Das Motiv der Mantik im antiken Drama
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Blutrache von vornherein fest auch gegenüber der eigenen
Mutter, so gut wie für Elektra, die sich selbst zum Rachewerk
entschließt, als sie den Bruder für tot halten muß (954 ff.).
Aber der schon vorhandene Vorsatz des Orestes wird durch
das Geheiß des Gottes außerordentlich gefestigt, denn Apollon
kennt untrüglich das, was Zeus befiehlt, und was der Gott
will, das ist gut, eben weil es der Gott will. Dieselbe An-
schauung des Dichters geht mit absoluter Klarheit aus Frag-
ment 226 hervor:
^o^og ya( )ovdeig rt^v ov av zc^a 3e6g.
a^ elg 3eovg oQwvza, zav e&,w ör/^g
%coQ&lv Kegeln, xeia" odomo^elv %oed)V'
ato/^bv ya^ ouö&v wv vcprffovviat 3eoi.
Das ist die sophokleische Auffassung von der sittlichen
Berechtigung der Rache; der Mord ist gut deswegen, weil er
im Einklang steht mit dem Willen der Gottheit. Wenn jetzt
Apollon dem Orestes die Tat anbefiehlt, so nimmt der Gott
allein die Verantwortung auf sich, denn er hat gegen das
ihm wohlbekannte Vorhaben des Jünglings kein Veto ein-
gelegt und damit seine Zustimmung erklärt1. Aber der Wille
1 Ich kann es nicht verstehen, daß Plüß, Aberglaube und Religion
in Sophokles' Elektra 24 sagt: „Also der Gott selber, scheint es, erkennt
es als rechtmäßig an, daß die Mörder einen blutig gewaltsamen Tod er-
leiden; daß aber der Sohn selber, auch an der Mutter, das vollziehe, hat
der Fragende dem Gott vorweggenommen: vielleicht würde es Apollon
anders geboten haben. Und was die Art und Weise der Tötung betrifft,
so kennt auch der Gott die kriegerisch offene Weise als die nächstliegende,
aber er verbietet sie für diesen besonderen Fall. Warum? Doch wohl,
weil ihm der Muttermord ein Greuel ist. Jedenfalls aber erkennt Orest
dies nicht". Wenn Loxias mit dem Muttermord an sich schon nicht ein-
verstanden ist, so braucht er auf die Frage ov«?tootz«) keine Antwort zu
erteilen oder eine ablehnende; wenn der Gott die Art und Weise anbefiehlt,
so gibt er damit implicite ohne jeden Zweifel an, daß er die Tat selbst
billigt. Seneca, Troades 291 sagt mit Recht: qui non vetat peccare, cum
possit, iubet. Das Wort „vielleicht", das Plüß einfügt, fällt nicht ins Ge-
wicht, da er dieselbe Ansicht im nächsten Satz schärfer ausspricht: „Doch
wohl, weil ihm der Muttermord ein Greuel ist". Wenn Plüß so den
Apollon des Sophokles von der Anschauung, der Muttermord sei berechtigt,
befreien will, so treibt er den Teufel mit Beelzebub aus: er muß dann
logischerweise zugeben, wie ich eben auseinandersetzte, daß Apollon einen
Religionsgeschichtliche Versuche u. Vorarbeiten XII, 1. 4
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Blutrache von vornherein fest auch gegenüber der eigenen
Mutter, so gut wie für Elektra, die sich selbst zum Rachewerk
entschließt, als sie den Bruder für tot halten muß (954 ff.).
Aber der schon vorhandene Vorsatz des Orestes wird durch
das Geheiß des Gottes außerordentlich gefestigt, denn Apollon
kennt untrüglich das, was Zeus befiehlt, und was der Gott
will, das ist gut, eben weil es der Gott will. Dieselbe An-
schauung des Dichters geht mit absoluter Klarheit aus Frag-
ment 226 hervor:
^o^og ya( )ovdeig rt^v ov av zc^a 3e6g.
a^ elg 3eovg oQwvza, zav e&,w ör/^g
%coQ&lv Kegeln, xeia" odomo^elv %oed)V'
ato/^bv ya^ ouö&v wv vcprffovviat 3eoi.
Das ist die sophokleische Auffassung von der sittlichen
Berechtigung der Rache; der Mord ist gut deswegen, weil er
im Einklang steht mit dem Willen der Gottheit. Wenn jetzt
Apollon dem Orestes die Tat anbefiehlt, so nimmt der Gott
allein die Verantwortung auf sich, denn er hat gegen das
ihm wohlbekannte Vorhaben des Jünglings kein Veto ein-
gelegt und damit seine Zustimmung erklärt1. Aber der Wille
1 Ich kann es nicht verstehen, daß Plüß, Aberglaube und Religion
in Sophokles' Elektra 24 sagt: „Also der Gott selber, scheint es, erkennt
es als rechtmäßig an, daß die Mörder einen blutig gewaltsamen Tod er-
leiden; daß aber der Sohn selber, auch an der Mutter, das vollziehe, hat
der Fragende dem Gott vorweggenommen: vielleicht würde es Apollon
anders geboten haben. Und was die Art und Weise der Tötung betrifft,
so kennt auch der Gott die kriegerisch offene Weise als die nächstliegende,
aber er verbietet sie für diesen besonderen Fall. Warum? Doch wohl,
weil ihm der Muttermord ein Greuel ist. Jedenfalls aber erkennt Orest
dies nicht". Wenn Loxias mit dem Muttermord an sich schon nicht ein-
verstanden ist, so braucht er auf die Frage ov«?tootz«) keine Antwort zu
erteilen oder eine ablehnende; wenn der Gott die Art und Weise anbefiehlt,
so gibt er damit implicite ohne jeden Zweifel an, daß er die Tat selbst
billigt. Seneca, Troades 291 sagt mit Recht: qui non vetat peccare, cum
possit, iubet. Das Wort „vielleicht", das Plüß einfügt, fällt nicht ins Ge-
wicht, da er dieselbe Ansicht im nächsten Satz schärfer ausspricht: „Doch
wohl, weil ihm der Muttermord ein Greuel ist". Wenn Plüß so den
Apollon des Sophokles von der Anschauung, der Muttermord sei berechtigt,
befreien will, so treibt er den Teufel mit Beelzebub aus: er muß dann
logischerweise zugeben, wie ich eben auseinandersetzte, daß Apollon einen
Religionsgeschichtliche Versuche u. Vorarbeiten XII, 1. 4