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Staehlin, Rudolf
Das Motiv der Mantik im antiken Drama — Giessen: Toepelmann, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.74897#0108
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Rudolf Staehlin

Herakles macht sich freilich nichts daraus, ob er schon
von Leuten gesehen worden ist (595), aber er kann jetzt seinen
Vater Amphitryon, der ein unvermutetes Eingreifen der
lykosfreundlichen Partei in Theben fürchtet (593 f.), beruhigen.
Amphitryon knüpft an das eben Gehörte an und rät seinem
Sohn, auch die Tat selbst noch heimlich auszufuhren, so wie
er heimlich zurückgekehrt ist. Herakles befolgt diese Mahnung.
Das Motiv der Mantik hat sonach den Zweck, einerseits
Amphitryon und Chor mit Zuversicht zu erfüllen, das Rache-
werk an Lykos werde sich rasch vollziehen, und andererseits
die bei Herakles ungewohnte Art der Ausführung — List und
Versteck — zu begründen und es dem Zuschauer wahrschein-
lich zu machen, daß die Rache so schnell und ohne Hindernisse
vollführt wird. Es mußte dem Tragiker daran liegen, die
Bestrafung des Lykos nicht durch ein Eingreifen seiner An-
hänger zu erschweren und in die Länge zu ziehen, um das
Interesse nicht hier schon zu absorbieren, das er für den
zweiten Teil der Tragödie wach erhalten mußte.
Wenn die Tat im Inneren des Hauses geschieht, so ist
das vor allem natürlich durch die Theaterpraxis bedingt, die
keine Sterbeszenen auf der offenen Bühne dulden will 1
Daß das Motiv der Mantik hier vom Tragiker ad hoc
erfunden ist, kann a limine als sicher gelten. Man sieht,
wie leicht dem Dichter bereits die Begründung durch dieses
Motiv fällt: er braucht das Vogelzeichen nur ganz kurz zu
erwähnen (nicht einmal der Name des Vogels wird genannt),
um es sofort für den Bau des Dramas nutzbar machen zu
können. Die Oionoskopie war gewiß in den Tagen des Eu-
ripides in Athen noch ganz in Schwung, schon die Verspottung
bei Aristophanes 2 beweist es, wenn sie auch nicht mehr hoch
im Ansehen stand3. Aber in dem homerischen Epos, wie
überhaupt in der Heroenzeit spielt sie ja ihre große Rolle,
und an die wird der Tragiker gedacht haben, als er dies
Motiv verwendete. Hätte er den Glauben an die Oionoskopie
als anstößig für seinen Herakles empfunden, so hätte er das
Motiv sicherlich nicht so gebraucht, sondern eine andere Art
^VgLKiefer aaO. 103ff. 2 Siehe Kapitel V.
8 Das behauptet von Wilamowitz, Herakles II1 161.
 
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