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Steinmann, Ernst; Michelangelo [Hrsg.]; Lewald, Theodor [Gefeierte Pers.]
Michelangelo im Spiegel seiner Zeit — Römische Forschungen der Bibliotheca Hertziana, Band 8: Leipzig: Poeschel & Trepte, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.47058#0071
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ginnt1, und noch deutlicher offenbart sich die Auflehnung gegen den Michel-
angelo-Kult in ganz Italien in der im Jahre 1557 gleichfalls in Venedig erschie-
nenen Schrift des Lodovico Dolce2. Schon der Titel dieser Schrift „Aretino“
bedeutet ein Programm, das auch mit Konsequenz durchgeführt worden ist. Vor
allem aber ist diese Schrift bedeutsam, weil sie eigentlich zum erstenmal Raffael
in Gegensatz zu Michelangelo bringt, ja ihn in Erfindung und Anstand dem
großen Florentiner als überlegen schildert. Hier spüren wir aber auch deutlich
die ersten Wehen der Gegenreformation, die Michelangelos Jüngstem Gericht
fast verhängnisvoll werden sollte und die in seinem Todesjahr jene Dialoghi
des Gilio da Fabriano zeitigte, in denen zum erstenmal Theologen von Fach gegen
die Art, wie Michelangelo die heiligsten Mysterien der Kirche in seiner Kunst
behandelt hat, ohne jede Schärfe zwar, aber doch mit großer Entschiedenheit
Stellung nehmen3.
Solche Kritiken sind wohl nur gedämpft an das Ohr des großen Meisters gedrun-
gen, aber sie fanden doch einen gefährlichen Ausdruck darin, daß Paul IV. dem
Freunde Michelangelos Daniello da Volterra den Auftrag erteilte, die „Unan-
ständigkeiten“ des Jüngsten Gerichtes zu verdecken. „Sagt dem Papst,“ soll
Michelangelo gelassen gesagt haben, „daß dies eine kleine Sache sei, die ohne
viel Mühe richtiggestellt werden kann. Er solle nur die Welt in Ordnung
bringen.“4 Guten Gerüchten wie bösen Gerüchten gegenüber zeigte sich Michel-
angelo in gleicher Weise eigentlich vollständig unempfindlich. Er fühlte sich
wie die Natur selbst, als einer, der nur sich selber treu bleiben konnte und
seinen eigenen Gesetzen gehorchen mußte. Als Niccolo Martelli in einem
Schreiben vom 4. Dezember 1541 seinen Charakter und seine Kunst in den
Himmel erhob5, antworteteerschlicht: „Ich sehe, daß Ihr Euch eingebildet habt,
ich sei der geworden, den Gott aus mir machen wollte. In Wirklichkeit bin
ich aber ein armer Mensch von geringem Wert, der sich einfach in der Kunst
1 Neu gedruckt und von Sergio Ortolani aus dem Dialekt in die moderne Schriftsprache übertragen bei Stein-
mann-Wittkower, p. 419/423. Vgl. über Andrea Calmo auch La Libraria del Doni. Vinegia MDL, fol. 6 v.
und 7 r.
2 Dialogo della pittura di Lodovico Dolce intitolato 1’Aretino. Venezia, Giolito, 1557. Es gelang mir vor kurzem,
diese sehr seltene Originalausgabe für meine Michelangelo-Sammlung zu erwerben.
3 Due dialogi di Messer Giovanni Andrea Gilio da Fabriano. Camerino 1564. Vgl. Steinmann-Wittkower, p. 159.
4 Vgl. über die Schicksale des Jüngsten Gerichtes Steinmann, Sixtinische Kapelle II, 515 ff.
5 Ilprimo libro delle lettere di Niccolo Martelli, Fiorenza 1546. Brief vom 4. XII. 1541 (fälschlich datiert 1540).
Auch der Brief Martellis an den römischen Arzt Baccio Rontini (fol. 9’ u. 10') ist bemerkenswert als Zeugnis
der Verehrung und Wertschätzung, deren sich Michelangelo bei seinen Landsleuten in Florenz erfreute: „Und
hättet Ihr weiter nichts vollbracht“, so heißt es hier, „als zweimal den göttlichen Michelangelo geheilt zu
haben, einmal, als er in schweren Fieberkrämpfen darniederlag, einmal, als er vom Gerüst gefallen gänzlich
erschöpft und dem Tode nahe war, die ganze Welt müßte Euch Dank wissen für eine so schöne Tat.“ Vgl.
über Martelli auch: La libraria del Doni, Vinegia MDL, fol. 36 r., wo die Verdienste Martellis nicht ohne Ironie
aufgezählt werden und wo erwähnt wird, daß er seine Briefe (bei Doni selbst) auf eigene Kosten drucken ließ.

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