Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0109
DOI Heft:
Nr. 14 (Juni 1910)
DOI Artikel:Laudon, R: Robert Koch
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0109
^nifang acht Seiten
Einzelbezug: 10 Pfennlg
DERSTURM
WOCHENSCHRIFT FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE
JAHRGANG 1910 BERLIN/DONNERSTAG DEN 2. JUNI 1910/WIEN NUMMER 14
r°fessor Adolf Wagner protestiert in Chemnitz vom evangelisch-sozialen Standpunkt aus gegen
& r°sse Damenhtite und durchbrochene Strümpfe, die sich eine gesunde Volkswirtschaft nicht in die
Schuhe schieben lässt
INHALT: R. LAUDON: Robert Koch / HEINRICH
MANN: Alt/PAUL LEPPIN: Daniel Jesus / Roman /
WALTER HEYMANN: Der Fliederstrauch / LUDWIG
RUBINER: Dichter der Unwirklichkeit / ALFRED
DÖBLIN: Gespräche mit Kalypso über die Muslk /
Dr. B. WERNER: Prinzipien moderner Therapie / R. R.:
Russisches Ballett/TRUST: Schwanensang /Die Kunst
zu komponieren / MINIMAX: Vermischtes / PAUL
SCHEERBART: Wir maken allens dot!/KARIKATUR:
Professor Wagner
Robert Koch
Von R. Laudon
Der Haß des Niveaus gegen die eigenwillige Be-
gabung, der alte Haß, der in diesen Tagen durch die
amerikanische Schmeichelei: Der Durchschnitts-
mensch sei doch der beste Kerl, neu gesegnet
wurde, verstummt vor dem Qrabe eines Arztes.
Robert Koch gehört zu den Kolossen, die sich über
die Jahrhunderte hinweg verständigen. Ihn kenn-
zeichnete nicht die Umfänglichkeit und Universalität
des Qeistes, er hatte nicht die Pseudovielseitigkeit
jener Qelehrten und Staatsmänner, welche nach
rechts und links hin schwatzen und ihren Spezialruf
durch das Ausbrüllen ihrer allgemeinen Unbildung
diskreditieren, sondern lebte seinem scharf um-
rissenen Qenie mit instinktiver Sicherheit. Wenn
poetische Naturen die Trockenheit und Weltfremde
des Qelehrten belächeln, so mögen sie von Koch
lernen: die Intensität, die Leidenschaftlichkeit der
Bemühung, die kraftstrotzende Qröße auf an-
scheinend kleinem Qebiet. Er wuchs nicht in die
Breite, sondern in die Tiefe. .
Man versetzt sich schwer in die medizinische
Zeit vor Koch. Man hört mit Staunen von der pein-
lichen Verwirrung, in welche kleine probierende
Köpfe die Medizin gestürzt hatten. Den maje-
stätischen Todeszug der Seuchen hatte man viele
Male beobachtet; man ahnte, worum es sich handle,
aber es ließ sich nicht fassen. Koch brachte mit
seinen ersten Mitteilungen Methoden von über-
raschender Einfachheit, er lehrte die Aussaat der
Krankheitserreger auf feste Nährböden, zeigte
die Erreger mehrerer Seuchen, wies auf das exakte
Tierexperiment. Ihm und seiner Schule gelang es,
die meisten Infektionskrankheiten zu enthüllen. Es
wurde ihm nicht zuteil, die finsteren Prächte dieses
Todeszuges aufzuhalten, aber er hat sich dem un-
nahbaren Vorgang wie keiner vor ihm genähert und
seine Musik mit allen Instrumenten aufgezeichnet.
Wir leben mit ali den Bazillen, Kokken, Spi-
rillen; wir sind nicht allein. Wir würden nicht sein
können ohne die Mitarbeit der Milliarden Lebewesen
in und auf unserem Körper. Wie ein Korallenstock
wachsen wir Menschen. Aber von Zeit zu Zeit
durchbrechen einige unserer Helfer den freund-
schaftlich geordneten Zusammenhang, überwuchern,
dringen in den Organismus ein, entwickeln giftige
Arten; es kommt zur Krankheit. Diese giftigen
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Einzelbezug: 10 Pfennlg
DERSTURM
WOCHENSCHRIFT FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE
JAHRGANG 1910 BERLIN/DONNERSTAG DEN 2. JUNI 1910/WIEN NUMMER 14
r°fessor Adolf Wagner protestiert in Chemnitz vom evangelisch-sozialen Standpunkt aus gegen
& r°sse Damenhtite und durchbrochene Strümpfe, die sich eine gesunde Volkswirtschaft nicht in die
Schuhe schieben lässt
INHALT: R. LAUDON: Robert Koch / HEINRICH
MANN: Alt/PAUL LEPPIN: Daniel Jesus / Roman /
WALTER HEYMANN: Der Fliederstrauch / LUDWIG
RUBINER: Dichter der Unwirklichkeit / ALFRED
DÖBLIN: Gespräche mit Kalypso über die Muslk /
Dr. B. WERNER: Prinzipien moderner Therapie / R. R.:
Russisches Ballett/TRUST: Schwanensang /Die Kunst
zu komponieren / MINIMAX: Vermischtes / PAUL
SCHEERBART: Wir maken allens dot!/KARIKATUR:
Professor Wagner
Robert Koch
Von R. Laudon
Der Haß des Niveaus gegen die eigenwillige Be-
gabung, der alte Haß, der in diesen Tagen durch die
amerikanische Schmeichelei: Der Durchschnitts-
mensch sei doch der beste Kerl, neu gesegnet
wurde, verstummt vor dem Qrabe eines Arztes.
Robert Koch gehört zu den Kolossen, die sich über
die Jahrhunderte hinweg verständigen. Ihn kenn-
zeichnete nicht die Umfänglichkeit und Universalität
des Qeistes, er hatte nicht die Pseudovielseitigkeit
jener Qelehrten und Staatsmänner, welche nach
rechts und links hin schwatzen und ihren Spezialruf
durch das Ausbrüllen ihrer allgemeinen Unbildung
diskreditieren, sondern lebte seinem scharf um-
rissenen Qenie mit instinktiver Sicherheit. Wenn
poetische Naturen die Trockenheit und Weltfremde
des Qelehrten belächeln, so mögen sie von Koch
lernen: die Intensität, die Leidenschaftlichkeit der
Bemühung, die kraftstrotzende Qröße auf an-
scheinend kleinem Qebiet. Er wuchs nicht in die
Breite, sondern in die Tiefe. .
Man versetzt sich schwer in die medizinische
Zeit vor Koch. Man hört mit Staunen von der pein-
lichen Verwirrung, in welche kleine probierende
Köpfe die Medizin gestürzt hatten. Den maje-
stätischen Todeszug der Seuchen hatte man viele
Male beobachtet; man ahnte, worum es sich handle,
aber es ließ sich nicht fassen. Koch brachte mit
seinen ersten Mitteilungen Methoden von über-
raschender Einfachheit, er lehrte die Aussaat der
Krankheitserreger auf feste Nährböden, zeigte
die Erreger mehrerer Seuchen, wies auf das exakte
Tierexperiment. Ihm und seiner Schule gelang es,
die meisten Infektionskrankheiten zu enthüllen. Es
wurde ihm nicht zuteil, die finsteren Prächte dieses
Todeszuges aufzuhalten, aber er hat sich dem un-
nahbaren Vorgang wie keiner vor ihm genähert und
seine Musik mit allen Instrumenten aufgezeichnet.
Wir leben mit ali den Bazillen, Kokken, Spi-
rillen; wir sind nicht allein. Wir würden nicht sein
können ohne die Mitarbeit der Milliarden Lebewesen
in und auf unserem Körper. Wie ein Korallenstock
wachsen wir Menschen. Aber von Zeit zu Zeit
durchbrechen einige unserer Helfer den freund-
schaftlich geordneten Zusammenhang, überwuchern,
dringen in den Organismus ein, entwickeln giftige
Arten; es kommt zur Krankheit. Diese giftigen
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