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Strzygowski, Josef
Die Landschaft in der nordischen Kunst — Bibliothek der Kunstgeschichte, Band 17: Leipzig: Verlag von E.A. Seemann, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.61209#0007
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Der Mensch des Südens hat die Bildende Kunst von
allem Anfang an zur Darstellung von Lebewesen ver-
wendet, um dadurch zeitliche oder jenseitige Besitzan-
sprüche geltend zu machen. Der Mensch des Nordens,
soweit er vom vorauseilenden Süden unabhängig blieb,
ist vom Handwerk zur schmückenden Kunst gekommen,
und wo er sich der Natur als Gestalt zu bedienen begann,
nicht vom einzelnen Lebewesen, sondern von der Dar-
stellung des Ganzen der Natur, der Landschaft, ausge-
gangen. Das ist bisher von der Kunstgeschichte nicht
beachtet worden. In ein paar Zeilen zu zwanzig Tafeln,
die (ohne eigens dafür unternommene Forschungsreisen)
gerade zur Hand sind, soll gezeigt werden, wo das Auf-
kommen der ältesten nordischen Ausdruckslandschaft in
der Bildenden Kunst vorzustellen wäre, und wie seltsam
diese erste Blüte in Dürers Zeit erst derart abstirbt, daß
heute kaum noch jemand von ihr eine Ahnung hat.
Ich gehe aus von der Landschaft in den Mosaiken von
Ravenna und nehme als Beispiel eine Darstellung, die
auf seltsame Weise das ganze Bildfeld der Höhe nach
ausfüllt, einen der Evangelisten an der Chorwand von
S. Vitale. Lukas (Abb. 1) sitzt in Vorderansicht auf der
zweiten von mehreren Felsstufen; die erste dient den
Füßen und einem Korb mit Rollen als Auflager. Vorn
eine Sumpflandschaft. Hinter dem nach aufwärts blik-
kenden Heiligen mehrere andere Stufen und auf der
obersten, den Evangelisten überragend, in strenger Sei-
tenansicht zwischen Bäumen sein Sinnbild, der Ochse;
hinter ihm ein Höhenrücken und Wolken. Die Land-
schaft füllt die ganze Fläche ohne die geringste Raum-
wirkung. Sie dient als Gestell zur Unterbringung aller
gegenständlich geforderten Gestalten nach dem Grund-
sätze, daß sich diese nicht überschneiden dürfen. Der
Reiher unten und das Tier oben stehen in keiner
rechten Raumbeziehung zu dem riesigen Heiligen und
der Landschaft.

B.D.K. 17

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