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Staden, Hermann von
Paul Fleming als religiöser Lyriker — Heidelberg, 1908

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https://doi.org/10.11588/diglit.74903#0029
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Volk geschildert wird. Mit v. 157 beginnt dann die Erzählung der
eigentlichen Leiden, unterbrochen von mehreren langatmigen Apo-
strophen an den Verräter Judas, an das Volk der Juden, dessen
Heilsgeschichte resümiert wird, an Maria, an Christus selbst, an das
Kreuz. Mit der Erwähnung der Grablegung verbindet der Dichter
den Wunsch, das Grab Christi schmücken zu können, sowie die Bitte
an Christus, diesen Grabgesang annehmen zu wollen, und schliesst
mit dem Hinweis auf die Auferstehung.
Für dieses Gedicht fand Fleming bei Opitz drei Vorbilder: Die
Uebersetzung des Lobgesanges Jesu Christi von Heinsius
(790 Verse), die „Klage beym Kreutz Christi" (112 Verse)
und die in Prosa geschriebene „Betrachtung über das Leiden
und Sterben unsers Heylandes". Diese Betrachtung übertrifft an
Umfang noch Flemings Gedicht, stellt mit Opitzischem Fleiss und
Geschick alles homiletische Material über den Gegenstand zusammen,
enthält sich geflissentlich aller mythologischen Anspielungen und
kommt einer für orthodoxe Christen noch heute erbaulichen Muster-
predigt gleich. Weniger Geist weist die Klage beym Creutz Christi
auf, die zu Opitzens schwächsten Leistungen gehört. Sie enthält
vielleicht nicht ganz so starke Geschmacklosigkeiten wie Flemings
Gedicht, das in ganz ähnlichem Tone gehalten, aber — was die
reichere Erzählung schon mit sich bringt — lebhafter bewegt und
nicht so langweilig ist. Des Heinsius Gedicht beginnt mit der Gott-
heit, Ewigkeit, Güte etc. des Heilandes, erzählt dann den Fall der
Menschen und die Verheissung an Jsrael, dann die Menschwerdung
Christi und seine Erlösertaten und schliesst mit Lobpreisung und
Gebet. Unter allen grösseren religiösen Alexandrinergedichten, die
mir zu Gesicht gekommen sind, steht das Werk des Heinsius am
höchsten. Abgesehen von einigen Geschmacklosigkeiten, die bei der
Schilderung des Segens des Abendmahls unterlaufen und bei der
kirchlichen Auffassung dieses Mysteriums unvermeidlich und ent-
schuldbar sind, zeigt das Gedicht durchweg eine rühmliche poetische
Haltung. Es ist nicht nur reich an Gedanken, sondern auch an
wirklich poetischen Vorstellungen, an glücklichen, ja schönen Ver-
gleichen. So wird das zarte Rot auf dem Antlitz der Jungfrau
Maria verglichen mit dem anbrechenden Morgen und mit einer Rosen-
knospe, auf der noch der Morgentau liegt.1) Andre Vergleiche sind
von der dem Holländer vertrauten See und der Schiffahrt herge-
nommen. Daher auch der „Capiteyn", der bei Opitz, Fleming und
andern wiederkehrt. Dabei verzichtet Heinsius auf geistlose Wort-
9 Einen ganz ähnlichen Vergleich brauchen Heinsius - Opitz im „Lob-
gesang des Bacchus" für die Tränen der Ariadne.
 
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