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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 20 (Juli 1910)
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Pfankuch, Siegfried: Liegt der Friede in der Luft?: Eine Entgegnung
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Scheerbart, Paul: Gegenerklärung
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0163

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Siegfried Wagner

Laterne zu suchen, und die Luftschiffergeneralstabs-
karten lassen slch auf jeder besseren Wolke aus-
breiten.

,‘Nachts, in der Luft aus dem Hinterhalte“, heißt
es bei Scheerbart.

Scheerbart mag sich’ einmal von den Offizieren
des Luftschifferbataillons erzählen lassen, ob das
Herumgondeln in der Luft anstrengend für Geist
und Körper ist oder nicht.

Er dürfte dann etwas anders über den geistigen
Energieaufwand denken, den er für seine Luft-
krieger als so überaus geringwertig einzuschätzen
bcliebt.

Es mag sich ganz hübsch anhören, wenn man
diese romantischen Luftkriegsphantasien vernimmt,
die nicht einmal den Reiz haben, neu zu sein. Solche
Eläubigen Optimisten sind zu beneiden, denen die
Luft immer noch Luft ist, und die Schwierigkeiten,
die sie nicht sehen, nicht kennen.

Vielleicht glaubt Sch'eerbart auch, daß der !n-
telügenzaufwand proportional mit abnehmendem
Luftdruck geringer werden könne.

Daß man oben mit weniger Verstand auskommt
als hier unten, hät an und für sich etwas Einle'uchten-
d^s und Verlockendes^.

Und schließlich scheint das Themü nur ein Vor-
' Vand, um wieder einmal den ewigen Frieden h'och'-
* eben zu Iassen.

Ich will mich hier nicht über den Begriff des
Friedens, noch über seine Bedeutung ünd seinen
} vert für den modernen Staatsorganismus auslassen,
Ick möchte nur in Abrede stellen, daß der Bau
cmer Luftflotte, und sei sie noch 1 so stark, unser
^ndheer oder unsere Marine je überflüssig ma-
c‘ len kann, und daß eine solche übermächtige Flotte
^uf immer den Frieden zu diktieren vermöchte.

Es ist eine völlige Verkennung der Cedeutung,
^ JVertes und des Zweckes tcchnischer, ^hysi-

kälischer, chemischer oder sonstiger Erfindungen,
wenn man von ihnen erhofft, daßi sie Ideale ver-
wirklichen sollen, die dem' Lebensprinzip der
Menschheit zuwiderlaufen. «

Ebensowenig wie die Entdecküng eines 1 Mannes
die Hungrigen stillen und die sozialen Gegensätze
ausgieichen könnte, ebensbwenig wie die Lösung
einer der großen Du Bois Reymondschen Welt-
rätsel der Menschheit ein neues Paradies erschließen
wird, wo aller Kampf um Brot und Liebe in himm-
lische Harmonie sich auflöst, ebensowenig wie es
unserer großen sbzialen Gesetzgebung und unsern
Wohlfahrtsmanövern gelingt, die breiten Massen
des Volkes zufriedener zu machen, so wird es auch
einem Grafcn Zeppelin nicht gliicken, den ewigen
Völkerfrieden der Menschheit zu schenken.

Denn der Friede ist kein Kompromis in Sachen
moderner Gesellsch'aftsmoral, kein notarieller Ver-
gleich, keine Aktiengesellschaft, die einfach 1 die Kon-
kurrenz aufkaüft. Der Friede ist keine Lebensform,
die wir mit Hilfe technischer oder chemischer Er-
findungen erzwingen können, um sie der beglückten
Menschheit in Dosen zu 50 Pfermig einzuflößen.

Fürchten wir uns nicht zu sehr vor dem Krieg
der Zukunft!

Ein luftiger Krieg, Herr Scheerbart, ist mir noch
immer lieber wie ein windiger Friede!

Gegenerklärnng

Von Paul Seheerbart

Wallenstein sagte bekanntlich mal zu seinen
Generalen:

Seid Ihr nicht wie die Weiber,

Die zurtick uur kotnmen
Auf ihr erstes Wort,

Wenn, man Vernunft .gesprochen
Stundenlang ?

So auch in der vorstehenden „Entgegnung".
Zuletzt wird kaltblütig wieder erklärt „Marine und
Landheer durch Luftflotte einfach nicht umzu-
bringen. Soldatspielen bleibt HauptsächC auf dem
Erdball. Dieser Kugel — daher Kugelmilitarismüs“.

Es ist zum Kugeln.

Es müßte ein „oratorischer Orden“ gegründet
werden. Und der müßte nur den höheren Offizieren
verliehen werden.

Wie sagte doch der alte Goethe?

„Rede, Feldherr, dummes Zeug,

Dass der Feind sich krümmt vor Lachen
Dann kann er im Ernst nichts machen;

Er muss lachen, lachen, Iachen!“

Wenn jemand ruhig niederschreibt, daß die Ent-
deckung eines Mannas die Hungrigen nicht stillt
— so kann er auch schreiben : Was soll einer, der
drei Tage nichts gegessen hät, mit sechs guten
gebratenen Gänsen anfangen? Die stillen doch den
Hunger nicht!

„Fürchten wir uns nicht vor dem Kriege der
Zukunft!“ — Das ist ein herrliches Schlußwort!

Was ist denn Großes dabei, wenn uns der
Kopf abgerissen wird? Ein Kopf mehr oder
weniger — macht doch nicht viel aus. Bei Erd-
beben gehen auch oft die Menschen zu Hündert-
tausenden zugrunde. Warum soll man also im
Kriege nicht mal hunderttausend Menschen Arme,
Beine und Köpfe absprengen? Du lieber Himmel!
Unglücksfälle kommen doch alle Tage vor. Wer
wird sich darüber aufregen? Nur keine Furcht
vor dem Dynamit! Sterben müssen wir alle mal.

Ja! . ; ■ '

Immerhin: man könnte meinen, daß ich' auf das

„Sachliche“ in der vorliegenden Entgegnung wieder
nichts zu sagen habe. Darum will ich die Sätze,
die sachlich zu sein „scheinen“, mit einer möglichst
kurzen Erwiderung beglücken — wenn es mir auch
schwer fällt.

Die Geldfrage ist sehr einfach dadurch gelöst,
daß man zunächst die Pferde der Reiterei verkaufi
und die Festungsanlagen meistbietend versteigert.
Beides bringt so viel Geld ein, daß jeder Staat
sofort tausend Luftschiffe bauen kann. . . .

Ferner: Soldaten sollen Landungen und Aüf-
stiege decken? Ja — wird tnan der.n in Gegen-
wart des Herrn Feindes aufsteigen und landen?
Das wären ja Schildbiirgerwitze ....

Ein Ueber-Dreadnought auf dem Wasser ist sö
zu bauen, daß ihm Torpedos nich'ts schäden können?
So! So! Ich 1 empfehle, die Landesgrenzen mit Mau-
ern zu umgeben, die von keinem Sprengstoff ver-
letzt werden können. Die Herren Flottenvereinler
können diese Idee gratis verwerten zum Heile des
Vaterlandes, das' ich so sehr liebe.

Buchdruckerkünst und Telegraphie sind doch
nicht Gegner des gesprochenen Wortes — wie sollen
sie da dieses überflüssig machen? Und die Eisen-
bahnen und Automobile sind doch nidht Gegner
der Fortbewegung — wie sollen sie tia die Fort-
bewegung mit Hilfe der Beine überflüssig machen?

Die Lufttorpedos aber sind Gegner der Ka-
nonen und Kriegsschiffe — wenn sie diese leicht
vernichten können, so werden dieSe eben über-
flüssig —, man baut nicht Waffen, die leicht ver-
nichtet werden können. . . .

’Daß das Fahren in der Luft geistanstrengend
sein känn, soll gerne zugegeben werden. Wenn aber
behauptet wird, daß das drahtlose Dirigieren eines
Aeroplan-Torpedos oder das einfach’e Hinauswerfen
des Dynamits geistanstrengend ist, so kann man
doch nur lachen. . . .

Und von der Sch'wierigkeit der Orientierung
sollte man nicht reden. Nachts ist jede große Stadt
vom Ballon aus ganz Ieicht zu erkennen. Und man
braucht doch nur die großen Städte äuseinander-
zusprengen — das genügt doch im Zukünftskriege.

Man hät mir vorgeworfen, daß ich Selbstver-
ständlichkeiten erzähle, daß ich Dinge sage, die
andere Leute schon tausendmal gesagt haben. Ja
— warum wiederhöle ich denn diese Luftkriegs 1-
späße immer wieder? Doch nur in der Absicht,
dem Land- und See - Militarismus dadurch den
Garaus zu machen.

Und wenn man nicht bald den Anfang mif
der Auflösung macht, so wird man sich an aüßer-
europäische Großmächte wenden. Die Europäer
werden dann bald „gezwungen“ werden, den „Ver-(
alteten“ MilitarismüS' an den Nagel zu hängen. Idi
freue mich schon auf dieses Ereignis.
 
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