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Steinmann, Ernst
Rom in der Renaissance: von Nicolaus V. bis auf Julius II. — Berühmte Kunststätten, Band 3: Leipzig: Seemann, 1899

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https://doi.org/10.11588/diglit.74094#0030
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16

Rom in der Renaissance.

Aonfekration des hl. Laurentius von allen Fresken der Nicolauskapelle am besten
erhalten und am eigenhändigsten von Fra Angelico gemalh der, wie wir wissen,
zahlreiche Gehülfen im Vatican beschäftigt hat. Die gelben und weißen Gewänder
der Prälaten, die hellblaue Pianeta des Papstes, die rosa, mit goldenen Flammen
verzierte Dalmatika des Laurentius haben noch alle einen Hauch der zarten Farben-
töne Fra Angelicos bewahrt, und seine feinen Pinselstriche erkennt man vor allem
noch am Uopfe des gleichfalls heilig gesprochenen Papstes Sixtus II.
Dagegen sind im folgenden Bilde gerade die Gesichter der beiden Haupt-
personen vollständig zerstört. Die Scene wird verschieden erklärt; wahrscheinlich
wollen die beiden Ariegsknechte den Airchenschatz rauben, den eben der Papst dem
neuen Diakonen zur Almosenverteilung übermittelt. Zeugen der Liebesthätigkeit des
hl. Laurentius sind wir in der That im nächsten Bilde an derselben Wand (Abb. s2).
Der Heilige schreitet eben aus der in kunstvoller Perspektive weit hinter ihm sich öffnenden
Basilica heraus, an deren Pforte ihn die Urüppel, die Lahmen, die Blinden erwarten,
ein Almosen erflehend, wie das noch Heute an hohen Feiertagen vor den Airchen
Roms geschieht. Als ein Bote Gottes, vom Himmel herabgesandt, nicht als ein
Mensch, wie die anderen, ist der Heilige hier gedacht, und die milde Schönheit seiner
idealen Erscheinung wird durch den aufsallend herben Realismus der Bettler aufs
wirksamste gehoben. Aber wie feinsinnig ist auch hier alles Unschöne vermieden,
z. B. in dem Arüppel, den man nur von hinten sieht, mit wie liebevoller Sorgfalt
sind die Aöpfe der beiden Greise behandelt, wie treffend ist der blinde Mann neben
der betenden Alten charakterisiert. Armut und Elend, welche sich hier so gelassen
und ruhig äußern — weiß doch ein jeder, daß er seine Gabe erhalten wird —
werden sicherlich die Teilnahme des Beschauers erregen, aber rührt uns nicht vor
allem die barmherzige Liebe, die all diesen Jammer zu trösten bereit ist?
Giebt sich Stephanus wenigstens die Mühe, vor dem Hohenpriester sein Leben
und seine Lehre zu verteidigen, so legt Laurentius vor dem Imperator dasselbe
weltentrückte Wesen an den Tag, das Masolinos hl. Taterina bei der vereitelten
Rädertortur charakterisiert (Abb. sZ). Die Marterwerkzeuge auf dem Boden vor ihm,
auf welche ihn sein Richter hinweist, sieht er nicht einmal an, die kalten Blicks der
neugierigen Menge prallen von ihm ab, ohne zu verletzen. Regungslos dastehend
in der ehrfurchtgebietenden geistlichen Amtstracht, den Blick über die Häupter der
Menscheu hinweg zum Himmel emporgehoben, nimmt er demutsvoll sein Geschick
aus einer höheren Hand und scheint mit den leise geöffneten Lippen himmlischen
Beistand für diese Stunde herabzuflehen.
Das Martyrium selbst endlich ist völlig zerstört, aber bei einer Scene, welche
der Empfindung und dem Aunftvermögen Fra Angelicos völlig zuwider sein mußte,
ist der Verlust am wenigsten zu beklagen.
Als Ganzes betrachtet bleiben die Fresken der Nicolauskapelle stets die
wunderbarsten Legendenschilderungen, die jemals einer Aünstlerhand gelungen sind.
Niemals wieder sind so heilige Gedanken in so reine Formen gekleidet worden,
niemals wieder ist der weltüberwindende Geist der Liebe, welcher die ersten Thristen
beseelte, so unmittelbar nachempfunden und so ergreifend zum Ausdruck gebracht,
wie durch Fra Angelico.
 
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