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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 52 (Februar 1911)
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Böök, Fredrik: Strindberg
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Strindberg

Von Frederik Böök

Als Strindberg vor zehn Jahren aufgefordert wurde,
eine Vorrede für seine gesammelten Romane und Er-
zählungen zu schreiben, da antwortete er mit einem
Brief, der die Spuren der Bibelstudien seines Urhebers
zeigte. Er rerglich sich mit dem Propheten Jesajas,
der im neunundvierzigsten Kapitel sagt, der Herr habe
seinen Mund zu einem scharfen Schwert gemacht und
ihn als einen glatten Pfeil in seinen Köcher gesteckt,
obgleich Strindberg selbst zugab, dass gegen die Qlätte
mehr als einmal Verschiedenes einzuwenden war. Er
verglich sich mit dem Propheten Jona, der auf aller-
höchsten Befehl Ninives Untergang prophezeite, aber
dann erbarmte sich der Herr Ninives und Jona blieb
blieb unter seinem Kürbis sitzen als ein desavouierter
alter Prophet. Und Strindberg fasste seine Weisheit
in die bitteren Bibelworte zusammen: ich habe vergeb-
lich gearbeitet, ich habe vergeblich und unnütz meine
Kräfte vergeudet.

Solche rabiat-seibstkritische Perioden hat Strindberg
viele gehabt. Sein ganzes Leben war eine Reihe von
Auseinandersetzungen, mit anderen, mit der Gesellschaft
und mit sich selbst. Die Untersuchung ist summarisch
und das Urteil unerschütterlich streng gewesen, wie es
leicht geschieht, wenn Ankläger, Zeuge und Richter und
zuweilen auch Angeklagter dieselbe Person sind. Die
Walstatt von Strindbergs Leben und Kämpfen erinnert
an nichts so sehr wie an eine alte schwedische
Exerzierheide: gefurcht, zertreten, durchpflügt von
Märschen hin und her, von Ganzwendungen und Front-
veränderungen, die Luft widerhallend von harten Worten
und donnernden Kommandorufen, aber trotz alledem
stimmungsvoll und nicht ohne einen Hauch von primi-
tiver Religiosität.

Es gibt wohl kaum einen Menschen, dem es so
leicht fiel, seine Meinung zu ändern wie Strindberg.
In dem Heim seiner Seele ist ein beständiges Kommen
und Gehen gewesen. Da wurden Darwin nnd Spencer
eines Tages zum Hochsitz geführt, um am nächsten
mit einer ausdrucksvollen Geste zur Tür hinausgewiesen
werden; da huldigte man der Wissenschaft auf den
Knieen als aller guten Haben Spenderin, um sie gleich
darauf unter Injurien und JSchimpfworten über die
Treppe zu werfen, während die Religion und Svedenborg
den etwas unruhigen Ehrenposten einnahmen. Wahr-
scheinlich, Strindberg ist Herr in seinem Hause ge-
wesen. Die Arbeiterfrage war abwechseled ein zentrales
Lebensproblem und ein erdichteter Hnmbug; die Kultur
ein Segen und ein Fluch. Man muss an die Fetisch-
anbeter denken, die alles zwischen Himmel und Erde
von dem neuen Götzen erwarten, ihm aber, wenn er
das nicht hält, was er nie versprochen hat, ins Gesicht
spucken und ihn verbrennen.

Strindberg hat in seiner Selbstbiographie eine Epoche
seines Lebens die „Gährungszeit“ genannt. Welche
liebenswürdige Naivität. Als ob er je in diese Periode
hinein oder aus ihr herausgekommen wäre! Er ver-
ändert sich und altert ebensowenig wie die Naturkräfte.
Bei ihm herrscht eine ewige Gährungszeit; es kann
aufsteigender Frühlingssaft oder fressende Schwefelsäure
sein — aber es lebt ewig.

Er ist nie eine intellektuelle Persönlichkeit, eine
geistige Einheit geworden, und er wird es nie werden.
Die Ursache liegt nicht im Mangel an intellektueller
Kraft oder Scharfsinnigkeit, auch nichtin dem Fehlen the-
orethischer Interessen, Kenntnisse, Ideen — wer sein
ganzes Leben lang als wissenschaftlicher Dilettant auf-
getreten ist und im Alter von fast sechzig Jahren drei
Blaubücher geschrieben hat, um sämtliche Wissen-
schaften zu reformieren, muss über einem soichen Ver-
dacht stehen. Das unübersteigliche Hindernis liegt in dem
Strindbergschen Temperament. Er kennt die Gesetze
für den Umgang mit Ideen nicht, und sein ganzes
Wesen ist ein Protest gegen sie. Er weiss nicht, dass
sie sich noch öfter wie Sterne aus einer Frühlings-
dämmerung loslösen. Und er weiss vor allem nicht,
wie Gedanken keimen und blühen, beschnitten werden
und neue Triebe ansetzen, in Kritik und Selbstprüfung
wachsen, wie sie reifen. Ideen werden nicht mit Ge-
walt geraubt wie Wikingerbräute, und sie eignen sich auch
nicht zu Stichwaffen und Wurfgeschossen in den Duellen
der persönlichen Affekte und Leidenschaften. Als Strind-
berg die Gleichstellungsbestrebungen der Frauen kriti-
sierte, freute er sich, wenn er eine Notiz über eine
verbrannte Fabrikarbeiterin las; und als der Held in
„Einsam“ sah, dass sein Kind schön war, gab er die

Descendenztheorie auf. Mit dieser Gesinnung wird man
kein Streiter des Geistes, auch wenn man wie Strind-
berg Utilist gewesen ist, die Kunst verachtet und seine
Lebensaufgabe darin erblickt hat, ein Wahrheitskämpfer
und Ideenverbreiter zu sein.

Es gibt kaum ein eklatanteres Beispiel mangelnder
Selbsterkenntnis, als wenn Strindberg um die Mitte der
Achtzigerjahre ernstlich daran denkt, die Dichtung auf-
zugeben, um sich der Gesellschaftsreform, der sozial-
politischen Schriftstellerei zu widmen. Olle Montanus
als Reformatorl Wer hat nicht im vierundzwanzigsten
Kapitel des „Roten Zimmers“ die unsterbliche Vor-
lesung über Schweden genossen, aber wer hätte ahnen
können, dass der Verfasser den humoristischen Blick,
für das Phänomen so ganz verlieren könnte, um selbst
mit seinen „Schlafwandlernächten“ und „Blaubüchern“
in Olle Montanus Fusstapfen zu treten.

Aber auch die schlimmsten Vorsätze vermögen
nichts gegen die Stimme der Natur. Wie sehr Strind-
berg auch die Poesie geschmäht hat — Poet ist er,
ein grosser Poet und nichts anderes als ein Poet.
Wenn man des Frauenhasses, der virtuosen Kampf-
szenen, der schmählichen Polemik und der boshaften
Sophistik, der quasigenialen Einfälle und der phari-
säischen Religiosität dieses Heiligen der jüngsten Tage
tötlich müde geworden ist, dann gibt es nur ein Mittel
das hilft: seine „Hemsöer“, „Meister Olof“, das „Rote
Zimmer“, „Schwedische Schicksale und Abenteuer“ auf-
zuschlagen Während man die Blätter wendet, vergisst
man das, was vergessen werden soll, und man gedenkt
dessen, was die Nachwelt am denkwürdigsten finden
wird: des genialen Dichters.

Sucht man den charakteristischen Ausdruck für
Strindbergs Dichternatur, so bietet sich kein anderer
als ihn den grossen Naturalisten der schwedischen
Literatur zu nennen. Aber es gibt viele Arten von
Naturalismus. Mit dem französischen Schulnaturalismus,
der seinem Wesen nach eine literarische Ingenieurs-
kunst ist, mit weitläufigem Materialsammeln und ge-
duldigen Berechnungen, hat Strindberg wenig gemein,
wenn er auch oft von ihm inspiriert wurde und zu-
weilen versuchte, mit ihm zu wetteifern.

Strindbergs Naturalismus ist von weit persönlicherer
und primitiverer Art. Man findet ihn schon in den
ersten Prosawerken, er liegt in der offenen, unreflek-
tierten Empfänglichkeit, in den unbegrenzten Reaktions-
fähigkeiten, in dem frischen Appetit auf alle Phänome
des Lebens. Welche künstlerische und psychologische
Entdeckerfreude, welche seltsam geschärften Sinne.

Voll entwickelt hat sich der Strindbergsche Natura-
lismus im „Roten Zimmer“. Der Beobachter, der sich
seiner ausgedehnten und vielseitigen Sachkenntnis freut,
der Erzähler, der es unverhohlen geniesst, sich Imit
Ereignissen, Personen und Aufgaben zu tummeln, der
Kritiker, der glücklich darüber ist, ein scharfes Messer
zwischen den Fingern zu haben, und der wie ein
Knabe alles zerlegt, was ihm in die Hände fällt — diese
glückselige Dreieinigkeit hat das „Rote Zimmer“ ge-
dichtet. Es soll eine Indignationsschrift sein, eine
bittere Abrechnung, aber welch festliche Laune leuchtet
nicht darüber — ein Frühlingssturm bei vollem Sonnen-
schein und mit weissen Wölkchen, die tanzen.

Das Bewundernswerte des Strindbergschen Natura-
lismus liegt selten in dem bedeutungsvollen Zusammen-
hang oder der stilvollen Architektur der Ereignisse,
nicht in der objektiven Richtigkeit oder Konsequenz
der Charakterschilderung, es liegt in dem mitreissenden
Leben und der brutalen Wahrheit der Details. Strind-
berg genügt es nicht, dass man die Dinge sieht, man
spürt sie an der Haut, man stösst sich an ihnen, wenn
wir ganz plötzlich vor ihnen stehen. Er ist weder der
Konstrukteur, der sein Werk vor unseren Augen auf-
baut, noch der Dekorationsmaler, der uns Illusionen
und perspektivische Augenfreude bereitet, er ist der
Zauberer, der uns die Dinge gerade vor der Nase
herausschüttelt — manchmal recht unangenehm, denn es
sind nicht immer Apfelsinen und Kanarienvögel, die er
hervorzaubert.

Strindbergs Stil, der bewunderte und vielbesprochene,
ist bei diesen Wunderwerken sein geheimnisvoller
Zauberstab Die Worte liegen wie massive Farbenflecken
auf einer Palette, sie haben drei Dimensionen mindestens,
sie sind nicht Begriffe, sondern Dinge mit Form und
Farbe und Geruch. Die Saftigkeit und Anschaulich-
keit, die Strindbergs Prosa besitzt, trifft man sonst
nur in den autochthonen Schöpfungen der Volkssprache.
Aber seine sprachliche Genialität ist auch im wesent-
lichen eine Wortgenialität: treffende, tötliche, sug-
gerierende Redewendungen, Schimpfworte, neugebildete
Worte, geladene Worte, die an der Stirn des Wider-

sachern explodieren, knapper konziser Stil, der das
Ereignis oder den Gedanken intensiv zusammendrängt.
Aber er ist nicht im selben Grade der grosse Stilist,
wenn es sich um die Periode und die reiche Satzzu-
sammenfügung handelt; er ist fahrlässig und unlogisch,
er kennt nicht die Geheimnisse des Rhythmus, die
unerschöpflichen Nuance und unbeschreiblichen Varia-
tionen der Melodie, er weiss nicht, wie die geheime
Ironie, das verschwiegene Gefühl, die müde Gleich-
gültigkeit, die unterdrückte Leidenschaft unter der Ober-
fläche der Sprache glühen und sie in geheime
Schwingungen versetzen können, dem Eingeweihten
vernehmbar. Bei ihm brennt das Feuer immer auf
offenem Herd Er geht gerade aufs Ziel los wie ein
Berserker. Das sind oft herrliche Schauspiele, aber es
gibt raffiniertere.

Der Strindbergsche Naturalismus steht am höchsten,
wenn er seine üppige und spontane Freude an der
bunten, inhaltsreichen Welt der Realitäten bewahrt: die
kranke Blässe des Nachdenkens ist viel weniger kleid-
sam für ihn. Wie haarspalterisch sind nicht die Ver-
suche, physiologische Schilderungen von Seelenprozessen
zu geben („Am offenen Meer“), wie wenig fruchtbar
ist nicht nicht die Problemstellung in „Utopien“ oder
„Tschandala“! Die Amalgamierung von Wissenschaft
und Kunst glückt Strindberg nicht, der so rücksichts-
Ios mit Ideen zu Werke geht und der ein so un-
reflektierter und leidenschaftlicher Künstler ist. . Dazu
bedarf es viel besonnenerer, lauerer Naturen. Er ist
der Schmied, der den Hammer fallen lässt, während
der Kopf ebenso heiss ist wie das Eisen; es wird
keine Ziselierarbeit, aber ein Schmiedewerk, das seinen
Meister lobt.

AIs Künstler hat Strindberg wohl nie höher ge-
standen als in den Erzählungen aus den Schären. Da
ist Vertrautheit mit Natur und Menschen, da ist Liebe
zu ihnen — und die Liebe ist auch in der Kunst das
befruchtende Prinzist. In den Hemsöern sind keine
polemischen Tendenzen, die die Proportionen ver-
rücken, keine wissenschaftlichen Phantome, die den
Blick umnebeln. Die Hemsöer sind das Meisterwerk.
Nie hat Strindberg seine Figuren so allseitig und kon-
sequent gebildet, wie hier, nie hat er Gruppierung,
Zusammenhang, Relationen, Landschaft und Neben-
personen mit so vollendeter Kompositionskunst gtgeben.
Er, der sonst eine einzige Situation hervorpresst, einen
einzigen Plan von Ereignissen beleuchtet, er hat hier
eine allesumfassende Sicherheit, ein Gleichgewicht, eine
künstlerische meisterhafte Ruhe. Ueber diesen Bildern
aus den Schären mit ihren wechselnden Lichtern, mit
der erlesensten, verschwenderischsten, liebevollsten
Kunst wiedergegeben, wölbt sich ein klarer Sommer-
himmel, scheint eine grosse, gelbe Sonne, die über
einem grossen Dichter im Schaffensgiück leuchtet.

Die Strindbergschen Dramen stehen ebenfalis im
Zeichen des primitiven Naturalismus. Er schrieb in
Fräulein Juiie ein konsequent und bewusst naturalisti-
sches Trauerspiel, unwirklich in der Konstruktion.
Doch die Szenen leben, die Details leben. Es gibt
niemanden, der das gehetzte und gejagte Leben der
Minute, den Knall des Zusammenstosses, die zischenden
Dämpfe des Zornes mit so unheimlicher Kraft geben
kann, wie Strindberg. AU das Animalische, Ursprüng-
liche im Seelenleben, den Hass und die Erbitterung,
den Kampf zwischen feindlichen Willen, aber auch den
Selbstverzicht, die Müdigkeit, die Unterwerfung — hat
niemand so wiedergeben können wie er. Strindberg
kann selten eine elementare dramatische Wirkung ver-
fehlen — und seine Repliken gehören nicht zu denen,
die man überhört, seine Etfekte sind zuweilen ebenso
zu ignorieren wie Explosionen, — aber er kann die
dramatische Einheitswirkung verfehlen, den Zusammen-
hang, die psychologische Entwicklung. Es gibt Dramen
von Strindberg, die an ein misslungenes Feuerwerk
erinnern: es knallt und blitzt und zischt, aber aus all
der Vernichtung steigt keine Lichtfigur empor.

Doch wie machtlos wird nicht jede gezogene Linie,
innerhalb derer man Strindbergs Künstlergenius zu be-
grenzen versucht. Der Naturalist mit dem klaren und
scharfen Äuge ist auch der Mystiker, der Svedenborg
in seine translunarische Welt folgt, der das dunkle
Spiel der Träume und die Abgründe der Seele schildert.
Nur die Unwissenheit oder die prinzipielle Beschränkt-
heit verweisi Strindbergs ganze religiös mystische
Vorstellung:,welt ohne weiteres in die Rumpelkammer
des bedeutungslosen Aberglaubens, Und doch wird
Strindbergs religiöses Leben von dem Dickicht des
Aberglaubens so sehr überwuchert, dass man nur
widerstrebend diese Flur seiner Dichtung betritt. Seine
Religiosität hat nichts von Altar und Opferflamme

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