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Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik: Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik — 1.1946

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https://doi.org/10.11588/diglit.7376#0105
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ZEITKRANKHEIT

E. Staudinger

„Heute gehörte doch jeder Mensch in eine Nervenheilanstalt!" — „Nein, aber in einen Bäckerladen!"

PFER SEINES WAHNES

Als es hieß, daß Alois Weinzierl in eine Irrenanstalt
überführt worden sei, konnte selbst sein nächster Freun-
deskreis dieser betrüblichen Nachricht keinen rechten
Glauben schenken. Denn nie hatte man Absonderlich-
keiten an dem rüstigen Manne bemerkt, und für die un-
verminderte Schärfe seines Geistes mußte schon allein
die Tatsache sprechen, daß er beim abendlichen Tarock
Solo über Solo gewann. Leider jedoch bestätigte sich das
Gerücht als Wahrheit: Weinzierl war als Geisteskranker
in eine Irrenanstalt verbracht worden. Die lange, in
medizinisch-wissenschaftlichen Fachausdrücken gehal-
tene Krankengeschichte könnte dem Laien kaum zur
Aufklärung dienen. Es sei deshalb der Versuch unter-
nommen, in allgemein verständlicher Weise über den
Fall zu berichten:

Eines Sommerabends saß Weinzierl, das Urbild eines
Münchener Hausbesitzers, vor dem „Monopteros", je-
nem Hügeltempelchcn, das den Englischen Garten über-
höht. Bis zum abendlichen Tarock fehlte noch ein halbes
Stündchen, und so hatte er beschlossen, die nutzlose Zeit
dem Naturgenuß zu widmen. Nicht lange freilich gab
sich Weinzierl dieser ungewohnten Beschäftigung hin,
denn in seinem Kopfe kreisten alsbald die Zahlen der
fälligen Steuererklärung. Diese Gedanken im Verein
mit hohem Blutdruck waren allerdings nicht dazu an-
getan, ein Gemüt zu erheitern, das zur Cholerik neigte.
Unterdessen hatte sich ein hagerer Herr neben Wein-
zierl niedergelassen und eine Zeitung entfaltet. VIER-
TELJAHRLICHE STEUERERKLÄRURG las man da
in fettern Lettern. Weinzierls Halsschlagadern schwol-
len ani sein roter Schnurrbart sträubte sich. „Himmi-
herrgottsakrament!" begann er zu fluchen, „wos'd hi'
schaugst, nix wia Steuern, Steuern! Werd no' so weit
kemma, daß d' n Haferitarock um an' halben Pfenning
spui'n muaßt. Is ja koa Leb'n nimma!" „Hm — hm"
machte der Herr und ließ sich in seiner Lektüre nicht
beirren. Doch Weinzierl fühlte das Bedürfnis, sich rück-
haltslos auszusprechen, und so fuhr er denn fort: „Jetzt
muaß i' scho' dumm frag'n, wia is dös eigatlich? Auf
der oana Seiten • schlagt's Bier auf, auf der ander'n

ziahgt die Steuerschraube o, daß d' nimma schnaufa
kannst. Und für was stich' i mein' Diridari aus der
Tasch'n 'raus und lcg'n seilen Bluatsaugern vom Fi-
nanzamt auf'n Tisdt hi'? Kenna Sie mir des erklär'n?"
„Doch, das kann ich", antwortete der Herr, „denn ich
bin Beamter des Finanzamtes und kläre Sie als solcher
gerne über das Wesen der Steuer auf. Sie entrichten
einen relativ geringen Bruchteil Ihres Vermögens oder
Einkommens an den Staat, der Ihnen seinerseits die
Wohlfahrt eines gesetzlich geordneten bürgerlidien Da-
seins garantiert. Zögen Sie diese Leistungen von Ihrem
täglichen Leben ab, so sänke es auf den Stand eines
Höhlenbewohneis zurück." „Was der Staat für mi'
Leist'! W a Dreck!" berichtigte Weinzierl schroff die Be-
lehrung, beschloß aber in seinem Inneren, die Steuer-
abgabe in der angedeuteten Riditung einer Untersu-
chung zu unterziehen. —

Von diesem Tag an rechnete Weinzierl allabendlich
nadi, welchen Betrag der Staat während des verflossenen
Tages schätzungsweise für ihn verausgabt haben könne.
Zumeist buchte er zehn oder fünfzehn Pfennige. Eine
behördliche Verfügung, die ihn betiaf, glaubte er mit
sieben Pfennigen pro Sdireibmasdiinenzeile sehr hoch
gewertet zu haben. Der Jahresabschluß ergab ein über-
rasdiendes Resultat, denn Weinzierl hatte nicht verges-
sen, auch Fehlleistungen des Staates gewissenhaft zu
buchen. Hierdurdi schien es sich schließlidi zu erweisen,
daß nicht et dem Staat Steuern schuldete, sondern viel-
mehr dieser an ihn eine Zahlung von 2467,31 Mark zu
leisten hatte. Mahnschreiben, die.Weinzierl an das Fi-
nanzamt richtete, und in denen er sich sogar bereit er-
klärte, auf eine ratenweise Abzahlung der Schuld ein-
gehen zu wollen, blieben erfolglos. Sein Groll wuchs
und tobte sich in wüsten Beamtenbeleidigungen aus.
Wegen eines solchen Vergehens vor Gericht gestellt, ver-
lor er den Rest der Besinnung. Bereits im Dämmerzu-
stand bald eintretender geistiger Umnachtung schrie er
dem amtierenden Richter die Worte zu: „Wia ham ma's
denn? Bai i Ehna n-* mit meiner Steuer 's Leb'n erhal-
ten tat', war'n ja Sie scho' längst hinter Eahnerm
Schreibtisch verhungert! Sie sanvon mir mit zwoaMark
siebz'ge pro Tag ang'stellt, daß Sie's wissen!" — In sei-
ner Arrestzelle erlitt Weinzierl einen Tobsuchcsanfall.

Als er sich von ihm erholt hatte, eibat er Papier und
Bleistift, um die kostenlose Unterkunft in der Zelle
gewissenhaft als Leistung des Staates zu buchen. Als
ihm der Wunsch versagt wurde, verfiel er in Irrsinn.
Damit aber schloß er sich für alle Zeit von jener bürger-
lichen Gemeinschaft aus, die freudigen Herzens ihren
sorgfältig errechneten Steuerbetrag auf den Kassentisdi
des Finanzamtes legt. A. Wisbeck

Deutsche Zeitwortformen

„stehen" .
Wir standen für Deutschland . . .

Wir standen unentwegt fünf Jahre für Deutschland auf
dem Posten,

Jetzt stehn wir Schlange nach Kartoff ein, Zeitung, Fisch.
Still steht uns der Verstand: Was heut' die Dinge kosten!
Und dabei stehn wir täglich hungrig auf vom Tisch.

„gehören"
. . . denn heute gehört uns Deutschland

Wir sind marschiert nicht nur, v ir sind schon gleich
gerannt,

Damit 'in Scherben alles rasch und gründlich fällt.
Und der Erfolg blieb auch nicht aus. denn unser Land,
Das bisher uns gehört', gehört der ganzen Weh.

„fahren"
. . . denn wir fahren . . .

Wir sind mit stolz geschwellter Brust gen Engelland ge-
fahren.

Heut fahr'n wir kläglich auf dem Trittbrett mit der
Tram.

Wir werden nächstens mit der bloßen Hand worüber
fihren,

Weil wir (verdammt nochmal!) kein Ciopapier mehr
hamm. W. H.

10 J
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Zeitkrankheit"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Staudinger, Eduard
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

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Künstler/Urheber (GND)
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Digitales Bild
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Der Simpl, 1.1946, Nr. 9, S. 105.

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