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Steinmann, Ernst; Michelangelo [Editor]; Lewald, Theodor [Honoree]
Michelangelo im Spiegel seiner Zeit — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 8: Leipzig: Poeschel & Trepte, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.47058#0030
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so ganz der Ausfluß seiner eigensten Persönlichkeit war, daß es ihm selbst un-
möglich erscheinen mußte, sie anderen mitzuteilen.
Aber das verzieh ihm die Menge der „Tante cose“, der Vielgeschäftigen, der
ehrgeizig aufwärts Strebenden nicht, die nicht begreifen konnten oder wollten,
warum er nicht im Gedränge mit ihnen sein Tagewerk vollbringen konnte, wie
alle anderen auch.
Daher die latente Feindschaft eines Bandinelli, die unüberwindliche Abneigung
eines Giovio, der unterdrückte Haß eines Aretino und der vielen anderen, deren
Namen wir nicht kennen. Wie charakteristisch ist in diesem Sinne das Schreiben,
das Giovio am 7. Mai 1547 an Vasari richtete1, als die Künstler-Viten wenigstens
im Umriß Gestalt gewonnen hatten. „Fröhlicher und stolzer und reicher“, schreibt
er an Vasari beglückwünschend, „müßt Ihr Euch fühlen, nachdem dieses Werk
vollbracht ist, als wenn Ihr die Kapelle Michelangelos gemalt hättet, die alle Tage
durch Zersetzung und Sprünge schnellem Untergang entgegengeht.“

KAPITEL II
DIE MICHELANGELO-LEGENDE
ANTON FRANCESCO DONI • PIETRO ARETINO
„Jeder richte mir sein Augenmerk darauf, um wieviel häufiger die Beispiele aus
dem häuslichen und intimen Leben bei Suetonius, als bei älteren Historikern
sind. Solche Darstellungen erscheinen mir zweifellos viel ersprießlicher und nütz-
licher, als die Erzählungen von dem, was in der Ratsversammlung, im Kriege und
in der Öffentlichkeit und vor aller Augen getan wird. Diese Dinge sind oft nur vor-
getäuscht oder zeitweilig, jene pflegen immer eigentümlich und bleibend zu sein.“
So hat sich Polizian in der Vorrede zu seiner Sueton-Ubersetzung geäußert, und
wer die gleichen Zeitabschnitte, von Sueton und von Tacitus beschrieben, in
ihrer Darstellung miteinander vergleicht, wird ihm recht geben müssen2. In
diesem Sinne betrachtet, gewinnen aber auch kleine Erzählungen und Legenden,
die sich schon in frühen Jahren um den Namen und um die Werke Michel-
angelos gewoben haben, für die Erkenntnis seines zwiespältigen Charakters und
seiner einzigartigen Kunst einen nicht geringen Wert, wenn sie auch keineswegs
als vollwertige historische Dokumente angesehen werden dürfen.
Schon Michelangelos Verhältnis zu anderen Künstlern ist früh der Legende
anheimgefallen. Cellini erzählt uns in seiner Autobiographie ausführlich von dem
Konflikt mit Torrigiani, der, von Michelangelo gereizt, ihm das Nasenbein ein-
1 K. Frey, Vasari, Literarischer Nachlaß. I, p. 198.
2 Angelo Polizianos Tagebuch (1477/79), cc'- Albert Wesselski, Jena 1929, p. XXXII.

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