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Springer, Anton; Osborn, Max [Editor]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0113
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5. Die französische Kunst zur Zeit des Julikönigtmns.

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zahlreicher Darstellungen. In noch höherem Maße als die Schilderung großer Schlachten
fesselten das allgemeine Interesse die einfachen, genreartig behandelten Szenen, die das Schicksal
des einzelnen Soldaten, die gute Kameradschaft mit seinem Pferde, dem Regimentshunde usw.
erzählen und nebenbei aus den Undank der Bourbons gegen die große Armee anspielen. Wie
so viele andere Künstler, wie namentlich Auguste Raffet (1804—1860, Abb. 94), der geist-
vollste Schilderer des französischen Troupier, benutzte Bernet die Lithographie, um seine Kom-
positionen in den weitesten Kreisen zu verbreiten. Ungern wurden von der Regierung auch
die Bilder gesehen, die den Herzog von Orleans verherrlichten. Bernet wurde förmlich der
Hausmaler des Herzogs, und als dieser den Thron bestieg mit Aufträgen von der neuen Re-
gierung überhäuft, deren Erfüllung nur seiner erstaunlich schnell malenden Hand möglich war.
Die Technik eines Gefechts, wie die Truppen zum Kampfe aufmarfchieren, in der Schlacht sich


96. Die letzten Patronen, von A. de Neuville.

bewegen, die verschiedenartigen Gefechtsformationen verstand Bernet unübertrefflich, nicht minder
sicher beherrschte er die Einzelerscheinung des Soldaten. Auf das genaueste wußte er den Platz
der schmälsten Litze und des kleinsten Knopfes anzugeben, die „reglementmäßige Adjustierung"
zu zeichnen. Diese vielbewunderte Detailkenntnis — sie mag wohl mit dazu beigetragen haben,
dem Künstler die Gunst des Kaisers Nikolaus, dieser großen Autorität auf dem Paradeplatze
und Exerzierfelde, zu erwerben — verleiht unleugbar den Bildern Bernets den Reiz leben-
diger Naturwahrheit. Der erste Eindruck wirkt in der Regel verblüffend. Der Beschauer er-
staunt über den klaren Blick und das umfassende Gedächtnis des Künstlers, der auch das
Kleinste nicht vergißt und sich in der Soldatenwelt offenbar ganz heimisch fühlt. Der Eindruck
hält aber nicht vor. Das Merkmal des vollendeten Kunstwerks, daß die wiederholte Betrachtung
immer neue anziehende Züge an ihm erschließt, trifft fast niemals zu. Es bleibt bei der Be-
wunderung der exakten Wiedergabe des gewöhnlichen Soldatentreibens.
 
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