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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 22 (Juli 1910)
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Loos, Adolf: Damenmode
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Bethge, Hans: Asiatisches Liebeslied: aus Nepal
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Friedlaender, Salomo: Der Tod des alten Federhuts
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0176

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Diese Sehnsucht kann gegenwärtig nur in Erfül-
Iung gehen, wenn sie die Liebe des Mannes erringt.
IXe Liebe macht ihr den Mann untertan. Diese
Liebe ist aber nicht natürlich. Sonst würde sich
ihm das Weib nackt nähern. Das nackte Weib
ist aber für den Mann reizlos. Es kann wohl die
Liebe des Mannes entflammen, nicht aber erhalten.

Man erzählt, daß die Schamhaftigkeit dem Weib
das Feigenblatt aufgenötigt hat. Welcher Irrtum!
Die Schamhaftigkeit, dieses mühsam durch raffi-
nierte Kultur kbnstruierte Gefühl, war dem Ur-
menschen fremd. Das Weib bekleidete sich, sie
wurde für den Mann zum Rätsel, um ihm die Sehn-
sucht nach seiner Lösung ins Herz zu senken.

Die Erweckung der Liebe ist die einzige Waffe,
die das Weib im Kampf der Geschlechter besitzt.
Die Liebe aber ist eine Tochter der ßegierde. Die
Begierde, den Wunsch des Mannes zu erregen, ist
des Weibes Hoffnung. Der Mann kann das Weib
durch seine Stellung, die er sich in der mensch-
lichen Gesellschaft errungen hat, beherrschen. Ihn
beseelt der Drang nach Vornehmheit, den er auch
in seiner Kleidung zum Ausdrudc bringt. Jeder
Raseur möchte wie ein Graf aussehen, während der
Graf sich niemals bestreben wird, für einen Raseur
gehälten zu werden. Und in der Ehe erhält die
Frau durch den Mann ihre soziale Marke, gleich-
viel, ob sie Kokotte oder Fürstin gewesen ist.

I h r e Stellung geht vollständig verlor'en.

Das Wdb ist daher gezwungen, durch ihre
Klddung an die Sinnlichkeit des Mannes zu appel-
lieren, unbewußt auf seine krankhafte Erotik, für
die man nur die Kultur seiner Zeit verantwortlich
machen kann.

Die Veränderung der Männerkleidung wird so
bewirkt, daß die großen Massen in ihrem Drang
nach Vornehmhdt nachstürzen und auf diese Wdse
die ursprüngliche vornehme Form entwerten. Die
wirklidi Vornehmen — oder besser die, die von
der Menge für solche gehalten werden — müssen
sich aber nach einer neuen Form umsehen^ um sich
zu unterscheiden. Der Wechsel in der Frauen-
kleidung hingegen wird nur von dem Wechsel der
...

Und die Sinnlichkdt wechselt stetig. Gewisse
erotische Abweichungen häufen sich gewöhnlich in
einer Zeit, um dann anderen Platz zu machen. Die
Verurteilungen auf Grund der Sittlichkdtspara-
graphen des Strafgesetzbuches sind das verläßlichste
Modejournal. Ich will nicht wdt zurückgrdfen. Ende
der siebenziger und Anfang der achtziger Jahre
Strotzte die Literatur jener RiChtung, die durch ihre
realistischen Aufrichtigkeiten zu wirken suchte, von
Beschreibungen üppiger Frauenschönheit, Flage-
lationsszenen. Ich erinnere nur an Sacher-Masoch,
Catulle Mendes und Armand Sylvestre. Bald dar-
auf wurde die volle Ueppigkeit, die reife Weiblich-
keit durch die Kleidung scharf zum Ausüruck ge-
bracht. Wer sie nicht besäß, mußte sie fälschen:
le cul de Parls. Nun trat die Reaktion ein. Der
Ruf nach Jugend erscholl. Das Weibkind kam in
die Mode. Man lechzte nach Unreife. Die Psyche
des Kindes wurde zerpflückt und literarisch aus-
gebeutet. Peter Altenberg. Die Barrisons tanzten
auf der Bühne und in der Seele des Mannes. Da
verschwand aus der Kleidung der Frau, was wcib-
lich ist, um den Kampf gegen, das Kind auf-
zunehmen. Sie log sich ihre Hüften hinweg, starke
Formen, einst ihr Stolz, waren ihr unbequem. Der
Kopf nahm durch Frisur und die großen Aermel
den Ausdruck des Kindlichen an. Aber auch diese
Zeiten sind vorüber. Man wird niir einwenden,
daß sich gerade jetzt die Schwurgerichtsverhand-
lungen über den Mißbrauch von Kindern vnehren.
Gewiß. Das ist der beste Beweis, daß erotische
Formen aus den höheren Kreisen verschwinden,
um nun ihre Wanderschaft nach unten anzutreten.
Denn der großen Masse stehen niCht die Mittel
zu Gebote, sich aus jener Schwüle hinaus zu retten,
wie dem Hochstehenden, Mittel, wie Variete und
Peter Altenberg.

Ein großer, könstanter Zug ging durch dieses
Jahrhundert. Das Werden wirkte stärker als das
Gewordene. Der Frühling wurde erst in diesem
Säculum zur bevorzugten Jahreszeit. Die Blumen-
maler früherer Zeiten haben niemals Knospen ge-
malt. Die professionellen Schönheiten am Hofe
der französischen Könige erreichten ihre vollste
Blüte erst mit dem vierzigsten Jahre. Aber heute
hat sich auch für jene, die sich für vollständig
gesund halten, dieser Zeitpurikt in der Entwicklung

des Weibes um zwanzig Jahre nach aufwärts voll-
zogen. Stets wählte daher die Frau Formen, die
das Merkmal der Jugend tragen, die für unsere
Augen das Merkmal der Jugend bilden. Ein Be-
weis: Man lege die Photographien aus den letzten
zwanzig Jahren einer Frau nebeneinander. Und sie
wird ausrufen: ,,Wie alt habe ich vor zwanzig Jahren
ausgesehen!“ Und man wird zugeben müssen:
Auf dem letzten Bilde erscheint siie am mngsten.

Wie ich schon bemerkt habe, gibt es auch
Parallelströmungen. Die wichtigste, deren Ende
noch gar nicht abzusehen ist, dabei die stärkste,
weil sie von England ausgeht, ist jene Richtung,
die das raffinierte Hellas erfand — die Liebe Platos.
Das Weib sei dem Manne nur ein guter Kamerad.
Auch dieser Strömung wurde Rechnung getragen
und sie führte zur Schäffung des tailor made
Costume, des 1 vom Herrenschneider gemachten
Kleides. In jener Gesellschaftsschicht, in der auf
die vornehme Abstammung der Frau gesehen wird,
im Hochadel, kann man eine Emanzipation von
der herrschenden Damenmode bemerken, indem
man dort dem männlichen Zug nach Vomehmheit
huldigt. Die Leute können sich dann nicht genug
über die in der Aristokratie herrschende Einfach-
heit wundern.

Aus dem Gesagten geht hervor, daß die Füh-
rung in der Herrenkleidung der Mann inne hat,
der die höchste soziale Position einnimmt, die
Fühmng in der Damenmode aber jene Frau be-
sitzt, die für die Erweckung der Sinnlichkeit das'
meiste Feingefühl entwickeln muß, die Kokotte.

Die Kleidung der Frau unterscheidet sich von
der des Mannes durch den Rock, der die Beine
bedeCkt. Das war nicht immer so. Nie gab es
in früheren Zeiten einen solchen Untersthied zwi-
schen der Kleidung der Frau und des ! Mannes.
Noch bis zum dreizehnten Jahrhundert tragen beide
den Rock. 'Noch bis zum neunzehnten Jahrhundsrt
tragen beide Geschlechter Farben, Spitzen und
Stickereien. Vom neunzehnten Jahrhundert an folgt
die Kleidung des Mannes dem Gesetz, das ich auf-
gestellt häbe: Evolution der Kultur ist identisch
ir.it dsrr. Entfernen dos Omaments aus den Ge-
brauchsgegenständen. Die Männerkleidung wird
für ewige Zeiten dem Omamentiertwerden entzogen.
Nicht so die Kleidung der Frau. Noch nie gab es
zwischen Männer- und Frauenkleidung einen solchen
krassen Unterschied als jetzt. Noch nie hat sich der
Mann von dem Ideenkreise der Frau soweit entfernt
als in unseren Tagen, in der weltabgewandte
Naturen von einer Emanzipation der Frauen fabeln.

Die grandiose Entwiddung unserer Kultur in
diesem Jahrhundert hat das Omament glücklich
überwunden. Je tiefer die Kultur steht, desto
stätker tritt das Ornament auf. Das Ornament ist
etwas, was überwunden werden mußi. Der Papua
und der Verbrecher ornamentiert seine Haut. Der
Indianer bedeckt seine Ruder und Sein Boot iiber
und über mit Ornamenten. Aber das Zweirad und
die Dampfmaschine sind omamentfrei. Die fort-
schreitende Kultur scheidet Objekt für Objekt vom
Ornamentiertwerden aus.

Männer, die ihr Verhältnis zu vorhergehenden
Epochen betonen wollen, kleiden sich heute noch
in Gold, Samt und Seide: der Hof und der Klerus,
Männer, denen man eine moderne Errungenschäft,
die Selbstbestimmung vorenthalten will, kleidet man
in Gold, Samt und Seide: Lakaien und Minister.
Und der Monarch hüllt sich bei besönderen Ge-
Iegenheiten in Hermelin und Purpur, ob es nun
seinem Geschmack entspricht oder nicht, als erster
Diener des Staates. Auch beim Soldaten wird durch
farbige und goldstrotzende Uniformen das Gefühl
der Hörigkeit erhöht.

Das lange, bis zu den Knöcheln reichende Ge-
wand aber ist das gemeinsame Abzeichen derer, die
nicht körperlich arbeiten. Als körperliche •md er-
werbende Tätigkeit noch unvereinbar war mit freier,
adliger Abkunft, tmg der Herr das lange Kleid,
der Knecht die Hose. So ist es heute noch in
China: Mandarin und Kuli. So bekundet bei uns
der Klerus seine nicht auf Erwerb geriChtete Tätig-
keit durch die Soutane. Wohl hat der Mann der
obersten Gesellschaftsschichten sich das Recht auf
freie Ärbeit erworben, bei festlichen Anlässen trägt
er aber noch immer ein Kleidungsstück, das bis zu
den Knien reicht, den Gehrock.

Der Frau aus diesen Kreisen wurde eine reine
Erwerbstätigkeit von ihrer Gesellschaft noch nicht
zugestanden. In jenen Schichten, in denen sie das

Recht auf Erwerb erlangte, trägt auch sie die Hose.
Man denke an die Kohlengräberin in den belgischen
Schächten, an die Sennerin der Alpen, an die
Krevettenfischerin der Nordsee.

Auch der Mann mußte für das Recht des Hosen-
tragens kämpfen. DaS Reiten, eine Tätigkeit, die
nur körperliche Ausbildung, aber keinen materiellen
Gewinn erzielt, war die erste Etappe. Dem blü-
henden, reitfreudigen Rittertum des dreizehnten
Jahrhunderts haben die Männer die fußfreie Klei-
dung zu danken. Diese Ermngenschaft konnte
ihnen das sechzehnte Jahrhundert, in dem das Reiten
aus der Mode kam, nicht mehr rauben. Die Frau
hat erst in den letzten fünfzig Jahren das Recht
der körperlichen Ausbildung erlangt. Ein analoger
Vorgang: Wie im dreizehnten Jahrhundert der
Reiter, wird im zwanzigsten Jahrhundert der Rad-
fahrerin das Zugeständnis der fußfreien Kleider
und der Hose gemacht. Und damit ist der erste
Schritt zur gesellschaftlichen Sanktion der Frauen-
arbeit getan.

Asiatisches Liebeslied

aus Nepal

Deutsch von Hans Bethge

Drei Dinge birgt dein Mund, o Leila:

Die köstlichste der Perlenschnüre Nepals
Und einen SchluCk vom süßen Schiras-Weine
Und den Geruch des Moschus von Tibet.

Der holde Ruch des Moschus ist dein Atem,

Der Schiras-Wein ist deines Mundes Nässe,
Und deine Zähne sind die PerlensChnur.

O Leila!

Drei Dinge birgt dein Aug’, o Leila:

Die schwarzen Diamanten Hindostans,

Die glanzerfüllte Seide von Lahore,

Des Futschi-Yama wilde Lavaglut.

Die Lavaglut ist deines Auges Schimmer,

Die Seide von Lahore seine Milde,

Die Diamanten seine tiefe Nacht.

O Leila!

Drei Dinge birgt dein Herz, o Leila:

Die gelben Schlangen Birmans wohnen dort
Und alle giftigen Pilze aus Bengalen
v Und alje giftigen Blumen aus Nepal.

Die gifiigen Blumen, das sind deine Schwüre!
Die giftigen Pilze, das sind deine Küsse!

Die Bmt der Schlangen, das ist dein Verrat!

O Leila!

mmmmmmmmmmmmmmmmmmmm^^^mmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmmm^

Der Tod des alten Federhutes

Von Mynona

Der alte Federhut hatte sich in einem Anfall
von Pedanterie zu sterben in den Kopf gesetzt.
Er hätte sich das Leben gegen neunzig Jahre mit
angesehen, ohne die Miene zu verziehen. Aber
jetzt genug, sagte er, und Iegte siCb in das, was
er schälkhaft sein Sterbebett nannte. Der alte Mann
wollte, wie gesagt, aus übertriebener Ordnungs-
liebe von hinnen. Es war auch alles 1 bereits ge-
regelt. Nur daß der herrliche bedachtsame Greis
eigentlich noch lebte, wenn man es recht bedaChte.
Die Situation begann, leise lächerlich zu werden.
Der Leichenwagen stand, wenn ich mich sö aus-
drücken darf, schon vor der Tür. Dienerschaft,
Verwandte, Freunde, Nachbarn, selbst Haustiere
waren festlich aufgeregt. Wiikt doch der Tod
immer ein wenig sensätionell! Aber Federhüt
mußte sich und die andern enttäuschen. Er lebte,
und seine Aerzte weigerten sich höflich, aber ent-
schieden, ihm den Totenschein auszustellen. In
dieser grenzenlosen Verlegenheit entschloß sich def
alte Herr zu einem verzweifelten Schritt: er nahni
mehrere Schlafpulver auf einmal, röchelte noch einc
Weile und wurde dann zu seiner satten Befriedi'
gung für tot gehälten. Später merkte er, daß C r
nur scheintot war, hätte aber kein Interesse daran,
den drolligen Irrtum, über den er sich innerlich
fast tot lachte, aufzuklären, und ließ mit wahrhaft
wollüstiger Ueberlegenheit sich wie einen ehrlichen
Leichnam behandeln. Die Verwandten, Leute von

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