Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

DOI Heft:
Nr. 5 (März 1910)
DOI Artikel:
Stoessl, Otto: Kameraderie
DOI Artikel:
Pinsky, Chammay: Die Nacht
DOI Artikel:
Döblin, Alfred: Gespräche mit Kalypso: Ueber die Musik
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0038

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Rechtfertigung des eigenen Wesens durch
solche Wahlgemeinschaft bedeutet einen Qewinn,
der selbst mit Enttäuschungen nicht zu teuer be-
zahlt wird. Ueberhaupt welche Angst vor bösen
Erfahrungen! Als wären sie nicht die einzige
Währung, mit der wir die Launen, Abenteuer,
Zügellosigkeiten, Qenüsse, all die Jahreszeiten-
wechsel, den Sternenhimmel unserer Qeistigkeit
bezahlen müssen!

Das Vertrauen zu Menschen, die Ehrerbietung
vor solchen, die ich als groß erkenne, mein unbe-
irrtes Zeugnis fiir sie, erhebt mich selbst, dagegen
schränkt mich die Unfähigkeit der Hingabe an
fremde Ideen und fremden Wert, die Feigheit,
mich in mich selbst und zwar in die leerste, kiim-
merlichste Sekurität der ungestörten Existenz zu
fliichten, auf engste ein. Den Gemeinschaftsin-
stinkt zu einer Freiheit und Sicherheit der Wa’al
auszubilden, ist die einzige Pflicht eben des indivi-
duellen Qeistes und das einzige gerechte Maß sei-
ner Beurteilung. Das hat natiirlich nichts mit der
notwendigen und selbstgerechten Einsamkeit zu
schaffen, in der jeder lebt, auch ohne sie erst be-
wußt zu erwirken, denn es gibt Zustände und
Handlungen, Absichten und Aeußerungen auch des
geistigen Lebens, die schlechthin und notwendig
sozial sind, Beziehungen verlangen und erzeugen,
während nebenher, dariiberhin der ganze unge-
minderte Horizont der Einsamkeit sich wölbt.

Diese eigentiimliche Notwendigkeit innerer
Beziehungen, einer willkiirlichen Sozialität befreit
den Einzelnen selbst bei übernommener Bindung.
Irgendwie ist seine Leistung der von ihm bejahten,
aufgesuchten, geförderten, verwandt. Was einer
draußen irgendwo entdeckt, an sich zieht, liebt,
wird seine Ergänzung und sein Triumph.

Nichts Böses und Widerwärtiges liegt in der
Natur solcher Gemeinschaftsbildungen und Aeuße-
rungen, die erst durch Einzelne und ihren Unwert
verdächtig, schlecht werden können. Alle großen
Menschen haben Verwandte vereinigt, mit unver-
gleichlicher Qabe der Anziehung festgehalten und
jedem sein Aeußerstes und Bestes entlockt, so daß
jeder dem Genie zumindest mit einem Strahl des
Qenies erwiderte. Durch die Kameraderie Richard
Wagners ist Nietzsches Qeist entbunden worden,
dessen Freiheit eben den Qemeinschaftsinstinkt
heiligte, da er ihn überwand. Die Welt einfacherer
Sitten hat solche Wahlorganisationen selbstver-
ständlich gefunden und geachtet, nicht verleumdet.
Man lese etwa die ehrerbietige Schilderung der
germanischen Gefolgschaft bei Tacitus. Die Sage,
die den geheimnisvollen Grundcharakter mensch-
licher Zusammenhänge durch längstvergangene,
vom Glanz der Ewigkeit umleuchtete Begebenhei-
ten vergegenwärtigt, hat alle schöpferischen Ge-
stalten der Geschichte in einen Kreis gleichge-
sinnter, hilfreicher Qefährten gestellt und die Ein-
samkeit jedes Qroßen erst recht vertieft, indem sie
sein Maß an der Gemeinschaft der Besten zeigt.

Wir wollen den Mut haben, uns ebensowohl
zu uns selbst, wie zu denen zu bekennen, die wir
wie uns selbst bejahen, zu fördern, was wir dessen
für würdig halten, wie auch ein gleiches anzu-
nehmen.

Was die tägliche Qemeinheit in aller Unschuld
und Schuld selbstverständlich verübt, ohne jegliche
Skrupel, ja nicht einnial durch ein schlichtes Qe-
fühl gerechtfertigt, aus niedrigstem Trieb, das un-
würdigste, auch nur, was ihr gleicht und gemäß
ist, durchzusetzen, wird dem strengen, unabhängi-
gen Urteil, der gewissenhaften Einsicht, der Frei-
heit des Einzelnen zur Pflicht. Der Feindschaft,
Roheit und Unfähigkeit zu begegnen gewärtig,
sollte er der immer bereiten Organisation der
Dummheit nicht die naive und stolze Wahlgemein-
schaft der Begabung, des reinsten Willens ent-
gegensetzen? Er sollte nicht getrost seine Kame-
raderie mit dem Werte der Kameraden begründen?
Unsere Handlungen sind genau soviel wert, wie
wir selbst. Wir müssen ihnen vertrauen, denn der
Maßstab für unser Tun liegt in uns. Wir dürfen
ihn nicht aus der Hand geben.

Ihr sollt unsere Taten an uns erkennen.

Die Nacht

Von Chammay Pinsky

Die Nacht war eine Insel in dem Meere
Unseres heißen Blutes.

Als triigen Engel unser Zelt

Durch ferne Wellenländef
Durch schwarze Ewigkeiteii
Und schleuderten es plötzlich iri die Mitte
Der Nacht , . .

Die schwarze Schöpferin der Leidenschaften
Sie sah die großen Wunder unsrer Leiber
Und gierig trank sie unsre heilgen Sünden
Und vvir — als ständen wir vor einem Blutfall
Wir knieten vor dem Blute
Und wir tranken . . .

Die Nacht war eine Insel in dem Meere
Unsres heißen Blutes.

Wir blühten, zwei junge rote Rosen

Dort zwischen welken schwarzen Urgewächseri

Wir sahen uns nicht selber,

Wir vergaßen

Die Grenzen unsrer Leiber

Zwei Ewigkeiten

Vereinigt

Im Unendlichen.

Die Nacht war eine Insel in dem Meere
Unsres heißen Blutes.

Es war als trügen Engel unser Zelt

Durch ferne Wellenländer

Durch blasse Ewigkeiten

Und stellten es behutsam zu den Fiißen

Des Morgens . . .

Und wir erkannten uns beim ersten Schimmer —
Qeschwister einer Nacht.

Wir lagen blaß und müde vor dem Morgen
Und ahnten was die Nacht uns tat.

Qespräche mit Kalypso

Ueber die Musik

Von Alfred Döblin

Erstes Gespräch: Die Verzauberten
unter sich

(Strand einer Insel, darauf gelbes kraftvolles Son-
nenlicht vom dunkelblauen Himmel. Der Morgen-
wind reibt die leichten Steinchen an einander, fegt
sie von den Dünenerhebungen herunter, klatscht
das Meerwasser gegen die weit vorspringenden
Klippen. Das graugrüne Meer, draußen mit zahl-
Iosen purpurnen Lichtblitzen, vor dem Qestade
mit brillantener Qischt, rollt satt. Oefter züngeln
Wellen mit Surren weit über den Sand, belecken
rasch die braunen Schiffstriimmer, die Türen,
Masten, Blöcke, Balken, Tonnen, Seile, die das
Meer erbrochen hat. Zwischen dem Qewirr sprin-
gen zwerghafte Männer und Frauen, vom Leib ab-
wärts Vogelkörper mit schwarzem, struppigen Qe-
fieder und sehnigen Klauen, spitze gelbbraune Qe-
sichter, schwarzäugig mit Flügelstümpfen am
Rücken; schleppen die Trümmer auseinander,
hiipfen in die Tonnen, daß oft nur ihr strähniges
Schwarzhaar herlugt. Das Volk, bald kreischend,
bald lautlos tätig, hat verbissene faltige Fratzen;
ihre unruhigen Glieder sind von gieriger Mager-
keit. Sie schnarren Menschensprache.)

Ein Alter

(sich auf einen Balken setzend): Wir finden nichts
mehr.

Ein Anderer:

Er ist satt, er hat genug.

Ein Dritter:

Es ist nichts mehr; lauter Plunder.

Der Alte:

Kinder, laßt gut sein; es ist nichts mehr da. Wir
wollen heim vor der Glut. (Das Volk schlägt noch
Holz zusammen, belädt sich mit Körben. Während
sie sich sammeln und landeinwärts ziehen, gegen
das Meer gewendet, bitter, für sich.) Ich möchte
einen von diesen gesehen haben. Sie trugen
Kettchen, Amulette, seltene Steine mit sich, Vasen,
geschnitzte Truhen, Seidenstoffe, zart geknüpfte
Decken; Zithern, Lauten und Schellen hatten sie
auf dem Schiff; wie zur Hochzeit sind sie ausge-
fahren. Von meinem Lande müssen sie gewesen
sein. Aber das Wasser schluckt jedes, jedes
herunter, das dickwanstige Ungeheuer, wie wenn
nichts leben dürfte als das Meer.

Ein Jüngerer

(Volles, nur leicht braunes Qesicht; geht mit
Tränen neben den Alten.) Wurdest Du so alt und
nast noch nichts vergessen?

Der Alte; ^

Du quälst Dich schon?

Der Junge:

Bald ertrag ich es nicht. 1

Der Alte: |

Mein Kind, es gibt Krankheiten, die wie Ratten a.

Mark unserer Qlieder nagen. Denk Dir einen ?
kranken Menschen, dem die Qlieder immer wied' 1
wachsen, die ihm abgefressen sind von jen^
Ratten, und dann kennst Du uns. Du bist hier
der Hochschule für Sentimentalität. 1

Der Junge: ;

Es wächst ein Kraut, das heißt Mord. Damit spe« (
ich sie, wenn anders ich Hände hab’. j

Der Alte: \

(Lacht gutmütig, fährt ihm iiber das Haar). WG
schwatzt Du? Ich dulde, was in den Knieen d‘l
Qöttin ruht. Keiner unter uns, der nicht ein‘l
Nachts mit berauschtem Hirn aufgestanden, in ihi <
Qrotte geschlichen wäre und den Dolch an ihrrl
Hals gesetzt hätte. Sie ist unsterblich. Kauf <
daß sie eine Schramme hat, so brennt der Dol4l
auf, wie ein Stück Zunder, von ihrein Blute ang 11
steckt; und mit Blasen in Händen und Gesicl;
laufen sie fort von ihr, jammernd von ihr, die nid 1
einmal aufgewacht ist und kühlen sich die Wunde 1
und weinen vor Bitternis und Schmerz. Ein Wei ]
wollte sie einmal erwürgen, die der Qöttin diene i
mußte; ihre langen Zöpfe schnürte sie der Qötti 1
um die Kehle; es war hier am hellen Strande. Vom
hinten sprang die Bestie an und warf die Unsterh]
liche auf die Stirn, während wir jubelten. Aber di 1
Haut der Unsterblichen rollt und biegt sich elastisd!
wie Stahl. Kalypso richtete sich langsam au ! i
nahm die Kreischende in die Arme, löste der Ot’ <
fangenen langsam die Zöpfe auf und wies sie vO 1 !
sich fort; aber von dem Kopfe der Aermste 1
klapperten von da ab Eisenkettchen herab, eins ufj 1
das andere, jedes Haar ein Kettchen, das auf de' 1
Rücken und die Schultern peitscht. Man erzähl
sich: Ein Tollkopf, wie Du, wollte sie in Schand 1
stürzen, sie, während sie schlief, vergewaltigeh !
Sie wehrte sich gar nicht, während er bei ihr lag 1
sie genoß seiner in Ruhe, er gefiel ihr. Aber m all<
sah ihn nicht wieder; eine Schildkröte kroch auji
Morgen aus ihrer Qrotte, schläfrig die Lide»!
senkend, auf der sie mittags sitzt, wenn sie ins Ba L '
steigt. i

Der Junge: !

Nimm mir etwas ab.

Der Alte:

(Packt sich von dem Holz des Jüngeren auf; sii 1
gehen stumm nebeneinander.)

Der Junge: ,

Meine Eltern warten auf mich; ich habe Vogelj
klauen! — Dies ist unglaublich, ist unglaublid 1
Ich hatte die Besinnung verloren, als unser Bremo 1
Schiff brach; seit diesem Augenblick bin ich nich (
nicht, nicht erwacht, sag’ ich, — ich träume. M
bin untergegangen, faule auf dem Meeresboden. i
Der Alte: |

(stumm nickend): Ja, ja, es ist ein Qeheimnis uPj
uns. Qlaub’ mir, ich habe schon oft zu Kalypso gß’
betet und ihr gedankt, daß sie mich dieses GeheiiO'
nisvolle lehrte. Aber auch um die Göttliche isf
ein finsteres Rätsel. Sie soll, als die alten üöttel:
starben, die leichtherzigen, verschwenderischei 1!
Olympier, vergessen sein; der eine neue Qott, de (
die andern alle unter Felsen und Bergen begruh
vergaß sie in seiner Siegeswonne, die hier flötei/
und leise singend, umging auf einem Inselchen iO 1
Weltmeere. Nun ist die Welt so glatt und blan^
geworden, überall und an jedem Ende, — nur hio'
verfinstert es sich, brausen unheimliche blaue uu 11
graue Schatten auf, wird noch einmal hinter stille 1'
Mauern der entsetzliche Zorn der Götterschlachj
aufzucken, bis auch sie vertilgt ist. (Flüsternd) 1
Sie wird sterben, wir mit ihr. Kindisch ufl®
schwach wird sie, mehr von Tag zu Tag. Dj e
süße Versonnene gärt jetzt von Haß und Ekel; sF
weiß, ihre Tage sind gezählt. Einen Mann schlepP
sie mit sich, der aus dem Hochzeitsschiff sich S e',
rettet hat; sie pflegt ihn, schwatzt mit ihm. Nu 1
Blumen und Flöten waren sonst ihre Qespielen; ^
sie ist krank.

Der Junge:

Ich will zu Qott beten; meine Not ist arg.

Der Alte:

Hilft nichts; kein Qebet dringt zu Qott durch; K’H
Dich schlafen, mein Kind.

34
 
Annotationen