Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0223
DOI Heft:
Nr. 28 (September 1910)
DOI Artikel:Strindberg, August: Schlafwandler
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0223
Umfang acht Seiten
Einzelbezug: 10 Pfennig
DERSTURM
WOCHENSCHRIFT FÜR KULTUR UND DIE KÜNSTE
Redaktion und Verlag: Berlin-Halensee, Katharinenstrasse 5
Fernsprecher Amt Wilmersdorf 3524 / Anzeigen-Annahme und
Geschäftsstelle: BerlinW35, Potsdamerstr. 111 / Amt VI 3444
Herausgeber und Schriftleiter:
HERWARTH WALDEN
Vierteljahresbezug 1,25 Mark Halbjahresbezug 2,50 Mark/
Jahresbezug 5,00 Mark / bei freier Zusteilung / Insertions-
preis für die fünfgespaltene Nonpareiliezeile 60 Pfennig
JAHRQANG 1910
BERLIN/DONNERSTAQ DEN 8. SEPTEMBER 1910/WIEN
NUMMER 28
INHALT: AUGUST STRINDBERG: Schlafwandler / ALFRED DÖBLIN: Die Ermordung einer Butterblume / JULES LAFORGUE: Gedichte / THADDÄUS RITTNER: Rütsel
Tagebuch eines Märchenkönigs / ALFRED LICHTENSTEIN: Mieze Meier / TRUST: Lokales / MAX FRÖHLICH: Der Pudel / Zeichnung
Schattenspiel
Samuel Fndolin
Schlafwandler
Von August Strindberg'
Es gibt Menschen, die jhr gahzes Leben im
Sehlaf gehen; weckt man sie, werden sie böse,
drehen sich um und schlafen wieder ein. Sie leben
wie Pffanzen und schlafen wie Pflanzen.
Um einen Versuch zu machen, will ich das
Wort lügen gegen dichten austauschen; vielleicht
ist die Gleichung auf diese schönere Art leichter
zu lösen. (
Sie haben sich eine Art Weltanschauung ge-
dichtet, wie sie eine Libelle haben könnte; in Sonne
und Luft schwebend, aber in einem Sumpf geboren,
fliegen sie stoßweise dahin, bleiben niemals sitzen,
halten aber zuweilen still, während sich die Flixgel
bewegen; viel'leicht back gebraßt, da der Flug nicht
vorwärts kommt; dann rücken sie wieder vor, halten
wieder still. Sie suchen beständig etwas, das ist
jedoch nicht Raub, vielleicht ein Vergniigen, eine
Kleinigkeit, nichts. Unbeständig, ohne ein fernes
Ziel, zufrieden nur, wenn die Sonne scheint; kommt
aber eine Wolke und spriiht Regen, verbergen sie
sich und hocken unter BEttern; die Lebenslust ist
fort, alles wird dunkel, und wenn die Sonne unter-
geht, sterben sie.
Sie stellen keine anderen Forderungen ans
Leben ate Speise und Trank und Vergnügen, denn
„morgen werden wir sterben“. Schuld können sie
219
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JAHRQANG 1910
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INHALT: AUGUST STRINDBERG: Schlafwandler / ALFRED DÖBLIN: Die Ermordung einer Butterblume / JULES LAFORGUE: Gedichte / THADDÄUS RITTNER: Rütsel
Tagebuch eines Märchenkönigs / ALFRED LICHTENSTEIN: Mieze Meier / TRUST: Lokales / MAX FRÖHLICH: Der Pudel / Zeichnung
Schattenspiel
Samuel Fndolin
Schlafwandler
Von August Strindberg'
Es gibt Menschen, die jhr gahzes Leben im
Sehlaf gehen; weckt man sie, werden sie böse,
drehen sich um und schlafen wieder ein. Sie leben
wie Pffanzen und schlafen wie Pflanzen.
Um einen Versuch zu machen, will ich das
Wort lügen gegen dichten austauschen; vielleicht
ist die Gleichung auf diese schönere Art leichter
zu lösen. (
Sie haben sich eine Art Weltanschauung ge-
dichtet, wie sie eine Libelle haben könnte; in Sonne
und Luft schwebend, aber in einem Sumpf geboren,
fliegen sie stoßweise dahin, bleiben niemals sitzen,
halten aber zuweilen still, während sich die Flixgel
bewegen; viel'leicht back gebraßt, da der Flug nicht
vorwärts kommt; dann rücken sie wieder vor, halten
wieder still. Sie suchen beständig etwas, das ist
jedoch nicht Raub, vielleicht ein Vergniigen, eine
Kleinigkeit, nichts. Unbeständig, ohne ein fernes
Ziel, zufrieden nur, wenn die Sonne scheint; kommt
aber eine Wolke und spriiht Regen, verbergen sie
sich und hocken unter BEttern; die Lebenslust ist
fort, alles wird dunkel, und wenn die Sonne unter-
geht, sterben sie.
Sie stellen keine anderen Forderungen ans
Leben ate Speise und Trank und Vergnügen, denn
„morgen werden wir sterben“. Schuld können sie
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