Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Steinraths, Felix J. F.
Albrecht Dürers Memorialtafeln aus der Zeit um 1500: Holzschuher-Epitaph - Glimm'sche Beweinung - Paumgartner-Altar; Rezeption, Forschungsstand und offene Fragen — Frankfurt am Main, Berlin, Bern, Bruxelles, New York, Oxford, Wien: Lang, 2000

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.74231#0513
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
483

sein Lehrbuch der angewandten Geometrie und Perspektive (»Unterweisung
der Messung«) zeigen uns Dürer als einen Künstler, der Maß nimmt: die im
Frühjahr des Jahres 1998 in den Räumen der Neuen Pinakothek gezeigte
Dürer-Ausstellung dokumentierte, daß sich im Mittelpunkt des zentralen
Rundbogens ein Zirkeleinstich (!) befindet. Da es sich bei den oben angedeu-
teten Bezügen nicht um »materielle« Linien des Bildes handelt (wie sie etwa
der Mittelpfosten, die Steinstufen oder andere lineare Elemente des Bildes
liefern würden), sondern um - gewissermaßen verborgene - Kompositionsli-
nien, die dem Betrachter erst dann »bewußt« werden, wenn er die - gleich-
sam »immateriellen« - Zentren (Lichterscheinung / Himmel / Bogenzwi-
schenraum) unterschiedlich großer Kreise verbindet, entfalten diese Linien
auch eine eher subtile, indirekte Wirkung. Albrecht Dürer mag daran gele-
gen gewesen sein, jene bedeutenden Aussagen des Andachtsbildes, auf einer
hintergründigen Ebene der Komposition wirken zu lassen. So mag es nicht
nur ein Zufall sein, wenn dem Verfasser die oben dargelegten Bezüge - zeit-
lich - erst bei der Abfassung dieser letzten Anmerkung seiner Dissertation
deutlich wurden.
2048. Die betreffende Stelle (»Zipfel des Kleides der Maria«) ist auf der Infrarotre-
flektographie des Gemäldes, aufgrund der sehr dunklen Farbe, äußerst schwer
zu interpretieren.
2049. Es ist höchst interessant zu sehen, daß Dürer die Form des Kopfes der Stifterin
bereits bei der Gestaltung des Mantels berücksichtigt hatte: der Kopf, der sich -
räumlich gesehen - vor dem Mantel befindet, ist - materiell gesehen - vom
Künstler auf einer tieferen Ebene unter dem Mantel angelegt: um den Mantel
aus dunklem Blau zu malen, hatte Dürer diesen aus mehreren Schichten aufge-
baut. Auch das Jesuskind liegt, wie die Stifterinnen und Bereiche des vorderen
Engelchens, in einer derartigen deutlich tieferen Ebene, weshalb im Inkarnat
Jesu auch die Unterzeichnung erkennbar ist. An dieser Stelle wird sehr deutlich,
daß Dürer - um die Leuchtkraft des hellen Kreidegrundes zu nutzen - die Form
des Kindes im dunklen Gewand aussparen mußte. Die Leuchtkraft und das
Strahlen des Inkarnats wären andernfalls nicht mehr zu erreichen gewesen.
Zugleich hatte der Künstler auf diese Weise ganz auf die Verwendung der blau-
en Mantelfarbe verzichten können, was in jedem Fall zu einer Kostenersparnis
führte (Siehe diesbezüglich auch Anmerkung 1510 mit Anmerkung 2042 dieser
Arbeit) führte.
2050. In den »Meditationen über das Leben Christi«, einer illustrierter Handschrift
des 14. Jahrhunderts, wurde - in Bezug auf die Geburt Jesu - von einer Säule
(allerdings als Säule der »Geburtshöhle«) berichtet; siehe diesbezüglich die
Übertragung des Textes (Paris, Bibliotheque Nationale: »MS. ITAL 115«) aus
dem Lateinischen von I. Ragusa und R.B. Green (1961), S.32: "[...] At mid-
night on Sunday, when the hour of the birth came, the Virgin rose and stood
erect against a coloumn that was there. But Joseph remained seated, downcast
[...]" Die Betonung der Säule auf einer »hintergründigen Ebene der Komposi-
tion« (Hierzu siehe Anmerkung 2047 dieser Arbeit) des Geburtsbildes dürfte
 
Annotationen