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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 19 (Juli 1910)
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Hiller, Kurt: Oskar Kokoschka
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Stoessl, Otto: Jugendromane
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Walden, Herwarth: [Kritik über Kokoschka aus Wiener Zeitungen]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0155

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Generaimusikdirektor Oeheimer Hofrat Ernst Edlerjvon Schuch

^eit. Darwischen „ein neugeborenes Kind“, in
Petunienfarbne Nebel getaucht; und, über widrig
hageren Professorenfingern, den Charakterkopf
Porels, des demokratisch - monistischen Sexual-
^ugusts, der keine Skepsis kennt; und „Signor
^crona“, einen Cabaret-Typus, degeneriert, em-
^ryonesk, mit einem Kopf von der Form eines
Ulngekehrten Pyramidenstumpfes, oder — wenn ich
gut meine — einer auf ihre Oeffnung gestellten
^asserkaraffe. Auch Karl Kraus schaut micn an;
er sitzt ruhig und gefährlich, mit schmaler, in-
tellektueller Hand und spitzem Mündchen und un-
Slaublichen Aquamarin-Augen; der Stoff des zu
^orspottenden Universums strömt auf ihn ein; er
s*tzt zierlich und amüsiert-lauernd da, irgendwie
yon hinten still auf dem Sprung; aber um sein
t^aupt tanzen blitzgelbe Tupfen. — Diese Vision
des heiter-tiefsten Polemikers wäre „der Clou“,
wenn nicht Oskar Kokoschka nodi den Buchhändler
^tein gemalt hätte. Ich weiß gar nicht, wer der
^uchhändler Stein ist; aber dieses Bild ist eine
sarkastische Orgie in Saphirblau; der Mensch ganz
Und gar Nasenwurzelfalte; ich kann mich nicht satt
^aran sehen; ich schreibe in mein Katalogblatt:
»elasquez & Cezanne! — Endlich „bemalte
^ktzeichnungen“: sehr ergötzlich zwei Rosas auf
e*ne Art zerknüllten Packpapiers gesetzt.

Soll man dieses neue Temperament nun ein-
^ngieren? Soll man den Kenner mimen, den
* e,gefinger (unter Spreizung der drei übrigen) an
di e Spitze des Daumens legen und es geistreich
®bgrenzen gegen Manet, gegen Liebermann? Soll
^an es mit dem eisemen Maßstab „van Gogh“
^ssen? Soll man äußern: „Kokoschka ist ein
^ntipode Klimts, er legt bei seinen Porträts mehr
’^ert auf Charakteristik als auf Innenarchitektur?“

All dies fruchtet gar nichts; denn man gibt
kein Bild von einem Bildner, wenn man ihn ver-

&leicht!

Kurt Hiller

Die Berliner Presse schweigt sich aus. Keiner
''’agt, Leithammel zu sein, und ohne den gehts
u,rht. Die Kunstkritik lebt fortwährend in dop-
Pelter FurchL Anerkennung und Ablehnung be-

deutet die gleiche Gefahr. !di will den Herren Mut
machen, und stelle ihnen einige Aeußerungen zur
Verfügung, die die Kollegen der Wiener Presse
von sich gaben.

Wiener Allgemeine Zeitung

Vorerst müsste darüber Klarheit werden, ob man
es hier überhaupt mit einem Temperement zu tun
habe, oder mit einer Grimasse, die auf dem Schild
einer kleinen Begabung grinst . . . Um Kokosehka hat
sich ein Kreis gebiidet; und wahrlich — nicht die
Schlechtesten findet man darunter Künstler Von
Ruf, von anerkannter Bedeutung und erlesenen Ge-
schmack ermuntern den neuen Mann und sehen in ihm
ein Talent allerersten Ranges. Sie begrüssen in ihm
den Verkünder eines neuen Kunstdogmas.
Fremdenblatt Wien

Die Begeisterung für diesen besonderen Kunstfail
ist nicht immer snobistischen Ursprungs. Sie bedeutet
den Triumph des Grotesken überhaupt.

Neue Freie Presse Wien

Ein Nebenraum . . . von Kokoschka ist mit Vor-
sicht zu betreten Menschen von Geschmack sind hier
einem Nervenchoc ausgesetzt.

Fremdenblatt Wien

Der Oberwildling heisst Kokoschka . . . Kokoschka
ist ein hübscher junger Mann und begabter Schwärme-
nöter. Für seine drei wandgrossen Skizen Wird er in
der Luft zerrissen Werden, aber das Wird ihm und
der Luft gut tun.

(Von einem andern Mann im Fremdenblatt ge-
schrieben, nämlich von Herrn Ludvvig Hevesi.)
Deutsches Volksblatt Wien

Der Fall ist symptomatisch und erfordert energisches
Einschreiten der Unterrichtsbehörde.

Die Zeit, Wien

Dieses enfant terrible ist nämlich wirklich ein Kind.
Absolut kein Poseur . . . Hier ist etwas echtes und
frisches, etwas elementares, das nach Ausruck ringt...
Denf Namen Kokoschka aber muss ich mir merken.
(Richard Muther).

Neues Wiener Tagblatt

Die Isthetischen oder besser gesagt unästhetischen
Purzelbäume des Van Gogh und die armseligen Blätter
die Rodin in schwachen Stunden geliefert hat, sind
Offenbarungen, wenn man sie mit den abscheulichen
Sachen Kokoschkas vergleicht.

Wiener Mi 11agszei tung

Noch ein Wort über Herrn Oskar Kokoschka.
Es ist garnicht möglich. das er sich seibst ernst n mmt
Kokoschka hat da eine kolorierte Plastik hingestellt,
die ein Cffentliches Aergern s ist, nur widerlich, garnicht
grruenhaft aber sehr !«eherlich. Was man doch alles
tun muss, damit ästhetische ju«.ge Hamen, die sich vor
dem Unding stauen, bewunderna mit den Ricscnhiiten
wedeln, undfim Trance flüstern: „Nein, der Kokoschka".

Berliner Lokal-Anzeiger

Die Traumtragenden, Gobelinentwürfe von Oskar
Kokoschka würden jeden Felsen in Amerika zur Zierde
gereichen. (Dies schrieb Herr Rudolf Lothar in jener
glücklichen Zeit, als er noch fern von Berlin hauste).

Wiener Mode

Kokoschka erregte mit seinem Biide grosse
Heiterkeit. . . . Heute ist der Jüngling schon gefeiertes
Schuihaupt . . .• sie rufen ihn für den neuen Heilbringer,
den heraufkommenden Mann, den Kunstmessias aus.
Was ist ihnen noch Klimt?

Oesterreichische Rundschau

Vor diesen bald ungeienken, baid absichtiich ins
Groteske spielenden perspektivlosen uud für mich in
jed m Betracht auch sinnlosen Tafeln stockt mein
Verständnis

Neues Wiener Tagblatt

Warum der Entwürf die Traümtragenden heis'st,
kann ich mir allerdings nicht erklären. Vielleicht soil
er ausdrücken, das einem sowas nur im Schlafe ein-
fallen kann. (Dies schrieb natürlich ein Humorist — i
der Herr Poetzl.)

Die Zukunf t

Es müssen in seinem Talent die Manneseindrücke
so stark, und seine formende Fähigkeit so gross sein,
dass sich für Kokoschka keine edlere Aufgabe, als
die des Portraits denken liesse, das wesenhafte eines
Menschenantlitzes zu enthüllen. (Max Mell.)

T r u s t

Jugendromane

Von Otto Stoessl

Daß dem Esel Disteln besser schmecken, als
Himmelschlüssel und Märzenbecher, ist von seinem
Standpunkt durchaus begreiflich. Und wer sich von
eines Grautieres Geschmack die eigene Nahrung
ordinieren läßt . . .

Der Yah-Ruf ist eine Kritik, aber er wird immer
auch zur Parole. Denn selbst die einsilbigste
Dummheit muß noch nachgeahmt werden. In dem
Rezensentengeschrei ist letzthin ein ernstliches
Widerstreben gegen Primeln und Märzenbecher
zum Ausdruck gekommen, das graue Elend hat sich v-
gegen die Jugend gewehrt, die Kritik hat sich gegen
die Jugendromane ausgesprochen. Immer wieder
müsse man — Rezensenten sind aucli „man“ —
diese Dichter von der Jugend erzählen hören. In
der ganzen Literatur halle es von Kinderstnbenge-
schrei, Knabentorheit und Entwicklur.gsschmerzen
und ein besonders Tiefer meinte, die Schuld daran
liege wohl in der mächtigen Bewegung unserer
Tage, „für das Kind“. Wieviel wichtiger seien doch
die Schicksale des Mannes, und was dergleichen
Stoßseufzer nach den Disteln mehr waren.

Nichtsdestoweniger erdreistet sich die Kunst,
nur die Nahrung zu nehmen, die ihr zusagt. Das ist
das naive Problem des „Stoffes“ in der Dichtung.
Das „Was“ ist eine höchst persönliche, geheimnis-
volle und selbstverständliche Sache jedes Einzelnen,
nur das „Wie“ entscheidet über sein Recht und Un-
recht. Die siegende Notwendigkeit macht die ein-
zige Moral des künstlerischen Zwanges aus. Es
gibt keinen guten oder schlechten Stoff der Poesie
an sich. Und vielleicht war es die großartige In-
stinktgebundenheit der Kunst, die uns zur Einsicht
verhalf, daß es auch keine an sich gute oder
schlechte Handlung gibt, sondern, daß jede erst
durch die Persönlichkeit ihr Wertzeichen er-
hält. Die einzige Unsittlichkeit der Kunst ist das
vergebliche Wollen und erst beim fragwürdigen
Werke gibt es eine gerechte Frage nach dem Stoffe.

Freilich enthält das Leben selbst, die Quelle
und Nahrung und Bedingung jedes Gestaltens, ge-
wisse sich unmittelbar bietende Motive, deren Er-
giebigkeit unbedingt nach der schöpfenden Hand
verlangt. Vermöge ihrer Sinnfälligkeit und Qe-
gebenheit üben sie den stärksten Reiz, aus ihrer
typischen Masse das Besondere, aus ihrer Allge-
meinbedeutung das Individuelle zu lösen.

Zu diesen ökumenischen Motiven gehören vor-
züglich die Probleme der Lebensalter selbst, die
ganz geheimnisvol! mit der Natur der dichterischen
Formen verwachsen sind. Schon in der äußer-
lichen Unterscheidung: Epos und Drama, erkennt
man Unterschiede von Lebensstufen selbst. Der
jedem Alter innewohnende Rhythmus, das jeweils
veränderte Maß von Instinkt und Bewußtsein be-
dingt diese Ausdrucksformen. Die dialektische Qe-
gensätzlichkeit des Lebens, die dramatische Nöti-
gung zum Austrag entspricht dem Mannesalter. Das
unendlich wechselnde Vorüberziehen von Ereig-
nissen und Figuren an den wahllos aufnehmenden,

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