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ICH WAR

Ssoschoschowstolins

Georg Schvimpf: MÄDCHEN

FEIND

In einer großen, weitverbreiteten Zeitung fanden
wir die 197. Fortsetzung eines von den Lesern
mit atemloser Spannung verfolgten Tatsachen-
berichtes, der die obenstehende Ueberschrift trug.

Die 197. Fortsetzung lautete:

Die 196. Fortsetzung schloß: Ich verbrachte in
Balalaikatschewno im ganzen etwas über elf
Jahre, während der sich wenig veränderte. In
einem Haus am Ende des Dorfes, das ich von mei-
ner Unterkunft aus gut beobachten konnte,
wohnte Ssoschoschowstolin mit drei anderen poli-
tischen Verbannten. Ich sah ihn während der elf
Jahre oft, wenn er, um sich etwas Bewegung zu
machen, sein Haus verließ und in die einsame
sibirische Taiga hinauswanderte. Er ging immer
allein fort und kehrte auch immer wieder allein
in sein Haus zurück. Die anderen drei Verbann-
ten, unter denen sich der berüchtigte Bankräuber
Pfeobrashenski befand, sah man fast nie das
Haus verlassen. Preobrashenski hatte im Jahre
1902 inBjelometschetskaja fast eine Million Rubel
erbeutet, war aber bei einem neuen Raubversuch
in der Nähe von Baschmatschasowskaja, 30 Werst
von Sjeroglasinskaja (1 Werst zu 500 Ssashen -
1066,78 Meter) von der zaristischen Polizei fest-
genommen worden. Im vierten Jahr meiner Ver-
bannung, es kann aber auch im fünften gewesen
sein, lud mich Ssoschoschowstolin ein, ihn zu be-
suchen und von seinem selbstgebackenen Brot zu
kosten. Denn er buk sein Brot stets selbst und
war sehr stolz darauf. Er empfing mich in der
Küche.

„Ich habe dich jahrelang genau beobachtet",
sagte Ssoschoschowstolin, als ich in die Küche
trat, „und ich nehme an, daß wir dir vertrauen
dürfen. Ich werde dich jetzt mit Petrowitsch
Preobrashenski und Nikolajewitsch Potschinok be-
kannt machen, die ebenso wie ich hier noch neun
Jahre abzumachen haben. Es sind tüchtige Jun-
gens. Auch Alexandrowitsch Shitomir wird dir
gefallen. Er stammt aus Blagowieschtschenskoje
und spricht den dortigen Dialekt. Leider hört er
nichts, da bei einem Bombenattentat in Prot-
schnapkopskaja im Oktober 1896 seine beiden
Trommelfelle zum Teufel gegangen sind. Alex-
androwitsch Shitomir ist gerade im Dorf, um
Tee zu besorgen, der uns ausgegangen ist. Nun,
es wird in diesem verfluchten Balalaikatschewno
wohl irgendwo noch Tee aufzutreiben sein.
Komm einstweilen herein in die Stube zu Preo-
brashenski und Potschinok, sie erwarten dich
schon, und das Brot ist auch gleich fertig."
Mit diesen Worten führte mich Ssoschoschowsto-
lin in das niedrige Zimmer, das .er mit Alexan-
drowitsch Shitomir (in den Gesprächen der Ver-
bannten meist kurz Shit genannt), Nikolajewitsch
Potschinok und Petrowitsch Preobrashenski teilte
Dies war das erste Mal, daß ich bei Ssoschoschow-
stolin eingeladen war. Nach dem Essen kam das
Gespräch auf die Politik, und ich staunte, wie
gut sich auch Shit, trotz des Pechs mit seinen
Trommelfellen, an den endlosen Diskussionen
beteiligen konnte. Ssoschoschowstolin, Preobras
henski und Nikolajewitsch Potschinok machten
sich ihm mittels einer kunstvollen Zeichensprach
verständlich, die sie in den vergangenen drei Jah-
ren für ihre gemeinsamen Unterhaltungen ent-
wickelt hatten. Leider beherrschte ich erst etwa
eineinhalb Jahre später diese Zeichen, aber auch
dann war meine Unterhaltung mit Shit sehi
schwierig, da ich von dem Dialekt seiner Heimat
Stadt Blagowieschtschenskoje kaum ein Wort ver
stand und sich Shit niemals dazu entschließen
könnte, entweder Hochrussisch oder den Dialek*
meiner Heimatstadt Starokonstantinowow zu
sprechen. Shit sprach nur so wie man in Blago-
wieschtschenskoje sprach, oder er sagte überhaupt
nichts. Das war Shit.

Eines Tages, im 7. Jahr meines Aufenthalts in
Balalaikatschewno, sagte Ssoschoschowstolin zu
mir:

(Fortsetzung folgt) Fr. Fr.

Am 13. Februar dieses Jahres wäre der Maler
Georg Schrimpf 60 Jahre alt geworden. Das
Todesjahr 1938 war freilich nicht angetan, dem
verdienten Nachruhm der Kunst Schrimpf's ge-
recht zu werden. Bald kam der Krieg und es
verstummten auch die spärlichen Stimmen, die
begonnen hatten des Künstlers Lob zu singen.
Bei wievielen blieb eine Erinnerung an diese
stille Schöpferkraft übrig? Und doch werden
eines Tages diese Bilder wieder zu reden be-
ginnen und dann in ihrer innigen Weise ein-
dringlicher zu den Menschen sprechen als man-
ches laute Werk der Zeit. Nicht nur als einen
der Väter der historischen „Neuen Sachlichkeit"
wird man den Maler dann nennen; man wird
ihn lieben als einen in das Wesen der ewigen
Natur eingedrungenen Geist, der sich auch dem
einfachsten Gemüt deutlich zu machen verstand
Alle Problematik der Zeit hinter sich lassend
hat diese im schönsten Sinne kindliche Künstler-
seele schlichte, stille und harmonische Bilder
hervorgebracht, die jeden gleicherweise anspre-
chen müssen und die doch ein Geheimnis ent-
halten: Eben ihre naive Kunst.
Im Kreise der am Anfang der zwanziger Jahre
in der Galerie Goltz hervortretenden Maler,
welche praktisch den Abschluß der expressio-
nistischen Aera proklamierten, ist Schrimpf der

natürlichste, einheitlichste und daher stärkste.
Der Kälte des Kollegen Kanold steht er ebenso
fern wie z. B. der Hektik Menses. Wenn auch
diese frühen Weggenossen ihre geschichtliche Be-
deutung haben; Schrimpfs Werk wird sie über-
dauern, weil es mehr zu sagen hat.
Wir haben wenige Künstler in Deutschland,
welche wirklich die entwaffnende Naivität etwa
des Zöllners Henry Rousseau besitzen, aber
Schrimpf ist eine dieser glücklichen Naturen
gewesen. Der Weg, den der ehemalige Konditor-
lehrling über seine expressionistischen Früh-
blätter zu den schöntonigen, menschlich so an-
sprechenden Milieubildern, zu den weiträumigen
Landschaften des bayerischen Alpenvorlandes
und zu den sehnsüchtig in die Ferne sinnenden
Mädchen gegangen ist, verläuft in einer be-
glückenden Geradheit, wie sie selten erlebt wird.
Ueberraschen wird aber den Liebhaber dieser
unendlich stillen, fast biedermeierlich-sonntäg-
lichen Malereien, von einem politisch aktivisti-
schen Leben zu erfahren, das bürgerliche Zu-
friedenheit jedenfalls nicht in dem vermuteten
Maße garantiert hat.

In Oskar Maria Grafs berühmtem Roman „Wir
sind Gefangene" ist vorerst darüber einiges zu
lesen, bis einmal eine objektive Biographie diese
Umstände enthüllen wird. F. B.

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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Mädchen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Schrimpf, Georg
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Der Simpl, 4.1949, Nr. 3, S. 35.

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Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
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