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Strzygowski, Josef
Das Werden des Barock bei Raphael und Correggio: nebst einm Anhang über Rembrandt — Strassburg: J. H. Ed. Heitz (Heitz & Mündel), 1898

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https://doi.org/10.11588/diglit.71578#0034
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11. Raphael und Bramante.

Und nun blicke man auf Raphaels Disputa: da kehren drei
Gestalten genau an den Stellen wieder wie bei Fra Filippo. Be-
sonders deutlich ist das auf der linken Seite: zuerst vorn ein
schöner Jüngling, der zurückblickend nach der Mitte zuschreitet,
dann die imposante Gewandfigur auf der Treppenstufe, endlich,
hinter den Kirchenvätern als Abschluss der ganzen Folge, der
greise Priester, der mit beiden Händen nach der Monstranz weist.
Ich denke es wird Jeder zugeben, dass diese Uebereinstimmung
nicht zufällig ist, die beiden Künstler vielmehr mit der Einfügung
dieser drei Gestalten dieselbe Absicht verfolgten. Nur übertrug
Fra Filippo die Function der Ueberleitung nach der Raumtiefe
zwei ehrsamen Heiligen und vier Engeln, d. h. er verwandte Ge-
stalten, deren Würde über ihre eigentliche Rolle hinwegtäuscht,
während Raphael, auf den Nimbus verzichtend, Männer bildete,
die nichts weiter sein wollen als der ideale Ausdruck für die
Function, welche ihnen im Aufbau der Composition zugewiesen
ist. Dieser grosse Schritt geschieht nicht unvermittelt; in den rund
siebzig Jahren, die zwischen jener Krönung und der Disputa liegen,
hatte Leonardo das bei Fra Filippo im Keime vorliegende Pro-
blem aufgegriffen und zur vollen Reife entwickelt. Wenn bei
Fra Filippo die überleitenden Figuren, trotz aller angewendeten
Mittel, ohne rechte Wirkung bleiben, bei Raphael dagegen that-
sächlich das Auge des Beschauers sofort auf sich ziehen, so steht
eben zwischen beiden vermittelnd und überleitend Leonardo.
Auf diese Beziehung weist gleicli der Schmuck des Altares
hin, wo Raphael Linienspiele anbrachte, wie sie zahlreich auf
Leonardo zurückzuführen sind. Sie fallen hier besonders in's Auge,
weil der Raum vor dem Altar, also die Mitte frei geblieben ist.
Bei Fra Filippo hatte sich die Anwendung perspectivischer, zu-
sammenlaufender Linien auf die Andeutung der Dreiecksseiten be-
schränkt, in der Disputa wird der ganze Vordergrund durch solche
Streifen ausgefüllt; sie bilden wie in Leonardos Abendmahl ein
wahres Netz von Fäden, das den Blick des Beschauers in die
Raumtiefe zieht. In dieser Richtung hatten ja schon Perugino und
Pinturricchio vermittelt. Offenbar leonardisch sind aber die Be-
wegungsmotive einzelner von den sechs Idealgestalten. Die beiden
 
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