bei
diesen beiden sowieso nicht ganz gestimmt. Und die
zwei haben es doch so schön gehabt im Paradies.
Das reinste Paradies, dieses Paradies! Warum haben
die beiden nicht im Frieden gelebt? Weil sie nicht
zufrieden waren--. Der Adam hat g'sagt: „Das
Paradies gehört mir--" und die Eva hat g'sagt:
„Mir ghört's!" Jeder von den zweien wollte regie-
ren. Schon war der Friede gestört. — Also: Krieg!
— Ob einer gegen einen, oder Millionen gegen Mil-
lionen — Krieg ist Krieg. Also: Adam und Eva, die
Erfinder des Krieges.---Warum haben die
beiden nicht den ewigen Frieden erfunden? Viel-
leicht war den beiden der Friede zu langweilig —
also: Krieg! Das war natürlich nur ein winziger
Krieg gegen die später kommenden. Die zwei haben
sich damals wahrscheinlich nur mit Kokosnüssen
beworfen, denn Ferngeschütze gab es damals noch
nicht, hätten auch keinen Sinn gehabt, weil beide
immer zu nah aneinander gestanden sind, denn man
weiß heute noch nicht einmal, wieviel Tagwerk das
Paradies groß war. Nun haben aber bekanntlich
Adam und Eva zwei Kinder bekommen, den Max
und den Moritz — Verzeihung! — ich wollte sagen,
den Kain und den Abel. Daß sich diese beiden ge-
genseitig nicht riechen konnten, geht schon daraus
hervor, daß der Kain den Abel erschlagen hat. —
Und warum hat er ihn erschlagen ? Sehr einfach:
er hätte ihn vielleicht erschossen, wenn es damals
schon ein Gewehr gegeben hätte, es hat aber keines
gegeben, und hätte es eines gegeben, hätte er nicht
schießen können, weil es noch keine Munition gab,
denn das Pulver wurde erst viele tausend Jahre
später durch Berchtold Schwarz erfunden. — So-
lange hätte natürlich der Herr Kain mit seinem un-
geladenen Gewehr niemals warten können, weil der
Abel inzwischen an Altersschwäche sowieso gestor-
ben wäre. Warum hat eigentlich der Kain den Abel
erschlagen?--Sein Vater also, der Adam, hat
zu seinen zwei Söhnen gesagt: „So, Abel, du über-
nimmst jetzt im Paradies die Landwirtschaft, die
Ökonomie, tust fleißig ackern, säen und mähen,
und du Kain, übernimmst das kaufmännische Fach,
lernst nebenbei Stenographie und Schreibmaschine
und vertreibst dann die Landesfrüchte, damit Geld
ins Haus kommt!" — Der Kain war aber von Haus
aus etwas müde — erblich belastet vom Vater —
kein Freund der Arbeit und haßte seinen Bruder
Abel deshalb, weil dieser die Arbeit liebte. Abel
war brav und Kain war böse. — Schon sind beide
Brüder auf Kriegsfuß gestanden, — es folgte eine
kleine Schlacht im Nahkampf. Beide hatten noch
keine militärische Ausbildung genossen, und mit
einem gewöhnlichen Prügel aus prima Eichenholz
hat Kain seinen Bruder Abel getötet. — Kain hatte
gesiegt. — Um dem Kriegsgericht nicht in die
Hände zu fallen, verließ Kain meuchlings das Pa-
radies, zog in die weite Welt hinaus, und mit der
Herrlichkeit war's — aus, denn er heiratete dann.
— Er bekam Kinder, die Kinder heirateten später
auch, bekamen auch Kinder — diese Auchkinderv
bekamen auch wieder Kinder, und so ging die Kin-
derei weiter bis zum heutigen Tage. Die männlichen
Kinder, und zwar alle, die das zwanzigste Lebens-
jahr erreicht hatten, mußten bis 1938 zum Militär
und wurden Kämpfer des letzten Weltkrieges bis
1945. — Der erste Krieg war also vor 7000 Jahren
und der letzte 1945 (hoffentlich!). Kain war also
der erste Kriegsverbrecher auf Erden, und hätte es
damals schon ein Nürnberg gegeben, müßte er heute
genau so zur Verantwortung herangezogen werden,
wie seine Nachfolger des letzten Krieges.
BRIEF NACH AMERIKA
Sehr geehrter Mr. Myer!
Sie werden sich sicherlich meiner nicht mehr er-
innern, denn immerhin datiert unsere Bekannt-
schaft (oder war es eine Freundschaft?) gute 13
Jahre zurück. Ich habe es oft gesagt, wie schade es
war, daß Sie seinerzeit aus Deutschland gingen,
aber es war wohl gut, denn Hitler hätte )a alle
Juden, also auch Sie, vernichtet. Aber glauben Sie
mir, ich denke oft an die unvergefilichen Stunden,
die wir gemeinsam beim Warten auf die Straßen-
bahn erlebt haben. Und meine Trau — Sie kennen
sie leider nicht — sagt oft: „Was nur der nette
Herr Myer, von dem du so oft sprichst, in Amerika
macht..." Ja, ja, es ist etwas um so alte Freund-
schaften! Wenn wir so lange nicht geschrieben
haben, so werden Sie das verstehen, denn wir
wären )a alle ins KZ gekommen. Es war eine böse
Zeit, geehrter Herr Myer, aber trotzdem haben wir
in unverbrüchlicher Treue an unsere Freunde im
Ausland gedacht und gehofft, daß sie uns befreien
würden. Heute ist es soweit. Und nun, nachdem
der Postverkehr offen ist, war es mir ein Herzens-
bedürfnis als erstem gerade Ihnen zu schreiben, der
mir so nahe steht. Nicht wahr, lieber Herr Myer,
gerade wir Münchner, ob schwergeprüft in der Hei-
mat oder im Ausland, müssen zusammenhalten und
schauen, daß wir nicht untergehen. Vor allen Din-
gen macht uns die Verpflegungslage schwere Sor-
gen. Mit dem Essen ist es sehr knapp und meine
Frau ist ganz krank, weil es keinen Bohnenkaffee
gibt. Auch mit der Raucherei ist es sehr schlecht be-
stellt und meine Kinder wissen gar nicht mehr, was
sie in die Schule anziehen sollen. Glauben Sie nicht,
lieber, bester Myer, daß wir Sie um Hilfe anbetteln
wollen, getreu dem christlichen Wort „Liebe deinen
Nächsten wie dich selbst". Auch in unserer Armut
haben wir noch unseren Stolz. Der Zweck dieses
Briefes, lieber, lieber Myer, ist nur der, die alten
Bekanntschaften wieder anzuknüpfen. Ach, was
sage ich, Bekanntschaften, Freundschaften,
bester Myer! Und wenn man so vertraut beisam-
men war, kann man auch ruhig das herzlichere
„Du" anwenden. Sei versichert, wenn es Dir jemals
in Amerika schlecht gehen sollte, so wirst Du bei
mir immer ein offenes Haus finden und das Wenige,
was wir haben, soll gern mit Dir geteilt werden.
Schreib mir bald und bleib herzlich gegrüßt von
Deinem spitz and wife.
PS: Noch eine kleine Bitte, lieber Freund: wäre es
Dir nicht möglich, uns, gegen Bezahlung natürlich,
eines der für uns bestimmten 2j-Pfund-Pakete zu
besorgen? Oder sollen wir Dir das Geld lieber auf-
heben, bis Du nach München kommst? Also, schicke
es recht bald, es dürfen auch zwei sein.
DAS NEUE REINIGUNGSMITTEL
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Das neue Reinigungsmittel"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
Porträt von Karl Valentin
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 1.1946, Nr. 9, S. 104.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg