REDEN WIR MAL VOM ESSEN
Ein normaler Bizonaurier versteht zwar nicht, warum das so sein muß,
aber es ist nun mal so:
Die Amis sagen, die deutschen Regierungen sind dran schuld. Weil sie
nicht genug „erfassen" und den Schwarzhandel nicht bekämpfen. Und
wie es die Amis in den Wald hineinrufen, so schallen es die Dreiquartel-
poütiker der Gewerkschaften heraus (zum Lohn dafür dürfen sie diszi-
pliniert streiken und dürfen sich ihre naturgewollten Gegner, die Unter-
nehmer, nicht organisieren).
Die Regierungen sagen, die Amis sind dran schuld und der Verwaltungsrat
in Frankfurt — die Amis, weil sie für die deutsche Produktion mit
falschen Zahlen rechnen, und überhaupt, wenn sie wollten, könnten sie;
der Verwaltungsrat, weil der sich aufs hohe zentralistische Roß setzt und
mit wiederauferstandener Reichsnährstandsdiktatur ein Land gegen das
andere ausspielt.
Die Bauern sagen: Wir sind bestimmt nicht dran schuld, wir geben pfeil-
grad alles ab, aber wir brauchen außer Klavieren, Damastdecken und
feinem Porzellan auch Geräte und künstlichen Dünger und angemessene
Preise, dann können wir mehr produzieren.
Die Hauptperson, der Normalverbraucher, sagt, alle sind dran schuld: die
Bauern, die Regierung, der Verwaltungsrat, der Wirtschaftsrat, die Amis.
Weil die Bonzen nicht unter einen Hut kommen wollen; muß ich kleiner
Mann mit ewig knurrendem Magen herumlaufen. Immer müssen wir
Kleinen dran glauben. Nicht nur im Krieg. Neulich stand doch in der
Zeitung, der Schlange-Schöningen hat gesagt, draußen in der Welt gibt's
genug Fett und auch andere Lebensmittel und wir können das alles
bezahlen, mit Arbeit, meint der Schlange-Schöningen. Ist das nun wahr
oder ist der auch so ein verdammter Erzlügner? Und dann hab' ich noch
gelesen, daß uns die Italiener und die Holländer und die Dänen und viele
andere Lebensmittel angeboten haben und daß bei ihnen das Gemüse und
die Kartoffeln und der Kaffee teilweise schier verfaulen oder verbrannt
werden — aber sie dürfen nicht, heißt es, wegen der Devisen und weil
für uns die „Weltzuteilung" noch nicht freigegeben ist. Das logische
Denken fällt einem heutzutage so schwer. Das kommt sicher von der Fett-
lücke. Und wenn alles „restlos erfaßt" ist, sagen sie, und der Schwarz-
handel unterdrückt ist, dann kriegen wir, vielleicht, das Doppelte an
Fleisch und Fett und etwas Brot und einige Kartoffeln mehr — ob man
dann davon satter wird? Wo wir doch schon vor dem Krieg nicht ohne
den Import leben konnten und jetzt unsere Kornkammern verloren haben.
Der Staatssekretär Sühler im Bayerischen Landwirtschaftsministerium
wird wohl recht haben: Organisiert haben wir das Erfassen der Vorräte
schon, ich meine auf dem Papier, aber „die unteren Organe versagen", die
Beamten und Angestellten bei den Behörden, die Polizei — die drücken
für ein Pfund Butter zwei Augen zu. Und ich bin so dumm und bezahle
ihnen mit meinen Steuern ihr Gehalt und eine gesicherte Lebensstellung ...
Sagt der Normalverbraucher.
In einer solchen fast ausweglosen Lage ist das Volk glücklich zu preisen,
das einen Alexander den Großen hat, welchselbiger den gordischen Knoten
mit kühnem Schwertstreich durchhaut. Einen solchen Alexander besitzt
das bizonale Volk endlich in der geballten Kraft des Frankfurter Wirt-
schaftsrats. Der beschloß bekanntlich das Speisekammergesetz, und schon
das parlamentarische Phänomen, daß nur eine einzige Stimme dagegen
war, beweist, wie sehr die Abgeordneten den unausgesprochenen Willen
des gesamten Volkes repräsentierten. Der Wirtschaftsrat dachte scharf
nach und schuf, ganz auf der Höhe der Abrüstung und militärischen
Demontage, einen Schwert-Ersatz zeitgemäß aus Papier: nämlich dreimal
zwölf Millionen, das macht sechsunddreißig Millionen Fragebogen, die auf
unseren Ernährungsbankrott herniederprasseln und der Not radikal ein
DER SCHUSS AUS FRANKFURT —
Ende bereiten. Mit Fug und Recht sagten sich die Herren Gesetzgeber,
daß das Ausfüllen von Fragebogen die liebste und fruchtbarste Beschäfti-
gung des Nachkriegsdeutschen ist. Absurd, anzunehmen, daß Fragebogen
je gefälscht worden sind oder je gefälscht werden. Dagegen spricht schon
der nicht auszurottende Respekt des deutschen Untertan vor der Staats-
autorität.
Die Abgeordneten des .Wirtschaftsrats selbst werden mit minutiöser Ge-
wissenhaftigkeit ihre eigenen gehorteten Vorräte angeben, denn hätten sie
keine Vorräte, lägen sie ja längst mit Hungerödemen im Krankenhaus und
könnten keine Gesetze beschließen. Mit Vergnügen wird der vollgefressene
Normalverbraucher den Ermittlern und Schnüfflern die Haustür öffnen
und ihnen bereitwilligst aus der Speisekammer die paar Kartoffeln und
das bißchen Mehl aushändigen, das er sich an den Sonntagen landauf,
landab hat zusammenbetteln müssen, weil der Staat ihn großzügig ver-
hungern läßt.
Weise ist der Frankfurter Wirtschaftsrat und von großer Menschen-
freundlichkeit: Das Speisekammergesetz hat so rechtzeitig das Licht der
Oeffentlichkeit erblickt, daß die Schwarzhändler und die bösartigen Bauern
— ihre Zahl fällt sowieso nicht ins Gewicht — bis zum Stichtag in Ruhe
und mit Umsicht ihre Vorräte verkaufen und verstecken können. Aber
auch Industrie und Wirtschaft sind bedacht worden. Denn Fachleute haben
ausgerechnet, daß die Herstellung der Fragebogen 130—150 Tonnen Papier
erfordert. Sinnlos, eine solch unbedeutende. Menge für Schulbücher, Brief-
bogen oder Lokuspapier zu verwenden oder gar für die von Washington
gewünschte Propaganda gegen den Kommunismus. Denn 36 Millionen
gefälschte, was sage ich, ausgefüllte Fragebogen lassen den Mangel leicht
verschmerzen.
Hauptsache: es wird wieder mal organisiert, schikaniert, spioniert, denun-
ziert — und festgestellt, daß nichts festzustellen ist. Bedarf es dazu wirk-
lich eines neuen Gesetzes? - K -
Fr. Bilek
— TRAF DEN BAYERISCHEN LÖWEN MITTEN INS HERZ
31
Ein normaler Bizonaurier versteht zwar nicht, warum das so sein muß,
aber es ist nun mal so:
Die Amis sagen, die deutschen Regierungen sind dran schuld. Weil sie
nicht genug „erfassen" und den Schwarzhandel nicht bekämpfen. Und
wie es die Amis in den Wald hineinrufen, so schallen es die Dreiquartel-
poütiker der Gewerkschaften heraus (zum Lohn dafür dürfen sie diszi-
pliniert streiken und dürfen sich ihre naturgewollten Gegner, die Unter-
nehmer, nicht organisieren).
Die Regierungen sagen, die Amis sind dran schuld und der Verwaltungsrat
in Frankfurt — die Amis, weil sie für die deutsche Produktion mit
falschen Zahlen rechnen, und überhaupt, wenn sie wollten, könnten sie;
der Verwaltungsrat, weil der sich aufs hohe zentralistische Roß setzt und
mit wiederauferstandener Reichsnährstandsdiktatur ein Land gegen das
andere ausspielt.
Die Bauern sagen: Wir sind bestimmt nicht dran schuld, wir geben pfeil-
grad alles ab, aber wir brauchen außer Klavieren, Damastdecken und
feinem Porzellan auch Geräte und künstlichen Dünger und angemessene
Preise, dann können wir mehr produzieren.
Die Hauptperson, der Normalverbraucher, sagt, alle sind dran schuld: die
Bauern, die Regierung, der Verwaltungsrat, der Wirtschaftsrat, die Amis.
Weil die Bonzen nicht unter einen Hut kommen wollen; muß ich kleiner
Mann mit ewig knurrendem Magen herumlaufen. Immer müssen wir
Kleinen dran glauben. Nicht nur im Krieg. Neulich stand doch in der
Zeitung, der Schlange-Schöningen hat gesagt, draußen in der Welt gibt's
genug Fett und auch andere Lebensmittel und wir können das alles
bezahlen, mit Arbeit, meint der Schlange-Schöningen. Ist das nun wahr
oder ist der auch so ein verdammter Erzlügner? Und dann hab' ich noch
gelesen, daß uns die Italiener und die Holländer und die Dänen und viele
andere Lebensmittel angeboten haben und daß bei ihnen das Gemüse und
die Kartoffeln und der Kaffee teilweise schier verfaulen oder verbrannt
werden — aber sie dürfen nicht, heißt es, wegen der Devisen und weil
für uns die „Weltzuteilung" noch nicht freigegeben ist. Das logische
Denken fällt einem heutzutage so schwer. Das kommt sicher von der Fett-
lücke. Und wenn alles „restlos erfaßt" ist, sagen sie, und der Schwarz-
handel unterdrückt ist, dann kriegen wir, vielleicht, das Doppelte an
Fleisch und Fett und etwas Brot und einige Kartoffeln mehr — ob man
dann davon satter wird? Wo wir doch schon vor dem Krieg nicht ohne
den Import leben konnten und jetzt unsere Kornkammern verloren haben.
Der Staatssekretär Sühler im Bayerischen Landwirtschaftsministerium
wird wohl recht haben: Organisiert haben wir das Erfassen der Vorräte
schon, ich meine auf dem Papier, aber „die unteren Organe versagen", die
Beamten und Angestellten bei den Behörden, die Polizei — die drücken
für ein Pfund Butter zwei Augen zu. Und ich bin so dumm und bezahle
ihnen mit meinen Steuern ihr Gehalt und eine gesicherte Lebensstellung ...
Sagt der Normalverbraucher.
In einer solchen fast ausweglosen Lage ist das Volk glücklich zu preisen,
das einen Alexander den Großen hat, welchselbiger den gordischen Knoten
mit kühnem Schwertstreich durchhaut. Einen solchen Alexander besitzt
das bizonale Volk endlich in der geballten Kraft des Frankfurter Wirt-
schaftsrats. Der beschloß bekanntlich das Speisekammergesetz, und schon
das parlamentarische Phänomen, daß nur eine einzige Stimme dagegen
war, beweist, wie sehr die Abgeordneten den unausgesprochenen Willen
des gesamten Volkes repräsentierten. Der Wirtschaftsrat dachte scharf
nach und schuf, ganz auf der Höhe der Abrüstung und militärischen
Demontage, einen Schwert-Ersatz zeitgemäß aus Papier: nämlich dreimal
zwölf Millionen, das macht sechsunddreißig Millionen Fragebogen, die auf
unseren Ernährungsbankrott herniederprasseln und der Not radikal ein
DER SCHUSS AUS FRANKFURT —
Ende bereiten. Mit Fug und Recht sagten sich die Herren Gesetzgeber,
daß das Ausfüllen von Fragebogen die liebste und fruchtbarste Beschäfti-
gung des Nachkriegsdeutschen ist. Absurd, anzunehmen, daß Fragebogen
je gefälscht worden sind oder je gefälscht werden. Dagegen spricht schon
der nicht auszurottende Respekt des deutschen Untertan vor der Staats-
autorität.
Die Abgeordneten des .Wirtschaftsrats selbst werden mit minutiöser Ge-
wissenhaftigkeit ihre eigenen gehorteten Vorräte angeben, denn hätten sie
keine Vorräte, lägen sie ja längst mit Hungerödemen im Krankenhaus und
könnten keine Gesetze beschließen. Mit Vergnügen wird der vollgefressene
Normalverbraucher den Ermittlern und Schnüfflern die Haustür öffnen
und ihnen bereitwilligst aus der Speisekammer die paar Kartoffeln und
das bißchen Mehl aushändigen, das er sich an den Sonntagen landauf,
landab hat zusammenbetteln müssen, weil der Staat ihn großzügig ver-
hungern läßt.
Weise ist der Frankfurter Wirtschaftsrat und von großer Menschen-
freundlichkeit: Das Speisekammergesetz hat so rechtzeitig das Licht der
Oeffentlichkeit erblickt, daß die Schwarzhändler und die bösartigen Bauern
— ihre Zahl fällt sowieso nicht ins Gewicht — bis zum Stichtag in Ruhe
und mit Umsicht ihre Vorräte verkaufen und verstecken können. Aber
auch Industrie und Wirtschaft sind bedacht worden. Denn Fachleute haben
ausgerechnet, daß die Herstellung der Fragebogen 130—150 Tonnen Papier
erfordert. Sinnlos, eine solch unbedeutende. Menge für Schulbücher, Brief-
bogen oder Lokuspapier zu verwenden oder gar für die von Washington
gewünschte Propaganda gegen den Kommunismus. Denn 36 Millionen
gefälschte, was sage ich, ausgefüllte Fragebogen lassen den Mangel leicht
verschmerzen.
Hauptsache: es wird wieder mal organisiert, schikaniert, spioniert, denun-
ziert — und festgestellt, daß nichts festzustellen ist. Bedarf es dazu wirk-
lich eines neuen Gesetzes? - K -
Fr. Bilek
— TRAF DEN BAYERISCHEN LÖWEN MITTEN INS HERZ
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Der Schuss aus Frankfurt - traf den Bayerischen Löwen mitten ins Herz"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 3, S. 31.
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg