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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 40 (Dezember 1910)
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Hille, Peter: Das Mysterium Jesu, [8]
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Stoessl, Otto: Shakespeares Problem im Hamlet
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0323

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sAöpfung, die schon ein paar Schritte in die Ewig-
keit seinen irddschen Kräften gebracht hat.

Berelt

Und es ward Dämmerung im Reiche des Herrn
end Meisters der Seele.

Hinabgewelkt war die starkergriffene Zeit der
Bienschlichen Gegenwart des göttlichen Heilandes,
die Zdt des Umbruch’s, der menschlich sittlichen
Entfaltung.

Fahren lassen das Alte und Neues greifen, be-
greifen und b ek ennen n'it Gut und Blut bis zur
letzten Marter. Diese grellscharfe Zeit des ersten
Entscheides war zur Ruhe gewandelt, zum Qottes-
heim in Gebet, in erbauender Versammlung. Der
um des Namen Jesu willen zeugnisfeste Gerichts-
hof, die Richtstätte, wo Blut des Beispielsi peue
Martyrer grüßte, war stiller Wandel der Gixte ge-
worden, Gang zum Heim der Seele, zur verschwie-
genen Stätte des heiligen Gedächtnisses!, des Liebes-
mahles imd mystischer Vereinigung mit dem wieder
verklärten, in die Himmelsheimat erhöbenen Erlöser
durch die schlichten, in bedeutendem Sinne geweiht
genosssenen Nahrungszeichen: jBrot und Wein.

Brot und Wein, Blut und Leib: das Leben —
Christus ihr Leben!

Nun war es stiil, waise hienieden.

Seine Mutter war hinüber, alle Genossen, alle
Gehilfen der Verbreitung des Heiles hatten ihre
Kronen empfangen, und angetan die Gewande der
Seele, jene Gewande der Gnade, vollendet durch
treues Mitwirken und Leben im Sinn des Meistere
und seines wie ihres göttlichen Vaters 1.

Der Jahre Hundert war erfüllt, seitdem der
Stem der Gnade die silberne Sprache des Himmels
geredet hatte jene Nacht, und sanfter, geistig weh-
mütig nur leuchtete das Licht jener großen Tage.

Es wnr so verlassen auf der Erde und dunkel,
dexm nur der Hitnmel versteht die Erde, nur von
oben kommt Licht in die Welt. Kämpfer und Feind,
Getreue und Freunde wie grimme Verfolger ruhen
schon längst in der Erde von der Erde aus.

Nur der Liebesjünger, müde, hochbetagt, nur er
gibt noch Kunde vom Wort, das Fleisch' geworden
ist, um in uns zu wohnen: von der erdenWandelnden
Liebe des Höchsten, dem hehren, trauten Gott der
Menschenliebe.

Seine müden Füße stiller, weit über Menschen-
alter hinausgegangener, äußerlich schWankender, in-
nerlich seelisch verklärter Greisentage suchten sChon
den Himmel, die Heimat. Aber nicht Klage noch
Sehnsucht läßt er siCh regen, der zitternder Eifer
nur ist.

Je näher das Ende er fühlt, das die Arbeit aus
seinen priesterlichen Händen nehmen will, dem
Jüngling der Liebe mit dem leuchtenden Antlitzi
unter schneelichtweißem Haar, dem Jüngling hoher
Tage, so weniger kennt er Genüge.

Geme ging er noch weiter der Pflicht nach auf
der harten, kaum erst dem Heile sich erschließenden
Erde.

„Herr, mein göttlicher Meister, du vergönntest
mir, dein Freund zu sein, zu mhen, zu atmen und
Liebe zu haben, deine seelenwarminnige Liebe zu
haben um rneine Seele. Freund, Erlöser, tu mit
mir nach deinem Willen.“

Und nun, Johannes, tapfer, tapfer aus Liebe!

Siehe meine Seele, nun ist die einzige Zeit,
da du bewähren dieh kannst und etwas vergelten,
«achverdienen die Segnungen des offnen Himmels,
zur Seite deines Heilands, unter den zündenden
Zungen des zum göttlichen Sendbotenamt verklären-
den heiligen Geistes. Diese kurze Nachtwache nur
bleibt dir zur mhigen Rüste für droben, wo dich’
alle erwarten: die Mutter, die Freunde, und er, an
dessen Brust du Göttlichkeit atmetest, göttliche
Menschheit.

Suche noch Buße zu tun für die hohen Tage,
die wir so lässig nahmen, so geringe, da sie noch
waren.

Nicht zu kurz, zu kurz nicht diese Stunde der
Bereitung, ’o Herr, daß ich fertig werde, daß
Menschliches eingehen kann in die Wohnung him-
melbeströmenden Lichtes.

E>aß du nicht Boten schickst und Zeichen mehr
tmd so alltäglich schon schelnt und lange auch mir,
Idem Heiland, Heiland, mein göttlicher Meister, so
liebend, so unendlich liebend Begnadeten dieser
aelige Wandel in demern Wort, lauschend zu deiner
beiligen Schritte Seite, darum bitte ich noch.

Als unsern Ausgang du uns wiesest, damals
am See Tiberias, und unserem Hirten Petms dde
höh’e Gnade kündetest, daß er dir folgen dürfte in
der Art seines Zeugnistodes, da gebotest du mir,
ja zu harren, bis du mich mfen würdest.

Wie auch die Zeiten rollten und Weiten, und
Drangsal war und Weh und Lähmung des Alters
und Dumpfheit des Sinnes, und mindere Gabe der
Arbeit nur blieb, immer hÖre ich’ deinen Entscheid
vom Tiberias.

Und ich gehörche, gehorche, laß mein Sehhen
dicH nicht rufen, nicht rufen laß es dich —, wenns
auch’ wieder mich spräche zu dir: bleib noch, Herr,
entstehe, laß dein Herz mich tim!

Ja Herr, ich warte, wie du bestimmt häst —
deine Ankunft erlöst mich ! vom Fleisch’.

Aber laß mich wirken und Zeugnis geben bis
zum äußersten Vermögen, daß ich der Sehnsucht
nicht erliege Und nicht weile im Wandel.

Vermag ich auch sonst nichts, sfchon mein Leben
ist Amt nun, das da kündet, auCh’ mit schwachtem
Worte kündet, mit jedem Atemzug redet von jdir
und deinem Weilen auf der Erde.

Nicht für mich bitte ich.

Auch' für dein Werk bitte ich und um des Heiles
willen, das daraus fließe.

Sie alle gingen.

Nur ifch noch wandle.

Und ob sie in ihrem jungen Glauben die Last
der Einsamkeit schon tragen können, da nichts
Lebendes ihnen mehr Zeugnis gibt_

Du Weißt, wie ich 1 mich sehne und weißt, wie
ifch der letzte bin, der sch'windende Schatten nodi
auf dem Weg, den sie geschritten sind.

Sieh, noch keünt und bildet und baut deine
Kirche sich auf — da bin ich' noch nötig, könnte
noch’ nötig sein.

Herr, sieh nicht auf mich, dehne meine Tage,
wie du willst .... doch auch nicht weiter.

Ganz wie du willst, Meister, Freund!

Und daß auCh meine Gesichte ruhen, daß mein
'Erinnern schwach wjird und oft ich staune.

Ganz wie du willst, Meister, Freund! Ich bin
bereit.

Ende

Shakespeares Problem im
Hamlet

Von Otto Stoessl

Samuel Lublinski, der Verfasser dieser Studie,
begründet ihre subjektive Notwendigkeit mit den
Bedürfnissen der eigenen dramatischen Produktion,
die an den problematisch vorbildlichen Werken das
Bewußtsein der allgemeinen und individuellen Be-
dingungen des Schaffens stärke. Die Mitteüung
solcher Einsichten bleibt wieder nicht ohne Be-
deutung für die Gesamtheit der an der Kunst tätig
oder genießend Interessierten. Das Problem einer
Dichtung ist immer auch das ihres Dichters, wobei
nur gelegentlich Maßstäbe vertauscht und innerlich
gebändigte, zusammengehaltene Seelenvorgänge
nafch außen gewandt und zugleich' versinnlicht und
überhöht werden. Ist das Subjektive ganz in die
Notwendigkeiten der Gestaltung eingeflossen, Izur
allgemein gültigen Darstellung gebracht, so mag
es unter dem anschaulichen Gebilde ganz aufge-
gangen scheinen. Diese Vollkommenheit der An-
schauung, wenn auch nicht die dramatische Form
schlechthin, ließen im Werk Shakespeares sein je-
weiliges subjektives Problem so aufgehen, daß er
selbst zu einer mythischen, schließlich gar enigmati-
schen Figur werden konnte. Man betrachtet sein
Drama als unzweifelbare Einheit, was beim
„Hamlet“ am allerwenigsten angebracht ist. Der
dramatisch Schaffende, der das subjektive Problem
im tragischen Gebilde, im eigenen wie im fremden,
als den Herzschlag fühlt, mag mit Recht einmal
versuchen, es zunächst im H a m 1 e t aufzuspüren
Denn bei dem bleibenden WiderspruCh dieses ein-
zigen Stückes darf wohl auf einen vorwiegend sub-
jektiven Gehalt rückgeschlossen werden, der in die
Form nicht ganz aufgehen wollte, noch konnte
Dem größten Bekennenden mag der Kanon gleich-
gültig, ja verächtlich werden, und im höchsten Sinne
bleibt solches Unzulängliche Ereignis Bei Shake-
speares „Iiebenswürdiger Besonnenheit“ und
„würdevoller Liebenswürdigkeit“ ist ein sö er-

habenes Sichbeugen unter ein Lebensgrundgefühl,
wie es im Hamlet als dramatisch unbezwungener
subjektiver Rest vortritt und seinen Stoff gleich-
sam eruptiv als eine dichterische Apokalypse her-
vOrstößt, doppelt ergreifend. Die charaktero-
logische Fülle und die Uebermacht des eigenen,
veranlassenden Konflikts sprengt die gewählte
Form und überlebt sie.

Beim Versuchte, den Gedankengang, der zu-
gleich höchst persönlichen und allgemein gehalt-
vollen Schrift auseinanderzusetzen, läuft man immer-
hin Gefahr, Öurch eigene ausgelöste Ideenfolgen
die Treue der Wiedergabe etwas begrenzt zu sehen.

Shakespeare stand seiner Welt mit iener ge-
teilten Empfindung gegenüber, die jedem großen
MensChen eigen ist, indem er sie sozusagen irdisch'
benutzte und bejahte und wiederum künstlerisch'
und sittlich an ihr litt, sie verwarf. Nur der Ge-
meine geht in seiner rationalen Existenz restlos auf,
der Außerordentliche erübrigt sein bestes Teil, um
an ihr, wie unter der ganzen 'Unzulänglichkeit des
physischen Daseins schöpferisch überwältigt zu
leiden. Shakespeare sah in seinem Leben, das ihn
hinreichend versorgte und gut stellte, Schein, Lüge,
Heuchelei, Gewohnheit ungeordnet triumphieren,
jWertloses an die Spitze gestellt, Schädliches gekrönt
imd das Gemeine mit gewichtiger Fülle sich brüsten,
während er selbst in seinem Berufe als Schauspieler
und TheaterdiChter ein verachtetes Gewerbe aus-
übte. Und doch enthält gerade diese gefällige Aus-
bietung des Scheines im Schäuspiel die völlige
Wahrheit der Dinge.

Solche Gegensätze bot jeder Blick auf steine
innere und äußere Welt. Der mächtigste Auf-
schwung der Geister: die Renaissance brachte die
höchst persönlichen Werte in entwürdigenden Um-
lauf unter eine rohe Menge; zur äußerlichen Zier-
lichkeit und unverbindlichen Verbrämung brutaler
Instinkte wurde die Pracht der klassisChen Zeit
wohlfeil angewandt. Und ihre stilbildende Kraft
entartete zxrni Modegezirp xmd Floskelspiel. Schein
imd Sein sind tausendfältig ineinander verflochten
und alle Widersprüche gehen auch unentrinnbar
durch den Einzelnen. Diesen Konflikt aufs Leiden-
schaftlichste zu erleben, ist das Schicksal des Skep-
tikers. „Hamlet“ wird seine Tragödie.

Nun ist die Skepsis in ihrer wertauflösenden,
lediglich betrachtenden Energie urid eigentlich im
DialektisChen aufgehenden, komtemplativen Tebens-
stimmung gerade dramatisch unbrauchbar; im ei-
gentlichen Sinne, öbgleich durch die Allseitigkeit
ihrer Anschauung von durchaus künstlerischer
Beschaffenheit, vielleicht sogar für die Dichtung
überhaupt. Denn jede Tat und Gestaltung
bedeutet auch im Poetischen einen Ueber-
schuß von Willen, ein sich Entscheiden, wäh-
rend die Skepsis eine reine geistige, imaginäre
Mitte einhält. Ihre Tragik wird daher als solche
nur sinnfällig zu machen sein, wenn der Skeptiker
diesen geistigen Zustand unaktiver Besinnung und
Zurückhaltung nur als Hemmimg sonst iiberwie-
gender xxnd gelegentlich durchschlagender Impulse,
LeidensChaften, Ziele erlebt, wie sich im E)asein
überhaupt geistige Erkenntnisse und Einsichten
nicht in unvermittelter Reinheit, sondern als Le-
gierungen der Triebe, als Färbung der Reagenz
auf Eindrücke, als typisches Schicksal mitteibar dar-
stellen. Die Tragik des Skeptikers besteht letzten
Endes also eben in der menschlichen Lebens-
unmöglichkeit und Lebensunfähigkeit der Skepsis.
Hamlet erlebt sde.

Der Stoff der Tragödie — die nordische Ballade
weiß nichts von diesem, nur ih einer persönlichen
Kultur, als i,n einer Form bewußten äußeren und
inneren Lebens möglichen skeptischen Charakter
— der nackte Tatsacheninhalt ist der: Hamlet hat
den von seinem 'Oheim begangenen, offenkundigen
Mord des Vaters zu rächen und muß, um den zur
Herrschaft gelangten Verbrecher in Ruhe zu wiegen,
die Maske des Wahnsinns vorbinden, bis er zu
seinem Ziel gelangt.

Bei der Vertiefung dieser Fabel zu einem Kampf
von Sein und Schein, zu einem Weltgericht über
die allgemeine Irrung, dem auch der Richter zum
Opfer fällt, sah Shakespeare init dem komplexen
Geist eines Kulturgenies eine ungleich vielfältigere,
nicht offene, sondem geheimnisvoll, ja lockend ver-
wirrte und verdunkelte Geschehnis- und Figxxren-
fülle. Die Tat ist unbekannt, wie der Täter. Beide
werden erst durch den rachefordernden Geist des
Vaters dem Sohn bezeichnet Sp erhält ein wohl

•1T
 
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