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Sitzungs-Berichte der Archäologischen Gesellschaft zu Berlin — 16.1894

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https://doi.org/10.11588/diglit.28568#0093
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schon führen die Menschen den Pinsel, und erst in
unserer Zeit hat man eigentlich die Aufgabe erkannt,
die das zerstreute Licht der freien Luft dem Maler
stellt. Und wer könnte ahnen, welche Aufgaben viel-
leicht noch die Zukunft sich stellen wird!

Aber niemals geht auf diesem Gebiet ein mühsam
errungener Gewinn wieder verloren, wenn nicht alle
Überlieferung unterbrochen wird. Die attische Kunst
war von der Nachahmung der Natur zum Stil fort-
geschritten, bevor sie es unternommen hatte, die
Tiefe des Raums der Wirklichkeit entsprechend
auf der Fläche zur Darstellung zu bringen —
ich glaube, es täuscht uns hier nicht der Mangel
wirklicher Anschauung von der Malerei. Aber die
athenischen Künstler konnten sich gegen den Fort-
schritt, der ihnen von Kleinasien zukam, nicht dauernd
sträuben.

Den Fortschritt? — Man hat es den attischen
Meistern zum Verdienst angerechnet, dafs sie nicht
gleich jenen ‘Halbasiaten’, dem Götzen des Natura-
lismus opfernd, Dinge versucht haben, die den Regeln
der ‘Ästhetik’, wie man gemeint hat, Hohn sprechen.

Die moderne Kunst hat die Fesseln dieser Regeln
längst gesprengt: das wissen wir alle. Aber die
Funde und Forschungen der letzten Jahrzehnte haben
es gezeigt, dafs auch für die antike Kunst die ‘klas-
sische’ Ästhetik ein Prokrustesbett wäre.

Es soll Leute geben — und nicht nur Künstler,
glaube ich .—, die der Wissenschaft, die man Ästhe-
tik nennt, die Existenzberechtigung bestreiten. Mit
denen will ich nicht rechten. Aber die alten Gesetze
taugen nichts; wir erwarten neue von der Zukunft.
Und die müssen auch das begreifen, was die einen
mit Bewunderung, die anderen mit Schaudern heute
‘Naturalismus’ nennen.
 
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