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Springer, Anton
Bilder aus der neueren Kunstgeschichte (Band 2) — Bonn, 1886

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https://doi.org/10.11588/diglit.27165#0388
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376

Dic Wegc und Ziele der gegenwärtigcn Knnst.

Jugendglanze, ihre Helden haben viel von ihrer Unantastbarkeit
eingebüßt. Wir üben scharse Kritik an ihrem Wirken, bcsitzen
cin ofsenes Auge für alle Fort- und Rückschritte. Nnsere sach-
liche Kenntniß hat ungemein gewonnen, unsere Phantasie einen
großen Theil der gewohnten Nahrung verloren. Der Rücktritt
der Antike in unserem Knnstleben ist eine offcnkundige That-
sache. Nur die Sitte läßt nns noch hier wie in vielen anderen
Cnlturkreisen an der Ueberliefernng festhalten, die Lehre selbst
findet nur wenige Starkglaubige. Daß die Formensprache der
Kiinstler nur selten noch von der Antike berührt wird, würde
an sich geringe Bedenken errcgen. Die äußere Nachahmung der
Antike führt durchaus nicht immer zum Heile. Aber das Weg-
wischeu der Antike von der Bildfläche unserer Phantasie bedeutet
noch etwas anderes: Die Antike war das stärkste Bindennttcl,
welchcs seit Jahrhunderten die einzelnen Zeitalter mit einander
verknüpfte; sie stellte den uilunterbrocheuen Zusammenhang
unserer Cultur mit der gauzcn großen Vergangenheit am deut-
lichsteu dar. Die Abkehr von der Antike bedeutet den Unglnu-
ben iveiter Kreise an die fernere Continuitüt unserer Bildung,
die Hoffnung auf die küuftige Herrschaft einer neuen, sclbstün-
digen Weltanschauung. Aber von Unglauben, Zweifel und'Hoff-
nungen kann die Kunst nicht leben. Dadurch wird ein kritischer
Zustand derselben herbeigeführt. Wir ahnen nicht die künftige
Gestnlt unserer Geisteswelt, wir begreifen nicht, wie sich die
Phantasie in einem Reiche unpersönlicher Gewalten zurecht fin-
den wird. Das eine glauben wir behaupten zu dürfen, daß
cine neue Kunstperiode keineswegs in naher Ausficht steht, das
Schwanken in der Richtung, der Kampf zwischeu alten und
neuen Ueberzeugungen, dic zaghafte Scheu vor großeu Zielen
in dieser Zeit des Ueberganges noch länger andauern wird.
Den besten Trost gewührt dann die Einsicht, daß das Werkzeug
kiinstlerischen Schaffens in den Händcn des jüngeren Geschlechtes
nicht rostet, geschärft nnd geschliffen erhalten wird. Das lüßt
uns von der Herrschaft des Naturalismus in der Kunst und
von der beinahe unbegrenzten, charaktcrlosen Empfänglichkeit
fiir die verschiedenartigstcn 5Umstformen billigcr denken. Wir
sind in dieser Hinsicht noch Lernende und nicht kraftlos Ge-
nießcnde. Und so lange wir lernen, brauchen wir uicht allzusehr
eiu sieches Greisenalter unserer Bildnng zn fiirchteu.
 
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