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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 20 (Juli 1910)
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Vogt, Karl: Nissen als Theaterdirektor
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Minimax: Kriegsbericht
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Beachtenswerte Büchen und Tonwerke
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Nissen als Theaterdirektor

Von Karl Vogt

Im Jahre 1905 war der Vertrag Niessens mit
dem Burgtheater in Wien abgelaufen. Um diese
Zeit wurde die Direktion des Neuen Theaters in
Berlin frei. Unter den vielen ernsthaften Kandi-
daten für die freigewordene Direktion befand sich
auch Nissen. Er überbot alle seine Mitbewerber
und schloß durch die Agentur Ledner den Vertrag
-wegen Direktionsübernahme ab. Stolz veröffent-
lichte er sein Programm in der B. Z. am Mittag.
Danach waren alle Theaterdirektoren nichts wert •
er werde endlich der eigentlich theatralischen Kunst
einen Tempel bauen, denn den Dramatikern vom
SChlage Philippis, Fuldas, Max Dreyers, fehle noch
immer die Heimstätte.

Am Tage, als er die erste Rate seiner Pacht-
summt bezahlen sollte, war Herr Nissen aus Berlin
verschwunden. Ledner, der mit dem ganzen An-
seheu seiner großen Firma sich in gutem Glauben
für Nissen eingesetzt hatte, suchte ihn in allen
Hotels; Herr Nissen war nicht zu finden. Ledner
versuchte nun geschickt und vornehm die Sache
aus der Welt zu schaffen und fand auch einen
Bewerber, der in den Pachtvertrag mit dem Neuen
Theater eintrat.

In Wien aber erregte es schallendes Gelächter,
als Nissens Erklärung bekannt wurde, er sei von
der Direktion des Neuen Theaters zurüCkgetreten,
da ihn seine Geldgeber in StiCh gelassen hätten.
Denn es war hier ein öffentliChes Geheimnis, daß
Nissen das Geld durch eine Kollegin vom Burg-
theater erhalten sollte, ein Fräulein W., zu der
er in meur als freundschaftlichen Beziehungen stand
und die einen reichen Liebhaber bewegen solite,
das Geld für Nissens Unternehmung herzugeben.
Als Gegenleistung sollte sie einen zehnjährigen un-
kündbaren Vertrag an das Neue Theater erhalten;
im Vertrauen darauf hatte sie ihr Wiener Engage-
ment gelöst und sah sich jetzt existenzlos; durch
einen günstigen Zufall, und dadurch, tiaß sie wirk-
lich eine gute Schauspielerin war, gelang es ihr
aber, dann wieder ins Ensemble des Burgtheaters
zu kommen.

Die Genossenschaft eifert jetzt so emphatisch
gegen die Schiebungen, unsauberen Manöver, Wei-
berwirtschaft und außergeschäftlichen Interessen,
Unter denen so manche Theatergründungen zu-
stande kämen. Es ist bemerkenswert, daß der Ton
der sittlichen Entrüstung unter dem Präsidium des-
selben Mannes gepflegt wird, der, wie Karl Kraus
sagt, mit Gestank vom Throne seines Reiches schied.
Wenn gewerbsmäßige Zuhälter die Liebhaber ihrer
„Verhältnisse“ ausbeuten, so ist das nichts Neues.
Wenn aber der Ehrenmann, der sich von den Ge-
nossenschaftern tausend Kundgebungen des Ver-
trauens und der Verehrung entgegenbringen läßt,
noch in neuester Zeit mit dem Gelde, das ihm
seine Geliebte von einem reichen Liebhaber ver-
schaffen sollte, ein Theater aufmachen wollte, so
ist das wohl ein Fall, wie ihn die Theatergeschidhte
noch nicht verzeichnet.

Nissen hatte, als sein Vertrag mit dem Burg-
theater zu Ende war, einen längeren Vertrag zu-
geschickt bekommen, ihn aber ruhig liegen lassen
und die Direktionsgeschäfte mit dem Neuen The-

ater betrieben. Auch in Wien ließi er sich' inter-
viewen, verhandelte in den Räumen des Burg-
theaters mit Schauspielern, Autoren, Technikern,
kam mit Leuten wie Kramer, Novotny usw. bis
dicht vor den Abschlußi, erwarb Tast über ein
Dutzend Stücke, bis die Sache das bekannte schmäh-
liche Ende nahm.

Um siCh selbst aus! dem allgemeinen Schiff-
bruch zu retten, erinnerte sich Nissen jetzt seines
erneuerten Vertrages mit dem Burgtheater. Ob-
wohl Wochen vergangen waren, ohne daß er den-
selben gegengezeichnet hätte, und obwohl er vier-
undzwanzig Stunden vorher noch durch seinen
Agenten um Lösung des Vertrages gebeten hatte,
der ihm gewährt wurde, schickte er den Vertrag
auf einmal unterzeichnet zurück in der naiven An-
nahme, das Burgtheater sei während der ganzen
Zeit gebunden gewesen.

Die oberste Hofbehörde, die es grundsätzlich
auf einen Prozeß nicht ankommen lassen wollte,
ließ sich als Kompromiß auf einen kurzen Vertrag
mit Nissen ein, der jedoch dann in neuen und
nennenswerten Rollen nicht mehr beschäftigt wurde.

Am interessantesten sind freilich die beson-
deren Machenschaften, die Nissen versuchte, um
seine Direktionsführung Vorteilhaft und möglichst
gefahrlos zu gestalten. Weit über einhündert Schau-
spielern ließ er durch seine Agentur Verträge an-
bieten. Von dem Inhaber der Agentur gefragt,
ob er denn — als früherer Genossenischäftspräsi-
dent - t- Genossenschaftsverträge fühfen wolle, ver-
neinte er das hohnlachend und entwarf im Gegen-
teil ein Vertragsformular, welches sich 1 der Agent
weigerte, aus seinem Hause zu schidken! Mit dem
Hinweis, die Schäuspieler läsen ja doch nicht die
|Verträge, die sie unterschfieben, wollte Herr Nissen
die Kündigung unter den besonderen Bestimmungen
streichen, unter den allgelmeinen Bestimmungen aber
ein einseitiges Prolongationsrecht zu seinen Gun-
sten einschmuggeln.

Die Unruhe, die Nissen mit seiner Direktions-
affaire in Berlin erregt hätte, schlug so weite Kreise,
daß ein sehr zahlreiches Publiküm hiervon unter-
richtet ist. Im Zusammenhang damit erklärte jm
Dezember 1905 ein bekannter Berüner Bühnenleiter
im „Berliner Börsen - Courier“ wörtlich über
Nissen: „Ich känn ihm den Vorwurf der bewußten
Unwahrheit nicht ersparen und bin bercit, diesen
schvver wiegenden Vorwurf vor Gericht zu er-
härten“. Der „Genossenschäftspräsident“, wie er
sich immer emphatisch nennt, wenn es sich um
ganz persönliche Dinge gegen ihn handelt, be-
gnügt sich dämit, zwei Tage darauf im „Berliner
Tageblatt“ zu erklären, daß er seinen Rechtsanwalt
beauftragt habe, die gerichtlichen Schritte gegen
den Beleidiger einzuleiten.

Von einem gerichtliChen Austrag der Ange-
legenheit hat man dann aber näemals mehr etwas
gehört.

Im Hause des Intendanzrats Ledner, Berlin,
Taubenstraße 44/45, liegen die aktenmäßigen Be-
lege für diese Dinge, Originalbriefe desl Fräulein W.,
Telegrämme Nissens usw. Sie alle können noch
in vielen Einzelheiten beweisen, wie gewissenlos
Nissen mit Existenzen gespielt hät. Wie würde
heute das Rechtsschutzbureau diesen Fal! beur-
teilen? Ein Direktor ohne Geld, ohne Konzession,
der Mitgliedern Verträge anbietet (und was für

Verträge), der Schauspieler aus sicheren Engage-
ments lockt, der sich das Kapital auf eine sehr
unfaire Weise zu verschäffen sucht, um sühließlich
— kläglich zu stranden!

Mit Erlaubnis des Verlags Alfred Pulvermacher
& Co. entnommen der Broschüre Nissen: Ein
Kapitel Bühnengenossenschäft *

Wenn Herr Nissen noch eine Spur Ehrgefühl besitzt,
Wird er nicht umhin können, sich unverzüglich von
seineti Amtsgeschäften als Präsident der Genossenschaft
suspendieren zu lassen. Die nächste Delegiertenversamm-
lung enthebt ihn ja doch zweifellos seiner unrühmlichen
Tätigkeit. Vielleicht entschliesst sich die Genossen-
schaft auch endlich einmal, die ihr alljährlich Vorgelegten
gedruckten Bilanzen von Fachmännern für Druck und
Expedition prüfen zu lassen. Sie dürfte dabei erstaun-
liches erfahren. Ich für meine Person Will ihr bei dieser
Gelegenheit schon heute mitteilen, dass die Angaben
im Rechenschaftsbericht der Zeitung Der Neue Weg
(Protokoll Dezember 1909), soweit sie meine Tätigkeit
betreffen, unwahr, zum mindesten falsch dargestellt sind.
Die Angelegenheit an dieser Steüe zu erörtern, hat ftir
die Leser des Sturms kein Interesse. Ein Satz der
Bilanz ist jedoch von so köstlichem Humor, dass ich ihn
nicht gern kaufmännisch Gebildeten unterschlagen möchte:
„Die Einnahmen sind annähernd gleich hoch den
imVorjahr dafür erzielten Beträgen. Sie waren jedoch im
Vorjahr für z W ö 1 f Monate und sind in diesem Geschäfts-
jahr nur für neun Monate eingestellt.“ H. W.

Kriegsbericht

Der Hallesche S. C. ist am Freitag abend mit
Sonderzug nach Rom abgereist und um 8 Uhr
abends des nächsten Tages dort eingetroffen. Hat
sich gleich von der Bahn im LaufsChritt zum Vatikan
begeben, den Vatikan um VälO Uhr erstürmt, die
InsasSen, Kardinäle, BisChöfe, unter die Bevölke-
rung zerstreut, die kathöIisChe Kirche von kurzer
Hand aufgelöst, den Papst um 11 Uhr des heiligen
Stuhls beraubt. Sonnabend nacht unter ‘Mitnahme
des heiligen Stuhls, Rückreise per Sonderzug nach
Halle a. d. Saale; Ankunft dort Montag früh 6Uhr;
sofortiger eiliger außerordentlicher Frühschoppen
unter Zuziehüng sämtlicher A. H. A. H., Referat
der Führer stud. phjl. Hurtig und Cand. th'eol.
Wim'mer; finales Freudengeheul an der Fuchsen-
tafel; Dankgebet der damit beauftragten Burschen-
kornmission unter demonstrativer Vorführung des
heiligen Stuhles vor den protestantischen Herrgott
zu Halle an der Saale. Minimax

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