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Dic Wcge und Ziele dcr gegenwnrtigen Kunst. 375

vcrdrängen wir, wie die berüchtistten Teppichbeete zeigen, un-
barmherzig die fröhlichen Farbenreize. Den größten Fortschritt
in ttnserm Kunstverständttisse bektiudet die tiefe Eiusicht in die
Gesetze, welche den dekorativen Künstett vorstehen. Wir lehren
ganz richtig, daß das natürliche Motiv erst dnrch stilistische
Umwandlttttg sich zu einem lvirksamen Oritaniettte eiltwickele und
besitzeu eiu scharfes Auge für die Eigettthümlichkeit der verschie-
deueu Stile. Das hiudcrt aber uicht, daß täglich gegeu eiu ele-
meutares Stilgesetz gesüudigt wird. Es hat sich ittsbesoriderc
für das Liixiisgerüthe eiu Attrapenstil ausgebildet, es werdcn
Formeii gewählt, aus welcheu auch der scharfsiiiiiigste Kopf
ttimmermehr die Bestimmilttg zu erratheu vermag. Was sich
uiisere Vorfahreii ziiweileu iu übermüthiger Lauiie, zum Scherze
erlailbteii, wird vou uus mit schwerfülligem Erust durchgesührt.
Eiue arge Verwirriliig herrscht volleuds iu Bezug auf die Stel-
liiiig der staatlichen Gcmeiiischaft zur küiistlerischett Thütigkeit.
Die letztere eutfaltet das Bainier uiibedingter iiidividuellcr Frei-
heit uiid ruft gleichzeitig zu ihrem Schutze die Autorität des
Staates au. Der uiipersöiiliche Staat soll die Kunst pflegeu, die
leitendeu Persoiieu des Staatsweseus solleii aber keiucii Willeii
äußerii, sich iu den Gaug der küustlerischeii Elitwickeluiig uicht
eiiimischeu. Solche Widersprüche sührten schließlich zu Erwä-
giliigeii, ob uicht die Qttelleii iiiid die Form uuserer Bildimg
eiuer Reform bedürfteu.

Nicht gauz zutreffeud wurdeu das „griechische Scriptum
iiud der Kegclschuitt" als Kümpfer für Vergaugenheit uud Zu-
kuiift eiuauder feiudlich gegeuüber gestellt. Das griechische
Seriptiim bildet wahrlich uicht deu Stützpuukt der alteu Welt-
aiischauiiiig. Es köuiite verschwindeu, wie es Jahrhunderte laug
ttttbekaiiut war, ohne daß jcue iu Schwauken geriethe. Nud
ebeuso helfeii die mniiiiigfachsten mathematischeu Keiitttiiisse uicht,
eiue ueue Welt attfzubaueli, weun inau uicht die Kraft besitzt,
sie eiuheitlich ziisammeiizufasseu uud auf geschlosseuer Gruud-
lage eiue volksthümliche Lebettsanschaiiiilig zu schaffeu. Richtig
ist aber der immer mehr schwiudeude Eiufluß der Antike auf
uiisere Bildiiiig. Das Griecheu- und Röinerthum ragt uicht
mchr uiimittelbar iu uuser Geisteslebeu hiiieiu. Es wird bc-
reits als eiue vergaugeiie historische Periode betrachtet uud dar-
gestellt. Die Autike strahlt iiur für lvcuige iu uuvergäiiglichem
 
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