Stadträte, Paranoiker, Minister, Dampfkarussellbesitzer, Lebensmüde und
solche, die es werden wollen.
Mit den siebzig Tropenländern und fünf Kontinenten, die Franzi faktisch be-
reist hat, schmeißt sie herum wie mit ihrem Kartoffelsalat. Unter den Men-
schenfressern der Südsee fiel sie nicht sonderlich auf. Selbst auf Frachtschiffen
war sie weder salon- noch gepäckraumfähig. Bei Aequatorfesten tanzte sie
Bauch, daß höchstderselbe beinahe über Bord gesprungen wäre. Am Sambesi
fraß sie den Affen die Bananen — und auf Ceylon dem Buddha den Opferreis
weg. So ist Franzi wirklich Dame — ohne es zu wissen. Und bei Künstlerfesten
und Budenzauber wirkt sie auch anwesend, wenn sie — nicht da ist. Wenn
Armut an Originalität heute zur Regel geworden ist, dann beweist Franzi
deren Ausnahme. Sie ward auch zum Zeugnis und Sprichwort, daß man echte
Dschungelpflanze sein kann, ohne von den Schecks reicher Bankiers zu leben.
Sie ist nicht die Ruhe selbst, der Friede mild. In diesem Hinblick passen für
sie auch noch die Vornamen Vesuvia, Aetna und Krakatau. In Fragen der
Kunst schmeißt sie mit Fachausdrücken, Vorleggabeln und Küchenmessern
um sich. Da kann man es nur wagen, sie zweimal zu reizen, nämlich das
erste und das letzte Mal.
Ansonsten frißt sie dem müden Wanderer sozusagen aus der Hand, —
mit Vorliebe Beefsteak tartar, rohen Pfannkuchenteig und Pralines.
Und wenn einmal im Baedeker über waschechte Schlawinerei geschrieben
werden sollte, dann müßte darin die Schwabinger Franzi, dieses Mistvieh
im Quadrat, versehen werden — mit drei, mit tausend glänzenden und leuch-
tenden Sternen ... H.
HILFE — LAMET TA
Betrachte dir die Fenster der Geschäfte —
Was da für Weihnachtsschnee vom Himmel rinnt.
Da sieht man, was für künstlerische Kräfte
Im teutsehen Einzelhandel tätig sind.
Da wird das Warenhaus zum Wintermärchen.
Aus jedem Nachthemd strahlt ein Kerzenlicht.
Die Sülze glänzt im Schmuck der Engelhärchen,
Und Wurste ohne Watte gibt es nicht.
Lametta hängt aus Spuck- und Seifennäpfchen,
Aus Silberglöckchen fließt ein flotter Schlips.
Kein Büstenhalter ohne Tannenzäpfchen,
Kein Filzpantoffel ohne Weihnachtsgips!
Das muß man sehn — hinein in das Gedrängel.
Noch schöner, Leute, geht's doch wirklich kaum.
Kein Harzer Käse ohne Weihnachtsengel —
O Tannenbaum! Hans-Erich Richter
die StkwaÜHQet ftatm
Und Schwabing ist ihre Heimat. Sie gehört zu diesem Erdteil, wie das Wandern zum Müller.
Franzi ist nicht so sehr im Ort, sondern der Ort ist — in ihr.
Ihre Physiognomie ersetzt den nördlichen Stadtplan. Vereinzelte Haarbüschel spielen die
Pappeln der Leopoldstraße. Der Schwung ihrer Augenbrauen symbolisiert die Kurven der
Trambahnlinie Numero Acht. Sommersprossen weiden als Sehenswürdigkeiten über ihrem
Antlitz, das einige Meter jenseits von Gut und Böse liegt.
Die ungewisse Größe ihrer Stirne wird durch Ponyfransen verdeckt, die gleich Lianen oder
Schnittbohnen herabhängen. Franzis Geist ist wie der Ausruf einer Jahrmarktbude: hoch, flach
und egal. Er besitzt die magische Tiefe des Kleinhesseloher Sees mit dem Höchstwasserstand
von neunzig Zentimeter.
Ihre Bildung ähnelt dem Schweizer Käse: sie ist lückenhaft. So ist Franzi an ihrem eigenen
Geiste zur Widersacherin geworden.
Ihr Charakter schwankt mit dem Geburtsdatum um die Wette.
In Franzis Seele auch noch Temperament zu schütten, das hieße Eulen nach Athen, Höchst-
preise auf den Viktualienmarkt und Humorlosigkeit in die bayerischen Ministerien tragen zu
wollen. Ihre Offenheit kennt keine Hinterhöfe — und ihre Grobheit erschreckt den Bieder-
mann und berauscht den Masochisten. Sie wirft abwechselnd angebrannte Kuttelfleck, Welt-
anschauungen und ihre Gäste zur Türe hinaus, den Greis und die Jungfrau nicht verschonend.
In Franzis Wohnküche verkehren Esoteriker, Fleischfliegen, Bürgermeister, Hausierer und
Fr. Bilek: DIE GESTRANDETE
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solche, die es werden wollen.
Mit den siebzig Tropenländern und fünf Kontinenten, die Franzi faktisch be-
reist hat, schmeißt sie herum wie mit ihrem Kartoffelsalat. Unter den Men-
schenfressern der Südsee fiel sie nicht sonderlich auf. Selbst auf Frachtschiffen
war sie weder salon- noch gepäckraumfähig. Bei Aequatorfesten tanzte sie
Bauch, daß höchstderselbe beinahe über Bord gesprungen wäre. Am Sambesi
fraß sie den Affen die Bananen — und auf Ceylon dem Buddha den Opferreis
weg. So ist Franzi wirklich Dame — ohne es zu wissen. Und bei Künstlerfesten
und Budenzauber wirkt sie auch anwesend, wenn sie — nicht da ist. Wenn
Armut an Originalität heute zur Regel geworden ist, dann beweist Franzi
deren Ausnahme. Sie ward auch zum Zeugnis und Sprichwort, daß man echte
Dschungelpflanze sein kann, ohne von den Schecks reicher Bankiers zu leben.
Sie ist nicht die Ruhe selbst, der Friede mild. In diesem Hinblick passen für
sie auch noch die Vornamen Vesuvia, Aetna und Krakatau. In Fragen der
Kunst schmeißt sie mit Fachausdrücken, Vorleggabeln und Küchenmessern
um sich. Da kann man es nur wagen, sie zweimal zu reizen, nämlich das
erste und das letzte Mal.
Ansonsten frißt sie dem müden Wanderer sozusagen aus der Hand, —
mit Vorliebe Beefsteak tartar, rohen Pfannkuchenteig und Pralines.
Und wenn einmal im Baedeker über waschechte Schlawinerei geschrieben
werden sollte, dann müßte darin die Schwabinger Franzi, dieses Mistvieh
im Quadrat, versehen werden — mit drei, mit tausend glänzenden und leuch-
tenden Sternen ... H.
HILFE — LAMET TA
Betrachte dir die Fenster der Geschäfte —
Was da für Weihnachtsschnee vom Himmel rinnt.
Da sieht man, was für künstlerische Kräfte
Im teutsehen Einzelhandel tätig sind.
Da wird das Warenhaus zum Wintermärchen.
Aus jedem Nachthemd strahlt ein Kerzenlicht.
Die Sülze glänzt im Schmuck der Engelhärchen,
Und Wurste ohne Watte gibt es nicht.
Lametta hängt aus Spuck- und Seifennäpfchen,
Aus Silberglöckchen fließt ein flotter Schlips.
Kein Büstenhalter ohne Tannenzäpfchen,
Kein Filzpantoffel ohne Weihnachtsgips!
Das muß man sehn — hinein in das Gedrängel.
Noch schöner, Leute, geht's doch wirklich kaum.
Kein Harzer Käse ohne Weihnachtsengel —
O Tannenbaum! Hans-Erich Richter
die StkwaÜHQet ftatm
Und Schwabing ist ihre Heimat. Sie gehört zu diesem Erdteil, wie das Wandern zum Müller.
Franzi ist nicht so sehr im Ort, sondern der Ort ist — in ihr.
Ihre Physiognomie ersetzt den nördlichen Stadtplan. Vereinzelte Haarbüschel spielen die
Pappeln der Leopoldstraße. Der Schwung ihrer Augenbrauen symbolisiert die Kurven der
Trambahnlinie Numero Acht. Sommersprossen weiden als Sehenswürdigkeiten über ihrem
Antlitz, das einige Meter jenseits von Gut und Böse liegt.
Die ungewisse Größe ihrer Stirne wird durch Ponyfransen verdeckt, die gleich Lianen oder
Schnittbohnen herabhängen. Franzis Geist ist wie der Ausruf einer Jahrmarktbude: hoch, flach
und egal. Er besitzt die magische Tiefe des Kleinhesseloher Sees mit dem Höchstwasserstand
von neunzig Zentimeter.
Ihre Bildung ähnelt dem Schweizer Käse: sie ist lückenhaft. So ist Franzi an ihrem eigenen
Geiste zur Widersacherin geworden.
Ihr Charakter schwankt mit dem Geburtsdatum um die Wette.
In Franzis Seele auch noch Temperament zu schütten, das hieße Eulen nach Athen, Höchst-
preise auf den Viktualienmarkt und Humorlosigkeit in die bayerischen Ministerien tragen zu
wollen. Ihre Offenheit kennt keine Hinterhöfe — und ihre Grobheit erschreckt den Bieder-
mann und berauscht den Masochisten. Sie wirft abwechselnd angebrannte Kuttelfleck, Welt-
anschauungen und ihre Gäste zur Türe hinaus, den Greis und die Jungfrau nicht verschonend.
In Franzis Wohnküche verkehren Esoteriker, Fleischfliegen, Bürgermeister, Hausierer und
Fr. Bilek: DIE GESTRANDETE
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Der Simpl
Titel
Titel/Objekt
"Die Gestrandete"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 3.1948, Nr. 24, S. 290.
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Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg