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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 39 (November 1910)
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Scheu, Robert: Leitfaden der Weltgeschichte, [3]
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Kurtz, Rudolf: Brandt-Glossen: Die Komödie
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Walden, Herwarth: Nicht erlogenes Foyergespräch: Die öffentliche Meinung
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0317

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wo sich beide Feldherren sieben Wochen lang
gegenüberlagen. Die dadurch hervorgerufene Lang-
weile tötete Qustav Adolf bei Lützen. Da Wallen-
stein nicht einsah, warum er nicht ebensogut Kaiser
werden könne, blieb nichts übrig, als ihn mit einer
Hellebarde zu ermorden. iWallenstein war leider
so ungeschickt, die beiden Arme im kritischen Mo-
»nent auszubreiten, wodurch die Ermordung un-
geahnt erleichtert wurde. Es bestätigte sich bei
dieser Gelegenheit, daß aus der Sternguckerei nicht
viel herausschlaut. Seni scheint kein erstklassiger
Sterngucker gewesen zu sein, Wallenstein scheint
den senilen Menschen aus übel angebrachter Spar-
samkeit angestellt 201 haben. Wovon Seni nach
Wallensteins Tode lebte, wird in der Geschichte
auffallenderweise nicht erwähnt. Es ist sehr zwei-
felhaft, ob er wieder eine so gute Wurzen gefunden
hat. Hätte der dreißigjährige Krieg noch einmal
solange gedauert, so hätte ihn überhaupt kein Zeit-
genosse überlebt. Es muß damals ungeheuer viel
Partezettel gegeben haben. Beim Ende des dreißig-
jährigen Krieges war Deutschland so entvölkert,
daß man nicht wußte, was man mit den vielen
Quadratkilometern anfangen solle. Dafür hatten
die übrig gebliebenen Leute das Recht, sich eine
beh'ebige Religion auszusuchen.

Etwas Arroganteres afe Ludvvig den Vierzehnten
kann man sich nicht leicht vorstellen. Infolge seiner
Sittenlosigkeit und der von ihm arrangierten Raub-
kriege blühte die französische Literatur außerordent-
lich auf. Er bereitete die französische Revolution
sorgfältig vor und war erfinderisch in der Aus-
findigmaChung von Kriegen. Er scheint über irgend
etwas sehr wütend gewesen zu sein, wie aus der
furchtbaren Verheerung der Pfalz hervorgeht.

Im Jahre 1683 führten die Türken den Kaffee
in Wien ein. Sie veranstalteten zu diesem Zweck
eine Belagerung, bei der sie schrecklich ungeschickt
zu Werke gingen. Es ist doch nicht so schwer,
vom Kahlenberg nach Wien zu kommen, und daß
sich die Wiener gar so gewehrt haben, nicht wahr-
sCheinlich. Auf Veranlassung des Prinzen Eugen
zogen die Türken wieder in die Türkei zurück, wo
sie unter dem Halbmond bis heute das denkbar
ruhigste Leben führen.

Peter der Große wurde von den Strelitzen in
imverantwortlicher Weise behelligt. Kaum fuhr cr
ein bißchen aus dem Land, so veranstalteten sie
einen Strelitzenaufstand und er mußte seinen Urlaub
unterbrechen.

Bald darauf entstand wegen einer hervorragend
langweiligen Stammtafel der spanische Erbfolge-
krieg. Er dauerte volle dreizehn Jahre, die die
kriegführenden Parteien dazu verwendeten, die Ur-
sachen und den Zweck des Krieges und die all-
jährlich vorgefallenen Schlachten auswendig zu
lernen. Als ihnen der Kopf endlich so groß wurde
wie ein Wasserschaffel, schlossen sie den Frieden
zu Utrecht, durch den England die Hudsonbai er-
hielt und noch viele andere Dinge festgesetzt wur-
den, deretwegen der Krieg nicht geführt worden
war.

Von Robert Scheu: Leiti aden der Weltgreschichte

erschienen Altertum in Nummer 8, Mlttelalter in

Nummer 16 dieser Zeitschrift.

Brandt'Giossen

Die Komödie

Der Inhalt des Joachim von Brandt ist am
ebesten aus der bei S. Eischer ersehienenen Buch-
ausgabe zu erfahren. Sicherer und angenehmer
jedenfalls, als durch die szenische Interpretation,
die übrigens dem Direktor Barnowsky keineswegs
vergessen werden soll. (Ein großes 1 deutsches The-
ater mußte das Werk ablehnen, weil Einer sich
weigerte, zur Tür hinausgeschleppt zu werden, wie
es seine Rolle verlangte. Von Talma wärs ein
echöner Zug, aber von einem sozusagen zivilen
Menschendarsteller...)

Ich habe der Lektüre dieses Werks eins der
tiefsten Erlebnisse zu verdanken, die mir die letzten
Jahre zugeführt haben. Eine Reinigung der Ge-
himbahnen von verkrusteten Empfindsamkeits-
resten, ein anständiges aufheiterndes Ozonisieren
der Gehirnrinde. Ein Wort Diltheys über Lessing
vermittelt prachtvoll das letzte Fingerspitzengefühl,
daß man bei weiter Entfernung noch vom Werk

herübersprühen fühlt: „Er phosphoresziert vor
Logik“.

Ueber den Grundriß, auf dem die individuelle
Handlung aufgeschichtet ist, sei vielleicht folgendes
bemerkt. Joachim von Brandt ist der legendäre
Rafael ohne Arme. Ein dämonischer Mensch, der
nicht zu seiner Form kommt. Dde wuchernde Kraft
zerstrahlt nach allen Seiten, aber soweit die Strahlen
auch fallen, nie treffen sie auf einen Widerstand.
Und so müssen sie immer weiter, immer weiter.
Ich glaube dem Herrn von Brandt aufs Wort, daß
er innerlich sehr rnüde ist. Aber er muß gleichsam
experimentieren, wie weit man dem trägen Mast-
vieh, der Masse, den andern, aufreizende Gevvürze
in die reChtens geschundene Jiaut streuen kann.
(Und still glimmt irgendwo ein sehnsüchtiges Hof-
fen, über diesen armseligen Sumpf zu einem Gefühl
seiner Persönlichkeit zu 'kommen.) Aber die Bestie
rührt sich kaum und ist mit Futter immer Wieder
zu beruhigen. Bis der Kleinstadtregent, in seiner
wohlempfundenen Bedeutung aufs tiefste gereizt,
die Würde des Gesetzes in Szene sfetzt. Jetzt richtet
sich die Grenze vor Brandt auf: das Gesetz. Und
als er einsieht, daßi Widerstand nur seine Distanz
zu den andern verkürzt, d aß ihn kein Gesetz der
Persönlichkeit, sondern eine Laune legitimiert,
ordnet er siCh still ein. Und nun, da ihm diese
Erkenntnis ein neuer Wert, eine gewisse Realität
wird, verbeugt sich aus realpolitischen Gründen
das Gesetz vor ihm. Das Schicksal konstatiert
grinsend die Ausnahme. Nun ist seine Hilflosig-
keit ohne Grenzen. Alles fließt ineinander. Ja,
wenn der Dämon nicht wäre, könnte ihn Candides
praktische Weisheit noch retten? „Laßt uns hinaus-
gehen und den Garten bestellen.“ Pflichtmäßiges
Handeln: das ist die allen Menschen gemeinsams
Ebene. Aber Joachim von Bramdt lernt es glück-
licher: ihm wird ein Kind geboren.

Ich halte diese Bemerkungen dem Bühnenbild
gegenüber niCht für überflüssig. Das Schauspiel
hatte sich im Kleinen Theater in ein anderes Format
gefunden. Der Joachim von Brandt ist ein böcklin-
sCher Mensch, der nackt durch die Gassen zur
Tränke jagt. Alfred Abel aber ließi eine leichte
Anämie nicht vermissen. Dieser große Schauspieler
— drei gibt es ja wohl in Berlin — verkehrte so
ziemliCh die Verhältnisse. Beim Brandt muß es
mit immer neuem Erstaunen erlebt werden, (wie
diese starke Natur von innen heraus gesthüttelt
wird: bei Abel flaute das zu nervösen Ausbrüchen
ab. Er war mir überhäupt zu beweglich für den
Rittmeister von Brandt. Selbstverständlich gab es
Situationen, wo nur ein Schauspieler von der
menschlichen Tiefe Abels für allzubedachte Worte
die Geste einer hingerissenen Situation fand. Aber
sein Exterieur störte nicht nur den Zuschauer: sie
ruimierte auch den Eysen Herrmann Wlachs. Der
hat als ein feiner sdünaler Mensch neben ihm zu
sein, ein gedämpfter Charakter und nicht vom
besten Blut. Neben Abels schlenkriger schlottriger
Haltung wirkte dieser Eysen läCherlich gesund und
brutal. Uebrigens hatte sich Wlach augenscheinlich
noch nicht in das Ensemble gefunden. Denn seine
Qualifikation für diese Rolle ist mir verbürgt.

Die große Leistung des Abends war L a n d a s
Regierungsrat. Er war mir schon kürzlich in einem
blutarmen Feuilleton von Burckhardt aufgefallen:
dies aber war eine Leistung großen Stils. Mit einer
behutsamen EmpfindliChkeit für den Tonfall des
Gesprächs wußte er lange Satzreihen dynamisCh
zu gliedern, Sätze aufzulösen, Worte in einer höchst
persönlichen Form zu belichten: das Außergewöhn-
liche seines blendenden speechs durch das Außer-
ordentliche der Persönlichkeit gleichsam selbstver-
ständlich zu machen. Das Lessiingtheater könnte
für diesen Schauspieler einige seiner Mitglieder jn
die Provinz verschicken.

Maxens Apotheker, den famosen Adalbert
Motz und Ilka Grüning als Frau Motz kann ich nur
noch als schöne Leistungen, verzeichnen. Nur die
Regie war mir zu d.iskret: ich vertrage es nicht,
wenn man die am stärksten belichtete Situation des
ganzen Werks — als Brandt die Geburt seines
Kindes erfährt — glatt unter den Tisch fallen läßt.
Ueberhaupt vermochte ich den letzten Akt auf der
Szene kaum noch wiederzuerkennen.

Ich halte den Abstand von Heimanns ästheti-
scher Intelligenz und seiner dichterischen Be-
lebungsfähigkeit für zu groß, um ihn als einen
spezifischen Bühnendichter zu empfinden. Seinem
Temperament fehlt das Dumpfe, Vegetative: er ist

einer jener Piatoniker, die ihre Gestalten bts atd
ihre leiseste Bewegungen in ’das Bewußtsein ge^
hoben haben. So sehr ich Moritz Heimann in
diesem Werk als Dichter lieben gelernt habe, bitte
ich, an ein Wortdes aiten Goethe erinnern zu 'dürfen:
Zum Dichter gehört eine gewisse, ins Reale ver-
liebte BesChränktheit....

Rudolf Kurtz

Nicht erlogenes Foyergespräch

„Wissen Sie, Herr Kollege, er geht doch ztt
weit. Man kann nicht schreiben: Eingesetzt bio
ich, zu richten.“

„Ueberhaupt, der Herr Kerr ist viel zu sub-
jektiv. Wen geht es scbließliCh an, was irgend
einer für eine Ansicht hat. Das Publikum kümmert
sich ja Gottseidank auch nicht darum.“

„Ja, Herr Kollege, Sie haben Reclit, es wlB
die öffentliche Meinung hören.“

Die öffentliche Meinung

Die Herren von der Presse gehen nun gan*
energisch gegen die Literatur los. Sie markiereffl
Gewitter, wenigstens in ihren Theaterkritiken.
Sdireibt endlich ejnmal ein anständiger Mensch ein
anständiges Stück, so haben die Herren die schwer-
sten Bedenken, denn es könnte ihnen das Geschäft
stören. Nebenbei : ich habe richtig vermutet. Herr
Skowronnek gehört nicht zum stückeschreibendeni
Pressesyndikat. Wasi glaubt man, tut also Herr
Turszinsky ? Er wendete sich wieder verzweiflungs-
voll nach Breslau und behäuptet, daßi Herr
Skowronnek — C1 i c h e schwänke schreibe. So-
zusagen, in seinem Jargon gesprochen: ejn Unter-
literaturnormalmensch. Man sieht, die Herren ver-
stehen sich allmählidh auf Differenzierungen. Also
die öffentliche Meinung lehnt Herrn Moritz Hei-
mann ab und tut so, als ob die Komödie höchstenffl
einen mäßigen Erfolg gehabt habe, den selbstver-
ständlich dem Autor seine Freunde bereiteten.
Es ist der „öffentlichen Meinung“ offenbar unan-
genehin, wenn einmal secbs Leute im Theater sind,
die nicht zu ihrer Sippe gehören. Tatsächlich bleibt
zunächst festzustellen, daß die Komödie einen außer»
Ordentlichen Erfölg hätte, an dem sich nur diej
Herren vom Lothärsyndikat nicht beteihgten. Herc
Norbert Falk schrieb in der B. Z. am Mittag ixffl
letzter Zeit einige für ihn auffallende Kritiken. Jetzt
hät die Erde ihn wiieder. Er tobt über die „Cafe-
hausliteraten“. Endlicb erfährt man auch, wo diese
Geschöpfe sich aufhalten sollen. Im Cafe des
Westens. Als ich 1 und sO oft ich dieses Lokal auf-
suchte, fand ich nur Bierhäusliteraten dort, die rnir
den Aufenthält so verekelten, daßi iCh seit Monaten
einen mir bequem gelegenen Ort zur Lektüre von
Geistesprodukten der öffentlichen Meinung meide.
Herr Norbert Falk verwechselt wieder einmal Lite-
ratur (Kxmst) und Leben. Hält sich für ungeheuer
lebenstüchtig und lebensklug und spuckt auf die
ganze Literatur. Sie allerdings auch auf ihn. Wird
man denn niemals in Deutschland begreifen, |daßl
Kunst und Photographie zwei gegensätzliche Dinge
sind. Wie kann man das von fierrn Falk ver-
langen, dem nur die Berliner Morgenpost und die
Berliner Illustrierte Zeitung zur Verfügung steht,
wenn der Doktor Artur Eloesser auf dem gleichen
Niveau flaniert, trotzdem er für die Vossische Zei-
tung von Staats- und gelehrten Sachen schreibt
Er besChäftigt sich mit der Neuen Rundschau und
findet, daß Heimanns Geist von ihr infiziert sei.
Soviel Geist besitzt dieses! [Blatt aber nicht, um
so verschwenderisCh damit umgehen zu können,
wenn es auch Herm Eloesser maßlosf zu impo-
nieren scheint. Ja, meine (hochverehrten Herren,
Sie sind alt geworden, ohne jung gewesen zu sein',
Sie haben ausgespielt, ohne die Bühne je betreten
zu haben. Sie haben viel geschrieben, aber es ist
für schlecht befunden worden. Mit einem Wort:
Sie, die Vertreter der öffentlichen Meinung, Iiabeni
nic’ht diei geringste Ahnung, was Kunst und Literatur
eigentlich ist. Trinken Sie vergnügt ihren Schoppen,
und seien Sie liberal wie Ihre politischen Kollegen:
Gönnen Sie mir meine Schale schwarzen Kaffees,
kritisieren Sie das Leben, dann haben Sie die Erde
und die Erde hät Sie wieder!

T r u s t

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