III. Raphael, die Antike und Michelangelo.
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andern Strassenseite wird die jonische Ordnung in einer Vorder-
ansicht geboten; auch sie eine Aufnahme des neu ernannten
Dombaumeisters von S. Peter, der seine architektonischen Studien
gewissenhaft durchführt. — Die Art, wie diese Seitencoulissen nun
nach vorn mit Figuren staffiert sind, trägt nicht minder den Stempel
einer Zusammenstellung von Einzelstudien an sich. Auf der linken
Seite sehen wir die bekannte Hauptgruppe, den Mann, der einen
Greis auf dem Rücken trägt und von einem Knaben begleitet
wird. So kühn die Composition scheint, ist sie doch wohl über-
legt, der Parallelismus in der Lagerung der Beine wirkt wesentlich
zur ruhigen Entwicklung des Aufbaues bei. Man vergleiche damit
die unter Beobachtung ähnlicher Gesetze in der Vorderansicht
componirte Gruppe des 15 jährigen Bernini in der Villa Borghese,
einer fast wortgetreuen Illustration zu Virgils Aeneis II 721 ff.,
Palladion und Löwenfell, dann, dass Anchises den Aeneas wirklich
auf den Schultern trägt, unterscheiden die Gruppe von der mehr
allgemein nach dem Motiv erfassten des Raphael. Wäre nicht
die Verbindung mit dem brennenden Säulenbau und dem, wie
bei Virgil und Bernini, neben dem Vater herschreitenden Ascanius-
Julus, ferner die Thatsache, dass Raphael sich bei Schaffung des
Bildes auf das Eingehendste mit der Antike beschäftigte, so könnten
wir auch diese Gruppe, wie alles übrige, was auf dieser Bildseite
erscheint, für nicht mehr als einen genrehaften Act ansehen.1
Raphael hat sich in dem an der Wand herabhängenden Jüngling
und der schönen Gruppe, wie ein Mann das ihm von der Frau
gereichte Kind auffängt, garnicht bemüht eine überzeugende Mo-
tivirung zu geben; wir sehen nicht ein, wie die weit vorstehende
kahle Mauer zu solchen Scenen Anlass bieten kann. Auf der
andern Seite ist die Möglichkeit der herrlichen Motive besser be-
gründet, wenn auch Raphael seine jonische Fagade durch eine
Treppenrampe wieder verdecken musste, um für die Figuren die
nöthige Höhenentwicklung zu bekommen.
1 Elzheimer hat Raphaels Gruppe in seinen Brand von Troja in
der Münchner Pinakothek (Kl. B. ii i5) mit wenigen Veränderungen
aufgenommen.
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andern Strassenseite wird die jonische Ordnung in einer Vorder-
ansicht geboten; auch sie eine Aufnahme des neu ernannten
Dombaumeisters von S. Peter, der seine architektonischen Studien
gewissenhaft durchführt. — Die Art, wie diese Seitencoulissen nun
nach vorn mit Figuren staffiert sind, trägt nicht minder den Stempel
einer Zusammenstellung von Einzelstudien an sich. Auf der linken
Seite sehen wir die bekannte Hauptgruppe, den Mann, der einen
Greis auf dem Rücken trägt und von einem Knaben begleitet
wird. So kühn die Composition scheint, ist sie doch wohl über-
legt, der Parallelismus in der Lagerung der Beine wirkt wesentlich
zur ruhigen Entwicklung des Aufbaues bei. Man vergleiche damit
die unter Beobachtung ähnlicher Gesetze in der Vorderansicht
componirte Gruppe des 15 jährigen Bernini in der Villa Borghese,
einer fast wortgetreuen Illustration zu Virgils Aeneis II 721 ff.,
Palladion und Löwenfell, dann, dass Anchises den Aeneas wirklich
auf den Schultern trägt, unterscheiden die Gruppe von der mehr
allgemein nach dem Motiv erfassten des Raphael. Wäre nicht
die Verbindung mit dem brennenden Säulenbau und dem, wie
bei Virgil und Bernini, neben dem Vater herschreitenden Ascanius-
Julus, ferner die Thatsache, dass Raphael sich bei Schaffung des
Bildes auf das Eingehendste mit der Antike beschäftigte, so könnten
wir auch diese Gruppe, wie alles übrige, was auf dieser Bildseite
erscheint, für nicht mehr als einen genrehaften Act ansehen.1
Raphael hat sich in dem an der Wand herabhängenden Jüngling
und der schönen Gruppe, wie ein Mann das ihm von der Frau
gereichte Kind auffängt, garnicht bemüht eine überzeugende Mo-
tivirung zu geben; wir sehen nicht ein, wie die weit vorstehende
kahle Mauer zu solchen Scenen Anlass bieten kann. Auf der
andern Seite ist die Möglichkeit der herrlichen Motive besser be-
gründet, wenn auch Raphael seine jonische Fagade durch eine
Treppenrampe wieder verdecken musste, um für die Figuren die
nöthige Höhenentwicklung zu bekommen.
1 Elzheimer hat Raphaels Gruppe in seinen Brand von Troja in
der Münchner Pinakothek (Kl. B. ii i5) mit wenigen Veränderungen
aufgenommen.