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Rudolf Schoeller: IM SPESSART

BILDUNG UBER ALLES

Wer in Bayern nach dreijähriger Lehrzeit die Ge-
sellenprüfung des Blumenbindergewerbes ablegen
will, muß jede Blume bei ihrem lateinischen Namen
kennen, genau wissen, wie sie gezüchtet wird und
woher sie stammt. Nur Bewerber mit vorzüglichen
Schulzeugnissen und überdurchschnittlichem Wissen
können hoffen, in die Reihen des Floristenverban-
des aufgenommen zu werden. Etliche 20 Kandidatin-
nen bestanden Anfang Juli ihr theoretisches und
praktisches Examen an der Schwäbeleschule zu
München. *

Die Tendenz, den gewerbsmäßigen Umgang mit
Blumen und Pflanzen aller Art auf das Niveau einer
humanistischen Allgemeinbildung zu stellen, ge-
winnt in den Kreisen Einsichtiger immer mehr
Boden. Nicht nur Blumenverkauf, auch Obst- und
Gemüsehandel, Beerensammeln und Kastanien-
braterei haben viel mit Botanik zu tun. Ein weit-
blickendes Unterrichtsministerium wird daher
schwerlich umhinkönnen, auch der wissenschaft-
lichen Erziehung von Obstlern und Gemüsefrauen
ein gesteigertes Interesse entgegenzubringen. Solide
Grundlagen in lateinischer Elementargrammatik,
wohlfundierte Kenntnisse der Morphologie, Anato-
mie und Physiologie der Pflanzen, von deren Ein-
und Verkauf der Händler seinen Unterhalt bestrei-
tet, müssen in Zukunft für den Betrieb eines Ge-
schäftes als unerläßlich gelten. Selbst Rettichweibern
darf Linne nicht länger ein Fremder bleiben.
Wie wir hören, hat sich dieser Tage ein Landes-
planungsausschuß gebildet, der sich mit der Organi-
sation von Nachschulungskursen für bereits be-
stehende Gemüsekrämereien befaßt. Bei der er-
freulichen Verbreitung, welche Kirchenlatein in
Bayern zur Zeit genießt, dürfte es nicht schwierig
sein, geeignete Lehrkräfte für dieses Sofortpro-
gramm mobil zu machen. Es besteht die Absicht, den
Unterrichtsplan später einer westdeutschen Gesamt-
regierung als kulturelle Dringlichkeitsforderung zu
unterbreiten. *

Ja, die Tage sind vorbei, wo das Blumenmädchen
an der Ecke den Vorübergehenden zulächelte:
„Schöne Veigerln, Herr! Nehmen S' ein Sträußerl
mit!' Von nun an wird es heißen: „Viola Odoiata
L., — mit zygomorphen, fünfzähligen Blüten und

spornartigen Staubgefäßen — 50 Pfg. ein kleines
Bouquet!" — Das Pappendeckelschild im Kramladen
mit der Inschrift „Reiche Auswahl in Brassica Ole-
racea L." wird die Hausfrau davon verständigen,
daß Wirsing, Kraut und Kohlrabi zu haben sind.
„Gelbe Rüben? O mei, mit Daucus Carota hat uns
der Feldmochinger Bauer diese Woche bös im Stich
gelassen. Papilionaceen sind dagegen frisch ein-
getroffen, darunter Phaseolus Multiüorus Willd., —
oder Bohnen, um einen vulgären Ausdruck zu ge-
brauchen, — ferner Pisum Sativum L., — Erbsen,
die sich auch zum Einmachen eignen. Kürbis? Nein,
Cucurbita Maxima Ducti, ist leider momentan nicht
vorhanden.

Salve, Frau Schleinzinger, salve! Was kriegen wir
heut? Neue Kartoffel? Ah, Sie meinen Solanum
Tuberosum L., — diese Knollengewächse aus der
Familie Solanaceen? Ja, freilich, da haben wir eine
ausgezeichnete Sorte erst gestern hereinbekom-
men, mit 0,6 bis 1,3 m hohen, kurzhaarigen Sten-
geln und langgestielten Trugdolden. Da, schauen
Sie einmal her, — diese Knollen, diese Tiefe
der Augen, diese Stolonenbildung! Was besseres
werden Sie auf dem ganzen Markt nicht auftreiben.
Das Pfund kostet 16 D-Pfg, bei Abnahme von zehn
Pfund erniedrigt sich der Preis auf DM 1.50 ... Wo-
her die stammen? Die kommen aus der Umgegend
von Augusta Vindelicorum, dem heutigen Augs-
burg, wo der tiefgründige, milde Boden einen be-
sonders guten Stärkegehalt gewährleistet, so daß die
Landwirte auf direkte Kali- oder Kochsalzdüngung
verzichten können . .. Ganz recht, versuchen Sie's
zunächst einmal mit einem halben Pfund! Sie wer-
den staunen, wie sich durch einfaches Kochen im
Wasser die Zellen wie von selber isolieren, und
wenn Sie dann Protoplasma, Zellkern, Zellhaut
und Vakuole geprüft haben, werden Sie ausrufen:
,Die alte Zenzi hat mich doch wieder einmal reell
bedient!' — Darf's sonst noch was sein? — Peter-
silie? — Hier, ein Büschel von diesem Petroselinum
Sativum Hoümanni macht ein Zehnerl. Die Umbel-
liferen gedeihen überhaupt recht. gut heuer, —
wahrscheinlich kommt das vom Wetter. — Wie
steht's mit Allium Schoenoprasum L., — brauchen
Sie nichts? Das gewöhnliche Volk sagt halt .Schnitt-
lauch', aber was wir Gebildeten sind ... No, ja,
auch ein Büscherl zu zehn. — So, das macht jetzt
8, 10 und 10, summa summarum 28 D-Pfg. — Danke

vielmals, beehren Sie mich wieder! Pax vobiscum,
Frau Schleinzinger, — auf Wiedersehen...!"
*

Wer schiebt da seinen früchtebeladenen Handkar-
ren durch die Straßen? Es ist der bejahrte Michel,
der Nestor der „fliegenden" Obstler, heute Ver-
trauensmann im Ausschuß „Ambulanter Einzelhan-
del", Fachgruppe Nahrungs- und Genußmittel. Von
Zeit zu Zeit hält er an, überläßt das Gefährt der
Obhut seiner treuen Ehefrau und geht in die Hin-
terhöfe der Häuser, um auszurufen. Früher war sein
Singen mehr volkstümlich. Seit seiner Nachschulung
aber macht er's so:
„Alala, alala, alala —

's Kirschengroßvaterl — lateinisch Avus genannt —

ist wieder da!

Einkauft, einkauft, Leut —

die Frucht von Prunus Cerasus bringen wir heut!
Schöne Herzkirschen vom Prunus Avium L., — as
Pfund fünfasechz'g Pfenning, zwoa Pfund oans
zwanzge! — Süaße Baumweichsein, wia's scho bei
Plinius erwähnt san: Oa Pfund fimfadachz'g! —
Geht's runter, Leut, und schaugt sas euch o! Safti-
gere hat der König Lysimachos seiner Zeit aa net
'gessen ... Einkauft, einkauft!"

Während er ausruft, bedient seine Gattin die Käu-
fer und wiegt ab. Einen Lausbuben, der an einer
der ebenfalls feilgebotenen Tomaten herumtastet,
weist sie zornig zurecht: „Sakramentskerl, — tu
deine Pfoten weg! Noli längere 1'omatos Meos.'.'"
... Zu den Umstehenden gewendet, fügt sie jedoch
nach kurzem Nachdenken entschuldigend hinzu:
„Ich mein' natürlich diese roten Solanaceen da, aus
der Gattung Lycopersicum Esculentum Mill.,
das Wort .tomatos' is mir nur so rausg'fahren,
weil ich mich g'ärgert hab. Wär ja falsch..."
*

Die berühmten Radiweiber des Hofbräuhauses, die
Mulieres Raphanorum, sollen übrigens heute schon
hervorragende Kennerinnen der Sprache Virgils
sein. Bei einer von ihnen, Katharina Hopfensper-
ger, lassen sich Schüler des städtischen Wilhelms-
gymnasiums ihre Übersetzungen von Caesars Bel-
lum Gallicum nachkorrigieren. Ovid's Metamor-
phosen liegen ständig im Tragkorb dieser Dame,
griffbereit, neben dem Salz- und Pfefferbüchserl.
Ihr Ehrgeiz ist, dereinst Summa Cum Laude den
.Dr. gemüs. et obst." zu machen ... Walter F. Kloeck

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Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Im Spessart"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Der Simpl: Kunst - Karikatur - Kritik
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-11-5 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Schoeller, Rudolf
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
In Copyright (InC) / Urheberrechtsschutz
Creditline
Der Simpl, 4.1949, Nr. 16, S. 182.

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