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Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik: Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik — 1.1946

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https://doi.org/10.11588/diglit.7376#0153
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BAYERISCHE VEREASSUNG

Wir befinden uns hier im Saale der Gerichtsbarkeit. Die
große Gipsfigur in der Mitte des Raumes stellt „Justitia"

dar. Die Waage hängt allerdings noch etwas schief,
vermutlich deshalb, weil die Entnazifizierung noch nicht
beendet ist. Sie brauchen daran aber weiter keinen
Anstoß zu nehmen, denn es' war bereits ein hochdeutsch
sprechender Herr von der inzwischen wieder aufgelösten
Vorprüfungskammer IIa hier, der versprach, daß sie wie-
der geradegebogen würde.

In Erinnerung an die politische Unabhängigkeit unserer
Richter finden Sie unter dem Oelbild, das den Reichs-
tagsbrand darstellt, den Artikel 85:

(I) Die Staatstegieiung kann bei drohender Ge
fähidung der öffentlichen Sicherheit und Otdnuni
das Recht der öffentlichen freien Meinungsäuße-
rung (Art. 110), die Pressefreiheit (Art. 111),
das Brief-, Post-, Telegraphen- und Fernsprech-
geheimnis (Art. 112) und die Versammlungsfrei-
heit (Art. 113) vorübergehend einschränken oder •
aufheben.

Es bedurfte eines ernstlichen Einspruches der Amerikaner,
um folgende Einschränkung zu erreichen:

Der dehnbare Begriff „vorübergehend" wuHe
durch die exakte Formulierung ,.zunächst auf die
Dauer einer Woche" ersetzt. Gleichzeitig erhielt
Absatz 2 den wesentlichen Zusatz:

Die Richter sind nur dem Gesetz unterworfen.

Und unter der Marmortafel zum Gedächtnis der 0;->[er
des Volksgerichtshofes sehen Sie den Art. 86 (2):

Gerichte für besondere Sachgebiete sind nur kraft
gesetzlicher Bestimmung zulässig.

Denn so wurden die ,.Sondergerichte" mit Rücksicht auf
die Opfer getauft.

Und nun kommen wir in die Ehrenhalle der ,,Freiheit
des bayrischen Staatsbürgers". Die Ausstellungsleitung
ist glücklich, Ihnen die wesentlichen Grundrechte des
Staatsbürgerg gebrauchsfertig vorführen zu können. Wir
verdanken dies vor allem der späten, aber um so er-
freulicheren Einsicht der „Verfassungsgebenden", die die
Grundrechte von ihren ursprünglichen gesetzlichen Ein-
schränkungen in letzter Stunde befreiten.

Als atavistisches Kuriosum verbleibt eigentlich nur das
„Diktatorensprungbrett" dort in der Ecke. Es wurde frei
nach dem Modell ,,48" der Weimarer Verfassung ent-
worfen und trägt ganz zufällig bei uns ebenfalls die
Katalognummer 48:

Bestätigt der Landtag mit der Mehrheit seiner
gesetzlichen Mitgliederzahl die getroffenen Maß-
nahmen, so wird ihre Geltung um einen
Monat verlängert.

Fachleute versichern uns, daß auch der fanatischste
Diktator schließlich müde werden muß, ein neues 1000-
jähriges Reich mit der allmonatlichen Erneuerung des
Ausnahmezustandes aufrecht zu erhalten. Es bleibt in-
dessen zu bedauern, daß unsere „Verfassungsgebende"
diese Tatsache nicht ohne fremde Hilfe einzusehen ge-
neigt war.

Um zu etwas Erfreulicherem zu kommen, sehen Sie hier
die blasse Jungfrau aus Wachs, die auf den poetischen
Namen „Freiheit" getauft würde.

Die beiden Gegenstände neben ihr in den Vitrinen sind
ein Spezialkorsett und ein Keuschheitsgürtel. Die Er-
klärung dafür liefert Ihnen der Artikel 101:

Jedermann hat die Freiheit, innerhalb der Schran-
ken der Gesetze (Korsett) und der guten Sitten
(--) alles zu tun, was anderen nicht schadet.

^ggK Wollen Sie bitte gleich einen Blick in

fc ' -"-^M dieses Gefäß mit der undefinierbaren

\ -jjt^ - Schmiere werfen.

BEBST?! 1$ Die Substanz soll an eine Verallge-

'—illSip ffit"1- meinerung des Weimarer Artikel 118

U§?5__ erinnern, die bei uns Nr. 110 (2) trägt:

Die Bekämpfung von Schmutz und Schund ist
Aufgabe des Staates und der Gemeinden.

Die nähere Bestimmung, was man unter „Schmutz und
Schund" einerseits und „guten Sitten" andererseits ver-
steht, erfolgt vermutlich später noch durch einen Sonder-
ausschuß, der Akademien und Religionsgemeinschaften, um
jede Willkür in unserer Demokratie auszuschalten.

In dem Glaskasten neben-
an sehen Sie eine Frau
zu Füßen eines wohlbe-
leibten Herrn mit Hitler-
bärtchen.

Diese Wachsgruppe trägt die
Nr. 124:

(1) Ehe und Familie
sind die natürliche und
sittliche Grundlage der
menschlichen Gesell-
schaft und stehen un-
ter dem besonderen C
Schutz des Staates.

(2) Mann und Frau
haben in der Ehe
grundsätzlich die
Rechte und Pfliditen.

Die seltsame Komposition erklärt sich ganz einfach
daraus, daß der ursprüngliche Absatz (2) des Artikels:
„Die Ehe beruht auf der Gleichberechtigung der beiden
Geschlechter" vorsorglich gestrichen worden ist. Damit
wird auch die Wendung: „grundsätzlich" verständlich,
ebenso wie die Tatsache, daß bürgerliche (== juristische)
nicht unbedingt auch „menschliche" Rechte und Pflichten
sein müssen.

An dem eigentümlichen Barockstück Nr. 141 wirkt fol-
gender Satz etwas beklemmend:

Herabgewürdigte Denkmäler der Kunst und Ge-
schichte sind möglichst ihrer früheren Bestimmung
wieder zuzuführen.

Vielleicht ließe sich' noch einfügen: von den Nazis herab-
gewürdigt, da sonst leicht jemand auf die Idee kommen
könnte, wieder Hitlerbüsten aufzustellen.

Die Bronzefigur, die einen
wohlgenährten Bauern auf
einen Schlagbaum gestützt
darstellt, istunserArt.165:

Die Ueberschu.'cJung

Iandiuirtschaftlicjer
Betriebe ist durch die
Gesetzgebung mög-
lichst zu verhindern.

Das kann die Einführung von Schutzzöllen bedeuten, so-
zusagen als nachträgliche Anerkennung der derzeitig
regen Unterstützung des Schwarzen Marktes durch unsere
gottesfürchtigen Kalorienerzeuger.

Dieses herrliche Granitbecken
hier enthält eine Probe des
trüben Wassers, in das die ur-
sprünglich vorgesehene „Plan-
wirtschaft" gefallen ist.

Zum Abschluß möchte ich Ihnen noch jenen sparbüchsen-
ähnlichen Patentkäfig erklären.

153

gleichen bürgerlichen
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Titel

Titel/Objekt
"Eine Führung durch die Bayerische Verfassung"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
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Grafik

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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Radler, Max
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

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Der Simpl, 1.1946, Nr. 13, S. 153.

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