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Springer, Anton; Osborn, Max [Hrsg.]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0219
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8. Der Realismus in Frankreich.

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hatte, entwickelte er sich, fernab von Menzels Vielseitigkeit und genialen Experimenten, ganz
einseitig weiter auf dem Wege des Kabinettstücks, auf dem er bald zu kleinen Meisterwerken
von juwelenhaftem Reiz, bald zu peinlich sauber gestrichelten Gleichgültigkeiten gelangte, deren
virtuose Spitzpinselei anspruchslosen Kunstfreunden Gelegenheit gab, mit der Lupe in der Hand
den Kenner zu spielen. Oft ist er in feinen rauchenden, musizierenden, lesenden, Karten spielen-
den, Raritäten und Kupferstiche betrachtenden Kostümfiguren von einer Delikateste, die an die
besten Niederländer dieses Genres denken läßt, oft von einer überexakten und porzellanglatten
Feinmalerei, die lediglich als Bravourleistung gelten kann. Am reizvollsten ist er, wenn er die
Szene aus den zierlich ausgestatteten Interieurs ins Freie verlegt, Reiter in farbigen Mänteln
durch eine Landschaft sprengen oder an einem Wirtshaus Rast machen läßt, oder zum Soldaten-
bilde übergeht und blitzende Uniformen zu buntem malerischen Spiel auf den winzigen Raum
feiner Bildflächen zusammendrängt. Er blieb der Miniatur- und Detailmaler, der er war, auch
als er im Dienste des dritten Napoleon die Schlachten, Märsche und Triumphe feines kaiser-
lichen Oheims schilderte und sogar den Kriegsruhm des Neffen selbst in einer Serie zu feiern
begann, die freilich nach dem ersten Bilde („Schlacht von Solferino") abgebrochen werden
mußte. Die realistische Treue dieser Bilder in den Einzelheiten ist erstaunlich und baute sich
aus ähnliche Studien von wissenschaftlicher Korrektheit auf wie die historische Echtheit Menzels,
aber über den allzu liebevoll behandelten Teilen und Teilchen verlor sich meist der malerische
Eindruck des Ganzen. Auch das berühmte Bild „1814", das Napoleon zu Pferde an der
Spitze seiner Generale aus dem Marsch durch tauiges Schneeland zeigt (Abb. 199), leidet
darunter. Der Schwerpunkt von Meissoniers Lebenswerk liegt in denjenigen seiner zierlichen
und anmutigen Gruppenbildchen aus dem nnolsn reZirns, in denen die malerische Intimität
nicht von der Exaktheit des nimmer zufriedenen, „menzelhaft fleißigen" Künstlers (um ein
hübsches Wort Theodor Fontanes zu zitieren) vergewaltigt wurde.
Indessen Meissonier und seine Nebenmänner zeigen doch, daß selbst die offizielle Schlachten-
und Soldatenmalerei, die in Deutschland seit Jahrzehnten so arg darniederliegt, in Frankreich
ein künstlerisches Gepräge erhielt. Pils und Bellangs, die schon früher genannt wurden
(S. 92), namentlich aber Guillaume Rägamey (1837—1875) haben den Beweis geliefert,
daß hier kostbare Aufgaben für den Maler liegen können. Sie stiegen von dem trockenen
Regiments- oder Armeebericht zu brillanten Farbenspielen empor und verbanden mit der Verve
der Schilderung einen glänzenden Sinn für koloristische Reize. Zumal Rögamey verstand aus
schimmernden Uniformstücken, grauen Mänteln, roten Hosen, blitzenden Kürassen und Helmen,
die mit den Lufttönen der Landschaft abgestimmt sind, Wirkungen von außerordentlicher Fein-
heit zu gewinnen. Selbst ein Soldat war Henry Regnault (1843 —1871), der in der
Schlacht bei Buzenval dem Vaterland sein junges Leben weihte. Mit Regnault hebt der uun
immer stärker werdende Einfluß Spaniens au. Nicht nur, daß er im Süden seine Motive
holte, von maurischen und altspanischen Greuelszenen berichtete, auch die Art seiner temperament-
vollen Malerei, deren glühender Kolorismus aus der einen Seite an Delacroix erinnert, läßt
deutlich erkennen, was er daneben von Goya und Velazquez gelernt hat. Das Porträt des
Generals Prim (Abb. 200) ist der schönste Beweis für Regnaults glänzende Begabung, der
kein Ausreisen gegönnt sein sollte. Auch Thäodule Ribot (1823 —1891) ging von den
Spaniern aus. Sein Vorbild war Ribera, dessen dunkle Hintergründe und unheimlich grell
beleuchtete Körper in Ribots , heiligem Sebastian" und anderen Bildern ans zweiter Hand
wiederkehren (Abb. 201). Der delikate Ton des Velazquez dagegen, vermischt mit nieder-
ländischen Erinnerungen, taucht in seinen appetitlichen Küchen-Stilleben und -Interieurs auf,
gegen deren graue Wände oft mit famosem Geschmack die Gestalt eines Kochs in weißer „Amts-
 
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