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'rgendcin journalistisches enfant terrible hat bekanntlich
eine Meldung veröffentlicht, wonach im Kloster Hönen-
berg bei Ellwangen zwischen Ministern und Abgeordneten
der CSU und der CDU anderer Länder politisch-födera-
listische Gespräche stattgefunden haben, von denen bis
dahin in der Oeffentlichkeit niemand nichts wußte.
Klostermauern, Politik, Geheim —■ so etwas entzündet
die Phantasie der Nichibeteiligten und alsbald demen-
tierte der bayerische Ministerpräsident die Mutmaßung,
es habe sich um die Vorbereitung einer ,,Föderation süd-
deutscher und südwestdeutscher Länder" gehandelt; es
seien lediglich interne Fragen erörtert worden.
Refrain: Hier stimmt was nicht, hier stimmt was nicht.

Justament nicht lange danach brachte Deila ausführliche
Einzelheiten aus einem Artikel der unabhängigen schwei-
zerischen Zeitschrift ,,Die Tat" in Zürich, einen Artikel
ihres Deutschland-Korrespondenten aus StuHgart. Er schrieb
u. a. (immer nach Dena): „Obwohl der südbadische
Staatspräsident Wohllob nach der Konferenz behauptete,
man habe keine konkreten Pläne über eine süddeutsche
Konföderation erörtert, erklärten mehrere Teilnehmer
ihrem Berichterstatter, das Projekt eines kulturell-ein-
'hritlichen föderativen Staates sei das beherrschende
Konferenzthema gewesen."

Refrain: Hier stimmt was nicht, hier stimmt was nicht.

Eine Meldung des „Völkischen Beobachters", Verzeihung,
der „Prawda", der Erzbischof von München, Kardinal
Faulhaber, habe an der Konferenz teilgenommen, ferner
der Erzbischof von New York, Spellman, und der Vatikan
selbst seien an der Bildung eines solchen Staates inter-
essiert — eine solche Meldung erinnert zu sehr an
Gocbbelssche „Presselenkung".

Refrain: Hier stimmt was nicht, hier stimmt was nicht.

Sozusagen im Strahlungsbereich der Ellwanger Gespräche
traf es sich wie von ungefähr, daß der französische Außen-
minister Bidault zwei deutsche Journalisten empfing und
im Verlaufe der Unterhaltung dem bayerischen Minister-
präsidenten ein besonderes Lob zollte — warum?
Schweigen. Tief-tiefes Schweigen. Hüben wie drüben.
Refrain: Hier stimmt was nicht, hier stimmt was nicht.

Als der „Münchner Merkur" noch „Münchner Mittag"
hieß, stellte er dem CSU-Minister Dr. Hundhammer
einige inquisitorische Fragen im Zusammenhang mit
dessen Einladung nach Frankreich, wo er in Straßburg,
der „wunderschönen Stadt", mit dem französischen Mini-
ster Teitgen von der katholischen Partei der Republika-
nischen Volksbewegung zusammenkommen sollte. Was
antwortete Herr Dr. Hundhammer dem „Münchner Mit-
tag"? Solche Aussprachen dienten lediglich der allgemei-
nen Verbesserung internationaler Beziehungen, die an die
Einladung geknüpften Gerüchte träfen nicht zu.
Refrain: Hier stimmt was nicht, hier stimmt was nicht.

Und das Fazit? Minister und sonstige Politiker treffen
sich in der französischen Zone zu auffälligen Bespre-
chungen — der Inhalt dieser Besprechungen geht die
Oeffentlichkeit nichts an. Der bayerische Ministerpräsi-
dent erhält nicht von einem x-beliebigen ausländischen
Minister, sondern von einem der „Großen Vier", in
deren Händen das Schicksal der Welt liegt, ein auf-
fälliges Lob — wieso, geht die Oeffentlichkeit nichts
an. Der bayerische Kultusminister wird von einem fran-
zösischen Minister in auffälliger Weise eingeladen ----
auch das. geht die Oeffentlichkeit nichts an.
Ganz schüchterne Frage: Was geht eigentlich die Oeffent-
lichkeit überhaupt an?

*

Nun ist es wahr, daß die Oeffentlichkeit aus einer An-
zahl Individuen besteht, auch Staatsbürger genannt, deren
lethargischer und apathischer Zustand kaum erlaubt,
politische Geschehnisse so scharf zu beobachten wie

HILFE! KO SCHUTZMAKU!

Als Autoräuber, die hunderte von Ueberfällen
auf der Berliner Autobahn ausführten, wurden
verhaftet: Der Bürgermeister "on Trebbin und
der stellv. Polizeipräsident von Potsdam!

Obacht, Bürger! Mensch, sei wachsam!
Vorne steht ein Polizist,
und man weiß ja nie, ob dieser
nicht ein Doppelgangster ist!

Greif zum Schlagring! Geh in Deckung,
siehst du eine Uniform;
denn das Auge des Gesetzes
schielt zuweilen ganz abnorm!

Sei ein Nurmi! Mach 'nen Bogen,
kommt die Polizei in Sicht,
denn du siehst viel Dunkelmänner,
aber einen Schutz-Mann nicht!

Selbstverständlich sind nicht alle
so wie Potsdams schlimmer Vice ...
Dennoch warnt der Zeitchroniste:
Caution, germans, for police! H. Hartwig

PERSPEKTIVEN

etwa die Verteilung zusätzlicher amerikanischer Lebens-
mittel. Immerhin wird der Staatsbürger bei einiger In-
telligenz auf der Vierzonenkarte den Ort Ellwangen
klein und abgelegen in der französischen Zone finden.
Sein garantiert fettfreier normaler Normalverbraucher-
menschenverstand eckt nun an dem Wort „Föderation"
an und er findet mit Mühe im Lexikon, daß dies Wort
dem deutschen Sprachschatz ziemlich fremd, dem fran-
zösischen dagegen sehr geläufig ist. Der Staatsbürger
wacht jetzt aus der politischen Narkose auf, in die ihn
die braune Ewigkeit versetzt hat, und fragt sich, wieso
sich gleich zwei französische Minister mit bayerischen
Ministern beschäftigen — wo doch Bayern unzweifelhaft
in der amerikanischen Zone liegt, wie die Camel be-
weist, die er in den mageren Fingern hält, und die
Mehlspeise, die sich der amerikanische Steuerzahler
für ihn vom Munde abgespart hat. Aengstlich geworden,
liest er noch einmal die Meldung der „Tat", bleibt aber
gleich im Gestrüpp des „kulturell-einheitlichen födera-
tiven Staates" hängen. Von Einheit hört er sehr viel.
Zum Beispiel von der politischen Einheit — aber über
der schwebt an einem seidenen Faden das modernisierte
Schwert des Damoklcs in Gestalt von Hammer und
Sichel. Und die wirtschaftliche Einheit haben sie in
Potsdam beschlossen und verkündet — aber sie können
zusammen nicht kommen, der Vorhang ist viel zu eisern.
Kulturelle Einheit?

Da fällt dem Staatsbürger ein, daß der große Manitou,
sein amerikanischer Vormund, für den politischen deut-
schen Kindergarten auch eine französische Gouvernante
engagiert hat, die, zielbewußt und erotisch-aggressiv, im
Saargebiet rasch „Anschluß" gefunden hat, indem sie
ihrem Liebhaber den hungrigen Magen mit Kuchen voll-

stopfte, mochte der Kuchen teilweise auch aus deutschen
Konditoreien stammen. In den ihr zugewiesenen Bezirken
des Kindergartens schaltet und waltet sie resch und fesch,
und wenn sie nach gutem deutschen Besatzungsvorbild
aus vorgefundenen Schätzen manches ihren Lieben daheim
zukommen läßt, so entschädigt sie ihre Schützlinge doch
in reichem Maße durch kulturelle Genüsse aller Art: Aus
Paris läßt sie Ausstellungen, Theaterensembles, Bücher,
Filmzeitungen, Musiker. Filme kommen und energisch
nimmt sie die Kinderchen an der Hand und die Kinder-
chen dürfen das alles sehen — mögen sie sich viel lieber
auch nur ein einziges Mal ordentlich satt essen.
Jetzt hat die Gouvernante anscheinend mit den halb-
erwachsenen Kindern des bayerischen Kindergartens an-
gebandelt, die, ländlich-unverdorben, von dem Charme
und der Erfahrung dieser spielerischen, aber klug be-
rechnenden Frau gefesselt sind. Nun, solange der große
Manitou sich nicht ablenken läßt — z. B. durch Ge-
schäftsreisen nach Griechenland oder China — ist gegen
einen harmlosen Flirt nichts einzuwenden — schon
mancher Halberwachsene ist durch eine reife Frau in die
Diplomatie der Liebe eingeführt worden. Auch dte
Gouvernante hat vielleicht aus den Fehlern ihrer Vor-
fahren gelernt, die, seit dem Urahn Richelieu, in galli-
schem Zorn manches süddeutsche Porzellan zerschlagen
haben, dessen Scherben immer noch herumliegen. Bayern
ist ihr nicht unbekannt: Schon ihr Gesandter Dard hat
nach 1918 in München ein Samtpfötchen heimlich nach
dem separatistischen Dr. Heim ausgestreckt — aber
vergebens.

Wie gesagt, solange der große Manitou da ist und der
Gouvernante Geld und den Kindern zu essen gibt, mag
der französisch-bayerische Flirt hingehen. Was aber,
wenn er die hungernden Kinder und die Gouvernante,
die selber nicht viel zu knabbern hat, allein läßt? Dann
kommt der große Bär und frißt alle auf — Kinder
und Gouvernante. —k—

R. Netzer

,,Schreit' ich ein oder geb' ich dem .gesunden Volksempfinden' nach?
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Hilfe! Ein Schutzmann"
Weitere Titel/Paralleltitel
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Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Objektbeschreibung
Bildunterschrift: "Schreit' ich ein oder geb' ich dem gesunden Volksempfimdem' nach?"

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Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Netzer, Remigius
Entstehungsort (GND)
München

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Publikation

Fund/Ausgrabung

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Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

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Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

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Der Simpl, 3.1948, Nr. 1, S. 7.

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