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Strzygowski, Josef [Hrsg.]
Die indischen Miniaturen im Schlosse Schönbrunn (1): Tafelband — Wien: Wiener Druck, 1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.68458#0012
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SCHÖNBRUNN VON DER GARTENSEITE
ÖLGEMÄLDE VON BERNARDO BELOTTO, GEN. CANALETTO (1759)


SEIT der Jahrhundertwende fängt man an, nicht nur jene Kunstwerke zu betrachten, die sich irgendwie unzwei-
deutig um die griechisch-römische Antike oder um Westeuropa gruppieren lassen, sondern geht auch solchen Kunst-
kreisen nach, die mit der vom Humanismus seit der Renaissance und der Geschichtsphilosophie des 19. Jahrhunderts
ausgebildeten Anschauung auf den ersten Blick nichts zu tun haben. Wahrend man bei der Betrachtung der Kunst
in China und Japan von den Erzeugnissen der Gegenwart erst zur älteren Kunst emporstieg, ging man beim Studium
der indischen Kunst den entgegengesetzten Weg: man beschäftigte sich mit den ältesten Denkmälern und ließ die jüngsten un-
beachtet. In den letzten Jahren hat sich das geändert: auch der jüngeren indischen Kunst wird ihr Recht zuteil. Während
aber die Bestände der Sammlungen in Amerika, London und Berlin von der Wissenschaft besprochen wurden, blieb Wien wie
gewöhnlich unbeachtet.
Der Zweck dieser Veröffentlichung ist also ein doppelter: einmal in einem ersten Beispiele auf die reichen Schätze des Lust-
schlosses Schönbrunn bei Wien hinzuweisen und damit einen Beitrag zur Geschichte des österreichischen Rokoko zu liefern,
andrerseits den hier im Bilde vorgeführten Schatz an indischen Miniaturen, über dessen Herkunft und wissenschaftliche Bedeu-
tung bisher nur sehr unklare Angaben gemacht werden konnten, ins rechte Licht zu stellen.
Die Miniaturen, welche das wegen seiner reichen Ausstattung Millionen- oder nach der Art des zur Wandtäfelung verwendeten
Holzes so genannte Feketinzimmer schmücken, entsprechen insofern nicht unsern Ansprüchen an einwandfreie Sammlungs-
stücke, als die Bilder sich bei ihrer mosaikartigen Zusammensetzung auf sechzig Holztafeln ein mannigfaches Zurechtschneiden
und Übermalen gefallen lassen mußten. Aber gilt ähnliches nicht auch für einzelne der kostbarsten europäischen Museums-
schätze? Mußte sich doch ein Großteil der im Wiener Kunsthistorischen Staatsmuseum vereinigten Bilder bei der seinerzeitigen
Unterbringung in der Stallburg eine ähnliche Behandlung gefallen lassen, so die Werke von Tizian, Correggio und Rembrandt.
Nur sind diese seitdem aus ihren Fesseln befreit und wieder hergerichtet worden, während die indische Kleinkunst in Schön-
brunn heute noch in der ihr durch die europäische »Kultur« aufgezwungenen Verballhornung schmachtet. Die Miniaturen er-
scheinen in diesem Bande in ihrer jetzigen Gestalt; einer späteren Zeit sei es überlassen, diesen Zusammenhang zu lösen und die
Bilder in jene Ordnung zu bringen, wie sie einst bestanden haben mag. — In erster Linie finden sich hier Szenen aus dem höfischen
Leben und Einzelbildnisse der Herrscher und Großen des Mogulreiches, jenes Indien, das von den ihm stammesfremden Mo-
hammedanern erobert und beherrscht wurde:Timur, als Ahnherr des Geschlechtes, Humajun (1530—1556), Akbar (1556—1605),
Djehangir (1605—28), Schah Djehan (1628—1659) und Aurangzib (1659—1707) erscheinen mehrfach auf den Blättern, deren
eines die Jahreszahl 1037 (1627/8 n. Chr.) trägt. Daneben findet sich eine Fülle von Darstellungen aus dem täglichen Leben:
Jagd und Kampf, Harems- und Liebesszenen, Handwerks- und Opferbräuche. Für die übervölkische Stellung dieser Hofkunst
zeugt die mannigfache Gestaltenwelt, in der sich Zeitgemäßes mit alten indischen und persischen, ja selbst, wenn auch ver-
einzelt, mit europäischen und chinesischen Typen mischt. Das bei eingehender Naturbeobachtung vielfach tiefenräumliche Form-
empfinden bewahrt doch immer durch flächenhafte Verteilung und deutliche Trennung der Einzelgestalten und Gruppen, wie
durch Verwendung von Ortsfarben und Gold den Zug nach erzählender Klarheit und schmückendem Aufbau bei (siehe als
Beispiel dafür Tafel 11a). Daneben findet sich ein hochausgebildeter zeichnerischer Stil, der auf den Glanz der Farbe fast ver-

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