Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik: Der Simpl: Kunst, Karikatur, Kritik — 1.1946

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.7376#0159
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
DAS STAATS KLEID

Sehen Sie, ich war Schneider. Feine Herrenanzüge -und
Damenkostümc. Wenn man so wie ich 30 Jahre lang
tagaus, tagein Menschen angezogen hat, sieht man tiefer.
Ein Volk ist wie ein Mensch! Der Staat, die Verfassung,
das- ist sein Kleid. Es kann auch eine Uniform sein!
Aber dafür bin ich nicht zuständig! Mit Uniformen will
Ich nichta zu tun haben. Aber meist ist der Staat Pfusch-
end Flickwerk. Ich habe lange über das alles nach-
gedacht Dann kam mir das Licht! — Damals beschloß
Ich, Politiker zu werden!

Meine Damen und Herren, unser Volk braucht ein neues
Kleid. Es muß aber gut sitzen, daß es sich darin wohl-
fühlt. Die Nähte müssen fest genäht sein, ' und die
Aermel sollen nicht zu lang sein. Im Schritt daTf es
nicht kneifen. Das hemmt die Bewegung, die Freiheit!
Das richtige Kleid muß das Volk davor bewahren, unzu-
frieden zu sein. Die Unzufriedenheit nämlich ist die Wur-
zel alles Uebels! Sie ist der Nährboden des Umsturzes!
Blicken Sie mit mir einmal zurück auf die vergangenen
Jahrzehnte. Was sehen wir da? Hungen und Elend,
Prasserei, und Tanz um das Goldene Kalb, glänzende
Paläste neben den Hütten der Armut. Unzufriedenheit,
Neid, Bosheit und Mord und Totschlag! Und die Ursache:
Unzufriedenheit!!

Aber wir schneidern ein neues Kleid. Wir beseitigen mit
meinem Programm die Unzufriedenheit. Jede Familie
muß eine eigene Wohnung haben, mit Balkon. Zur
Pflege des Schönheitssinnes werden dreimal im Jahr
Balkonwettbewerbe mit Preisen abgehalten. Durch so
etwas werden die Menschen abgelenkt. Das ist gut gegen
die Unzufriedenheit! Kinderlose Ehen werden nach einiger
Zeit automatisch gelöscht. Als Ehe gilt nur, wo Kinder
sind! Wählbar sind nur Verheiratete mit Kindern. Die
haben Interesse am Bestand und Wohlergehen des Volkes.
Vor allem am Frieden. Unverheiratete Staatsmänner sind
zu unruhig, sie sind eine Gefahr für das Volk. Abgeord-
neter kann im übrigen nur sein, wer ein Handwerk
erlernt hat und mindestens die Gesellenprüfung abgelegt
hat. Ohne diese Prüfung kann man weder ins Parlament
kommen, noch eine Staatsstellung bekleiden.
Im übrigen herrscht individuelle Freiheit. Jeder Rasen-
platz kann betreten werden, man darf sich aus den
Fenstern herauslchnen und auf den Boden spucken. Der
Abort darf während des Aufenthaltes des Zuges auf
einer Station1 benutzt werden. Es gibt keine verbotenen
Wege. Nur Abstinenz als öffentliche Bewegung mit Mit-
gliedern und Ausschußvorsitzenden und Ortsgruppen Ist
verboten.---

Das künftige Oberhaupt des Volkes wird auf Grund
eines Schönheitswettbewerbes gewählt. Schöne Menschen
freuen sich an sich selbst und sind meist nicht mehr ehr-
geizig, streben auch nicht nach säkularem Ruhm! Nach
der Ernennung darf der Präsident sich die schönste Frau
aussuchen. Sind seine Kinder schön, darf aus ihnen
der Nachfolger gewählt werden. Die letzte Entscheidung
in allen öffentlichen Dingen trifft das Los, als gerechteste
Lösung. Denn das Los ist ein Fingerzeig des Schicksals,
and wenn das Schicksal entscheidet, schweigt Menschen-
witz und alle Deutelei.

Aus dem Lustspiel ,, Schade, daß wir uns nicht früher kennen-
gelernt haben" von Doris Riehmer.

WARUM ICH NIE AN EINE DEUTSCHE REVOLUTION
GLAUBEN WERDE. Im Dezember 1913 erlebte ich in
Dresden in einer Sitzung des „Arbeiter- und Soldaten-
rates", daß gegen den Vorsitzenden heftige Angriffe von
einzelnen Unabhängigen gerichtet wurden, weil man
bereits überall die Offiziere wieder an maßgebenden
Stellen 6ah. Die Verteidigung, die der Mehrheit absolut
einleuchtete, lautete: „Gammeraden, ihr wißd garnich,
wie schwer das is! Der Genosse Petzold nnd ich, mir
hamm den gansen Sonndach gesessn unn enn Baragrafn
gesuchd. — (in den alten kaiserlichen Dienstvorschriften
versteht sich!) — nach dem wir gänndn de Offisicrc ab-
Betzn, wir hamm awr geen gefundnl", A. Ketzet

WORT ZUR ZEIT

Schon mal'n sie wieder Sprüche an die Zäune
und bohren kleine Löcher ins Gesetz
und ritzen ihre krummen Hakenkreuze
in alle nur erreichbaren Klosetts.

Sie grüßen sich mit neuerfund'nen Zeichen
und helfen sich mit kriegserworb'nem Geld,
und alle Tage bringen ihre Weiber
ein frischgebackenes Gerücht zur Welt.

Sie schenken ihren Kindern Bleisoldaten
und falten heimlich Helme aus Papier
und tragen aus Prinzip nur Reiterhosen,
damit man merkt, sie waren Offizier,

Sie reißen nachts Plakate von den Säulen
und kratzen neue Straßen-Namen ab
und nennen unsre altgeword'ne Jugend,
die sie auf dem Gewissen haben, „schlapp",

Sie spotten über Kunst, die sie nicht fassen,
und lügen über Männer, die sich müh'n,
den nur von ihnen so verfahr'nen Karren
so langsam wieder aus dem Dreck zu zieh'n.

Sie führen sicherlich schon schwarze Listen
und denken an ein gut vergrab'nes Beil,
und da sie wieder Morgenlüfte wittern,
so sag'n sie (aus Versehen) manchmal „Heil".

Ihr haltet sie, wie einst, für große Kinder,
für harmlos irr — für geistig ausgebombt . . .
Ihr solltet wirklich nicht so. schnell vergessen
und dies Gewürm zertreten und zerpressen,

damit es nicht noch einmal soweit kommt! Heinz Hartwig

159
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die politisch Geschulte"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Schlichter, Rudolf
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 1.1946, Nr. 13, S. 159.

Beziehungen

Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg
 
Annotationen