Das Motiv der Mantik im antiken Drama
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aisehyleische Fassung des Traumes ist ganz eindeutig, es kann
mit ihm nur Gefahr für Klytaimestra angedeutet sein. Dem
künstlerisch fortgeschritteneren Sophokles genügte diese mehr
primitive, wenn auch außerordentlich wirkungsvolle Gestaltung1
nicht mehr. Wie er bei dem Aufbau seiner dramatischen Szenen
mit Vorliebe ein Hangen und Bangen in schwebender Pein
bei den handelnden Personen wie bei den Zuschauern hervor?
zubringen sucht, und wie er nur selten einen reinen Zustand
entweder gewisser Furcht oder bestimmter Hoffnung auf-
kommen läßt, sondern zumeist beides mischt, so hat er auch
hier, der feineren Zeichnung und dem Raffinement2 zuliebe,
eine andere Traumgestaltung, als sie das Drama seines Vor-
gängers aufwies, vorgezogen. Gewiß hat auch das Bedürfnis,
nicht als bloßer Nachahmer des Aischylos zu gelten, mit-
gespielt, ein Moment, das, wie Vollbehr3 wohl mit Recht be-
merkt hat, überhaupt viel zu wenig in Anschlag gebracht
wird. Die Anregung zu dem neuen Traum4 wurde dem
Tragiker durch seinen Freund Herodot gegeben, wie schon
längst gesehen worden ist, wohl durch den persönlichen Ver-
kehr, nicht erst aus dem schriftlich aufgezeichneten Geschichts-
werk 5. Herodot erzählt I 108 den Traum des Astyages. Der
Dichter mußte für seine Zwecke vieles umgestalten, wie sich
versteht. An Mandaues Stelle tritt Agamemnon; da er nicht
mehr unter den Lebenden weilt, muß er erst wieder zum
Licht emporsteigen. Mit dem Geschlechtswechsel muß auch
die Anknüpfung an den fruchtbaren Weibesschoß fallen. Es
1 Kaibel (im Kommentar zu Vers 417) sagt treffend: „Der Traum ist
dem Aischyleischen gegenüber dürftig, die Symbolik des Mandanetraums
kann unmöglich das packende Grauen ersetzen, wie es Aischylos seiner
Vorlage nachgemalt hat".
2 Man vgl. z. B. auch die auf die Spitze getriebene Anagnorisis
dieses Stücks.
3 De Oedipi regis Sophocleae oeconomia scenica, Progr. d. Gelehrten-
schule Glückstadt 1856, 4.
4 Vgl. über ihn Kaibel im Kommentar zu Vers 417, und Plüß, Aber-
glaube und Religion in Sophokles' Elektra 21 ff.
5 Daher hat W. Schmid kaum recht, wenn er in der Christschen
Literaturgeschichte I5 314 f. als terminus post quem für die Elektra den
Abschluß des herodoteischen Geschichtswerkes bezeichnet.
4*
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aisehyleische Fassung des Traumes ist ganz eindeutig, es kann
mit ihm nur Gefahr für Klytaimestra angedeutet sein. Dem
künstlerisch fortgeschritteneren Sophokles genügte diese mehr
primitive, wenn auch außerordentlich wirkungsvolle Gestaltung1
nicht mehr. Wie er bei dem Aufbau seiner dramatischen Szenen
mit Vorliebe ein Hangen und Bangen in schwebender Pein
bei den handelnden Personen wie bei den Zuschauern hervor?
zubringen sucht, und wie er nur selten einen reinen Zustand
entweder gewisser Furcht oder bestimmter Hoffnung auf-
kommen läßt, sondern zumeist beides mischt, so hat er auch
hier, der feineren Zeichnung und dem Raffinement2 zuliebe,
eine andere Traumgestaltung, als sie das Drama seines Vor-
gängers aufwies, vorgezogen. Gewiß hat auch das Bedürfnis,
nicht als bloßer Nachahmer des Aischylos zu gelten, mit-
gespielt, ein Moment, das, wie Vollbehr3 wohl mit Recht be-
merkt hat, überhaupt viel zu wenig in Anschlag gebracht
wird. Die Anregung zu dem neuen Traum4 wurde dem
Tragiker durch seinen Freund Herodot gegeben, wie schon
längst gesehen worden ist, wohl durch den persönlichen Ver-
kehr, nicht erst aus dem schriftlich aufgezeichneten Geschichts-
werk 5. Herodot erzählt I 108 den Traum des Astyages. Der
Dichter mußte für seine Zwecke vieles umgestalten, wie sich
versteht. An Mandaues Stelle tritt Agamemnon; da er nicht
mehr unter den Lebenden weilt, muß er erst wieder zum
Licht emporsteigen. Mit dem Geschlechtswechsel muß auch
die Anknüpfung an den fruchtbaren Weibesschoß fallen. Es
1 Kaibel (im Kommentar zu Vers 417) sagt treffend: „Der Traum ist
dem Aischyleischen gegenüber dürftig, die Symbolik des Mandanetraums
kann unmöglich das packende Grauen ersetzen, wie es Aischylos seiner
Vorlage nachgemalt hat".
2 Man vgl. z. B. auch die auf die Spitze getriebene Anagnorisis
dieses Stücks.
3 De Oedipi regis Sophocleae oeconomia scenica, Progr. d. Gelehrten-
schule Glückstadt 1856, 4.
4 Vgl. über ihn Kaibel im Kommentar zu Vers 417, und Plüß, Aber-
glaube und Religion in Sophokles' Elektra 21 ff.
5 Daher hat W. Schmid kaum recht, wenn er in der Christschen
Literaturgeschichte I5 314 f. als terminus post quem für die Elektra den
Abschluß des herodoteischen Geschichtswerkes bezeichnet.
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