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Springer, Anton; Osborn, Max [Editor]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0541

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6. Kunst und Leben.

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Gestützt und ermutigt wurden die Deutschen von dem frischen Leben, das ringsum in allen
Ländern erblühte. Zwar Frankreich hielt sich zurück. Die Franzoseu hängen in der Innen-
einrichtung nach wie vor mit zärtlicher Liebe an den alten Stilen des achtzehnten Jahrhunderts
vom Louis XIV.- bis zum Empiregeschmack. Die Bemühungen zweier Pariser Magazine,
„ILXrt nouveau" und „Im rnai80n moderne", die neuen ausländischen Muster einzuführen,
blieben fast ohne Erfolg. Nur einige Künstler, die, wie George de Feure, die alten Formen
behutsam mit den modernen Gedanken zu verschmelzen suchten, wobei auch das sonst verpönte
dol8 dors wieder auftreten mußte, fanden mehr Anklang. Für die germanischen Prinzipien
der zweckgemäßen Sachlichkeit hat sich in Frankreich wenig Begeisterung erwecken lassen. Doch
hat Paris in der Luxusindustrie nach wie vor ein gewichtiges Wort mitgesprochen. Die
Porzellanarbeiten der Manufaktur von Ssvres, die sich verjüngt hat (Tänzerinnen in Biskuit-
masse von A. Leonard, Abb. 531), die derben Keramiken von Bigot, die sorgsam glasierten
Poterien von Delaherche, von Dalpeyrat und Lesbros, vor allem aber die kunstvoll ge-
schnittenen Gläser aus mehreren zusammengeschmolzenen Schichten von Emile Galle in Remy
(1846—1904) und die Schmuckstücke von Rene Lalique, phantastische Dichtungen aus Gold,
reizvoll verwerteten Halbedelsteinen, natürlichen Perlen und translucidem Email (Abb. 532),
übertreffen an Geschmack und Feinheit in Erfindung und Ausführung, in Form und Farbe saft
alles, was in anderen Ländern an ähnlichen Dingen geschaffen wurde.
Nur in der Porzellankunst wurden die Franzosen von den Nordländern in den Schatten
gestellt. Die Kopenhagener Manufaktur hat sich unter der Leitung von Arnold Krog mit ihren
kostbaren Unterglasurmalereien, zarten hellblauen und hellgrauen Blumen-, Landschafts- und
Ziermotiven auf dem Grunde des fchön behandelten milchig-weißen Materials und mit ihren
realistisch stilisierten Tierplastiken (Abb. 533) die unbedingte Führerschaft auf diesem Gebiet
erworben. Die Firma Bing und Gründ al in Kopenhagen hat ihr allerdings in den letzten
Jahren mit ihren ä, sour-Vasen und -Schalen scharfe Konkurrenz gemacht, hat überdies die
Staatsmanusaktur durch diese eigenartigen Fabrikate unmittelbar beeinflußt. Auch die schwedische
Firma Rörstrand hat sich an diesem Wettlauf beteiligt, während sonst Schwedens und Nor-
wegens kunstgewerbliche Bedeutung heute in den Stickereien und Webereien beruht, die sich an
alte einheimische Muster anschließeu. Gerhard Munthe und eine Dame, Frida Hansen,
haben vorzügliche dekorativ stilisierte Vorlagen für große Wandteppiche geliefert, die in den
eckigen harten Linien und Winkeln und in den munter leuchtenden Farben der altnordischen
Kunst gehalten sind. Auch im nördlichen Deutschland hat man ähnliches versucht: in den ge-
webten kleinen Wandteppichen von Scherrebeck, dessen kunstgewerbliche Kolonie sich indessen
keines langen Lebens erfreute. Einen eigenen Weg geht seit den jüngsten Jahren namentlich
Holland, wo sich aus den internationalen Anregungen, die heute, da die trennenden Schranken
zwischen den Nationen gefallen sind, immer souveräner eine allgemeine Herrschaft anstreben,
aus den eigentümlichen Einwirkungen --
durch die exotischen Kulturen der Kolo-
nien, die dem kleinen Mutterland über

den Kopf gewachsen find, und aus den
Bedürfnissen des Lebens ein alle
Zweige umfassendes Kunstgewerbe von
einem wunderbar sicheren modernen Ge-
schmack und zugleich typisch holländischen
Charakter gebildet hat.


Was indessen den kunstgewerblichen

532. Brosche von R. Lalique.
 
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