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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 9 (April 1910)
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Die Schreihälse
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Walden, Herwarth: Theoretische Dichter
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Beachtenswerte Bücher und Tonwerke
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0074

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Der Rüpel war ein Merr Lessing, die beiden Mo-
queure ein Herr Schlaikjer und ein Herr Schneidt.

Herrn Schlaikjers üble Wendungen auf Lu-
blinski werden durch einige Zitate aus Lublinskis
„Bilanz der Moderne“ leicht aufgeklärt. (Seite 201).
„Wenn der etwas später — als Sudermann — auf-
getretene Otto Ernst und Erich Schlaikjer an dieser
Stelle erwähnt wird, so nur deshalb, weil sich die
wunderbare Legende verbreitet hat, daß diese
beiden greulich schlechten Theaterdichter besser
waren als Sudermann. Das ist einfach nicht wahr.“
Ein andermal wird Herr Schlaikjer unter den „Volks-
erziehern und Gartenlaubepoeten siebenten Ranges“
genannt; er heißt „der sehr gesunde und sehr über-
flüssige Herr Schlaikjer.“

Herr Schneidt bedarf keiner Zitate. Wenn
Herr Schneidt schimpft, so bedarf er überhaupt
keines besonderen Grundes; der Mann schimpft,
wie der liebe Gott regnet, wie die Hunde bellen, wie
die Kater mauzen. Es ist zum Steinerweichen, aber
man muß es hinnehmen. Besonders in dem totalen
Quatsch, den er als „Ragout fin“ seinen bemit-
leidenswerten Lesern serviert, gibt er sich ent-
setzlich seinen Gefühlen hin. Er spricht dann ein
sonderbares Deutsch, wodurch er auch das Recht
gewinnt, Lublinski einen „Deutschverderber“ zu
nennen. Zum Beispiel fällt die Wendung, daß
irgendetwas „für es“ wichtig wäre; „für es“. Oder
Herr Schlaikjer wird demonstriert a!s „ein auf-
loderndes Temperament, das — felsenfest—“. Wenn
Herr Schlaikjer felsenfest auflodert, seh ich zu,
— werde ihm aber in seiner widernatürlichen Not
helfen.

Genug'aus der Sudelküche des Herrn Schreint.
Wen gehen im Grunde die Herren an und ihre Pro-
duktionen?

Goethe sagt:

Zehnmal gelesne Gedanken auf zehnmal bedrucktem

Papiere;

Auf zerriebenem Blei stumpfer und bleierner Witz.

R R.

Theoretische Dichter

Ein Herr Julius Bab begeht seit fünfhundert
Jahren dieselben trostlosen „Wege zum Drama“.
Er wird es nie finden, auch wenn er noch so be-
brillt durch die Spalten des kleinen ihm zur Ver-
fügung stehenden Theaterblättchens lugt. Auf
seinen Wanderungen aber pflückte er jüngst ein
Papierblümchen am Rande, das ein gütiger Re-
dakteur ihn durch den Weltspiege! beschauen ließ.
Der Sturm vernichtet die Jammerblüte durc'i
Druck.

Frühling in der Fremde
Frühling, komm’ und trage
Mich mit sanfter Hand,

Daß ich nicht mehr frage,

Wo mein Heimatland.

Laß in weichen Winden,

Die auf Feldern geh'n,

Du mich Wohnung finden —

Laß mein Haus ersteh’n!

Wenn in Sonnenwellen
Sich die Erde löst,

Wird der Zorn sich hellen,

Der ihr Kind verstösst.

Wird sie still sich neigen:

Kon m’, Verlorner du! —

Blüht aus allen Zweigen
Mir die Heimat zu.

Wege zur Lyrik.

Der edle Satiriker Dr. Theodor Lessing for-
dert* den Dichter Thomas Mann, weil ihm dieser
wegen seiner groben Rüpeleien gegen den Kritiker
Lublinski energisch übers Maul fuhr. Herr
Dr. Lessing hat offenbar das richtige Gefiihl, daß
man ihm nur mit einer Revolverkugel sein Mund-
werk stopfen kann. Er nimmt sogar mit einer ge-
wissen Befriedigung von der Parallele Kenntnis,
die einige Schriftsteller überflüssiger Weise und
natürlich ironisch mit Gotthold Ephraim Lessing ge-
zogen haben. Herr Lessing beruft sich wiederholt
in seinen jämmerlichen Verteidigungen auf sein an-
gestammtes Dichtertum. Ich will so gerecht
sein, hier einige Verse aus seiner Klage „Kirchen-
glocken“ der Oeffentlichkeit nicht vorzuenthalten:

Gar wohl gefiel mir der freundliche Inn,

Die Martinswand und der Isel.

Ich lief durch die Straßen mit fröhlichem Sinn,
Gar froh erregt wie ein Wiesel.

Dr. Rudolf Breitscheid / Demokratische Vereinigung / Aus einer Wahlrechtsrede im April 1910: 0

„ . . . diese Cafihausanarchlsten, dle immer im CaW sitzen und spintisieren und denken, sie können die Welt ver-

bessern! . . . Wir aber sind die Männer der Tat!“

Es ist keine Stadt der modernen Zeit,

Ist mittelalters Verstecke,

Voll österreichischer Frömmigkeit
Und italieni8chem Drecke.

Ein echter Heinrich Heine. Ich bin überzeugt,
Herr Lessing wird sich auf ihn berufen. Die beiden
Schlußstrophen sollen ihm Recht geben:

Ich machte sogleich meine Reverenz
Dem Herrn von der Vogelweiden,

Er sang von deutscher Freiheit Lenz,

Den konnt ich immer gut leiden.

0 Lenz! ’

Trank dann im Mohren Terlanerwein,

Kam helm im Morgenrot,

Und legte mich ins Bett hinein
Kreuzherrgottschwerenot.

Himmeldonnerwetternocheinmal!

Das Weitere möge man in der Zeitschrift des
Merrn Lessing Der „Antirüpel“ Monatsbiätter zum
Kampf gegen Lärm, Roheit und Unkultur nicht nach-
lesen. Ich mache ausdrücklich darauf aufmerksam,
daß die herrlichen Verse überall kostenlos nachge-
druckt werden dürfen, falls dabei auf den Antilärm-
verein, Büro: Hannover, Stolzestr., hingewiesen
wird. Da der Antilärmverein das „Recht auf Stille“
verteidigt, wird er sich wohl bald nach einem Vor-
sitzenden umsehen müssen, der nicht über die sämt-
lichen Untugenden sämtlicher Untertitel seines offi-
ziellen Organs verfügt.

Noch eine Rechtfertigung für Herrn Lessing:
Vielleicht wundert sich ein Leser über das sym-
pathische Wiesel, das Herr Lessing flink unter
seine Kirchengiocken steckte. Christian M o r g e n -
s t e r n hat es bereits in seinen famosen G a I g e n -

1 i e d e r n für die deutsche Literatur gerechtfertigt.
Und zwar durch folgende klassische Verse:

Das aesthetische Wiesel
Ein Wiesel

Saß auf einem Kiesel
Inmitten Bachgeriesel.

Wißt ihr
Weshaib?

Das Mondkaib
Verriet es mlr
Im Stillen:

Das raffinier
te Tier

Tats um des Reimes willen.

Herr Dr. Theodor Lessing ist im Nebenberüi
Privatdozent der Philosophie und Pädagogik an de (
Technischen Hochschule zu Hannover. Ein GlücK
daß er nicht dort Technik lehrt.

T r u s t

Beachtenswerte Bücher und Tonwerk*

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A. OEHLER: Nietzsches Werk und das Nietzsche-Archh
Leipzig, Verlag Alfred Kröner

OTTO STOESSL: Sonjas letzter Name / Eine Schelmefl'
geschichte / München, Verlag Georg MüIIer

OTTO STOESSL; Negerkönigs Tochter / Erzählufl^
München, Verlag Georg Müiler

ELSE LASKER-SCHÜLER: Das Peter Hilie-Buch / Vef'
lag Axel Juncker, Berlin

HEINRICH MANN: Im Schlaraffenland / Roman / Verla^
Albert Langen, München

CHARLES BAUDELAIRE: Gesammelte Werke / Verl^
J. C. C. Bruns, Minden i. W.

ALFRED MOMBERT: Der Sonne-Geist / Verlag Schuste'
und Loeffler, Berlin

PAUL SCHEERBART: Immer mutig! Ein Nilpferdrom3 ,,
Verlag J. C. C. Bruns, Minden i. W.

Verantwortlich für die Schriftleitung:
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE

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wäschereibetriebe Elite bei.

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