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Glaser, Curt; Springer, Anton
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 6): Die aussereuropäische Kunst: ostasiatische Kunst, indische Kunst, islamische Kunst, afrikanische Kunst, indianische Kunst Amerikas, malaiisch-pazifische Kunst — Leipzig: Alfred Kröner Verlag, 1929

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https://doi.org/10.11588/diglit.53410#0727
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Indisch-indonesische Einflüsse. Neuseeland. Fidji. Seefahrt

681

779. Ahnenfigur vom
Sepik, Neuguinea,
25 cm hoch.
Stuttgart, Lind en-Mus.


die auf Neuseeland wie beim Rokoko, in der
Anlage von Spirale und Gegenspirale, als
Hakenspirale ineinander verschlungen, be-
ruhen, wie bei den Dajakern der Schwanz
zweierHunde stilistisch dargestellt wird (Abb.
788). Auch auf halbem Wege von Borneo
nach Neuseeland, im eben erwähnten Massim-
Distrikt von Neuguinea, kommt diese Haken-
spirale vor. So entstehen scheinbar konzen-
trische Kreise, und wo diese, wie an den Giebel-
rahmen der megaronartigen Prunkhäuser
(Abb. 74g),friesartig gesetzt sind, mit Figuren
dazwischen, erinnern sie lebhaft an die Fries-
Mälanggane vonTombära(s. Abb. 773, Mitte).
Dazu kommt, daß diese Bretter wie die Ahnen-
pfosten des Innern mit roter Farbe überzogen
sind und daß die Innenseiten der dicken Dach-
sparren ein grob aufgetragenes und stilisiertes
Rankengewühl zeigen, was so gar nicht in den
rein polynesischen Geschmack hineinpaßt.
Karl von den Steinen hat dieses Linien-
gekrümme aus der marquesanischen Orna-
mentik heraus als menschliche stilisierte
Figuren erklärt. Sie kommen sogar auf den neu-
seeländischen Schwirrhölzern (Abb. 782)
vor, die dem australisch-papuanischen Geheim -


780. Ahnenfigur vom
Sepik, Neuguinea,
26 cm hoch.
Stuttgart, Linden-Mus.

bundskreis entstammen, also fremdes Gut sind, wie ihr gemalter Zierat. Allerdings sind die
kunstvoll geschnitzten Schüsseln und Geräte, bei denen figürliche Darstellungen in freier
Durchbrucharbeit nicht fehlen, unbemalt (was ja auch in Melanesien bei Gebrauchsschüsseln
an verschiedenen Orten vorkommt), aber alles ist hier mit dem Zierat dieses Einheitstiles über-

schüttet (s. Abb. 764). Unbemalt sind auch die Kawaschüsseln, die Töpfereien, die Keulen usw.
von Fidji, obwohl dessen dunkle Bewohner zu den Melanesiern rechnen. Aber ihre Rinden-
stoffe, auf denen die schwarzen Flächen und Ornamente vorherrschen, sind ganz polynesisch
anmutend, und in der Tat stehen dieFidjianer anthropologisch und kulturell denTonganern
und Samoanern, wie bekannt, so nahe, daß dieser Einschlag hier völlig erklärt ist. Noch eines
Archipeles an der Nordküste von Neuguinea, in Kaiser-Wilhelms-Land, ist zu gedenken,
der Tami-Inseln, die eine wiederum ganz eigenartige Ornamentik haben, so sprießend, daß
sogar die Holzschüsseln und Außenseite der Hochseeboote nicht geschont werden ; nicht einmal
die natürlich auch hier vorhandene Bemalung wird ihnen geschenkt. Aber die Hochseeboote
zeigen durch ihren Verkehr mit den bei Neupommern gelegenen Siassi-Inseln, daß die
Wanderer vom Westen auch hier Spuren hinterlassen haben, denn die Papua sind keine See-
fahrer. Ihr Leben spielt sich im einsamen Gebirge, im Dämmerlichte der Wälder ab, wo ihre
Seele mit Aberglauben und Angstgefühlen durchsetzt wird, wo sie zu jenen schweigsamen
und scheuen Menschen werden, zu denen ihre Abgeschlossenheit und feindliche Umwelt
sie macht. Aus dieser innerlichen Fülle und Muse heraus sind die überaus vielseitigen
Kunsterzeugnisse der Papua und Melanesier zu erklären, die uns in Erstaunen setzen.
 
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