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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 4 (März 1910)
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Lantz, Adolf: Die Hochzeit des Gilles de Rais, [2]
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Scheu, Robert: Karl Lueger
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0032

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Sehe noch deutlich die Kapelle vor mir, kerzen-
erleuchtet, den Priester vor dem Altar im goldenen
Meßgewand. Sehe auch die blütengeschmückte
Halle, das Qelage, die funkelnden Pokale, die spei-
senbeladene Tafel, von würzigen Qerüchen dam-
pfend. Hatte ein neu blauseiden Wams, goldge-
sticktes Wappen meines Vaters Guy-Montmo-
rency-Laval darauf. Die Braut, kaum dreizehn,
gewaltsam fraulich gekleidet, war eingehüllt in
weißseidenen Stoff, blau bestickt, eng ans Mieder
geschmiegt das geschlitzte Leibchen, durch einen
Qürtel begrenzt, goldgeschmiedet, drin eingefügt
gar kunstvoll Karfunkel und Opal. Die lange
Schleppe, pelzverbrämt, lieh der Qestalt, die kind-
haft zierlich, unpassenden, feierlichen Pomp. Der
Ueberwurf aus zartestem Gewebe von byzanti-
nischem Damast war wie eine Schar ruhender
Schmetterlinge lilafarben um sie gehangen. Ein
Band von milchblassen Qemmen umschloß den
Hals. Das lange, blonde Haar fiel aufgelöst. Da-
malen wars, daß ich das Weib erkannte, davon das
unerforschliche Qeheimnis von Liebe wie Lust
gleich einem Abgrund sich tief in meine Seele
schleuderte. Schon nach halbem Jahr starb —
mir zum Unheil — dieses mein erstes Weib und
hatte die Dreizehn eben erst vollendet. Von-mir
zu bösem Ritt gestachelt, schlug sie unter dem
stürzenden Pferd häuptlings an einen kantigen
Stein. Auf dem kindlichen Qesicht, gar blaß und
von heller Zartheit, war muskelgespannt der er-
starrte Ausdruck eingefangen, wie sie in atemloser
Schnelligkeit kühn auf fliegendem Renner hinein-
sprengte in den Tau des Morgens.

Solchermaßen der ersten stürmischen Liebe
von großer Heftigkeit und Kraft beraubt, wollt ich
mich in frühem Qram verzehren. Aber der Vater
meiner Mutter stachelte mich an, aufs Neue die
Liebe zu suchen, geleitete meine Jugend, daß ich
sie fand. War denn auch anfänglich glücktrunken
mit meinem zweiten Ehgemahl. Noch eh ich Be-
sinnung gewonnen oder zu entscheiden vermocht,
ob wir einander mehr denn Träger fleischlicher
Lust, gieng sie am ungebornen Kind unter großen
Schmerzen zu Gott ein. War auf ihrem Qesicht
der Tod wie der Schlaf, als ruhte sie erschöpft von
den Qualen, so den nunmehr sich glättenden Mund
verkrampft, wäre auch völlig von ihnen erlöst
gleichwie von der Biirde ihres Leibes, wenn sie
augenblicks erwachte. Was höchst seltsam sich
mir ins Qehirn eingrägte, so daß ich davon träumte,

. sie wäre wieder geweckt.

Und suchte nach etlichen Monden abermalen
die Liebe, fand sie auch rasch und unbedenklich in
iheinem dritten Ehgemahl, von reichem Adelsge-
schlecht stammend. Mit Siebzehn vereinigte mich
derselbige Priester mit mir in selbiger Kapelie wie
zweimalen vorher, im festen Schloß von Mache-
coul, durch das heilige Sakrament. Lebten glück-
lich über zwei Jahre lang. Vergrub mich in aller-
lei Schriften und Wissenschaften, zog mit Arm-
brust, Speer und Falken auf die Jagd, hatte das
brausende Leben der Welt zurückgestellt auf spä-
tere Zeit, versah mich keiner Argheit.

Geschah mir eines Tages folgendermaßen eine
Begegnung. Riß der Sattelgurt meines Rosses, als
ich weitab vom Schloß allein über die Felder ritt,
nach Recht und Ordnung zu sehen. Mußte den
Sattel vor mich hinlegen und auf dem heißen,
nackten Rücken des Tieres durch glühenden Som-
mermittag ins nächste Dorf. Im leichten Trab
giengs über holprigen Weg in den Wald hinein,
im Gleichmaß warf sich mein Körper auf dem war-
men, festen Fleisch des Pferdes. Spürte plötzlich
eine Erregung über- mich gekommen, davon mir
das Blut fiebrig in die Augen stieg. Nicht lange in
solch dumpfer Begierde, erreich ich das Ufer des
Sees. Von ohngefähr hinblickend, erspähte ich
ein Leuchtendes unter den schattiggrünen Baum-
kronen. Ein nackendes Mädchen wars, dem Bad
entstiegen, vom nahenden Hufschlag erschreckt.
Trabte das Roß grad auf sie zu, war bei ihr, eh ich
es hinderte, wollte dicht vorbei. Griff ich wie von
einer Macht beherrscht nieder mit entschlossener
Hand und hob im Bogen während des Reitens mit
freudigem Jagdruf die leichte Gestalt zu mir,

pochenden Herzens-Spät am Nachmittag

wars, als wir zurück zur Stelle kamen, allwo die
Kleider im Qras geblieben. Traf gar oft in den
nächsten Wochen des Bauern Tochter, eine Lust
nach ihr in den Sinnen, anders als jene geartet, so
ich zu meinen Frauen aus adliger Zucht verspürt
und von unergründbarem Stachel. AIs aber der
Sommer zur Rüste gieng, fand ich sie nicht mehr.
Da ich nun heirnlich nach ihr forschen Iieß, ward
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mir bekannt, daß sie im Wald ermordet ward,
wußte keiner, von wem. Kam mir ein gar böser
Verdacht über mein Weib, das scheu und mit argen
Mienen daheim saß. Haßte sie grimmig, ließ sie
oftmalen mit wilden Worten an, davon sie aber
ganz unterwürfig ward, von stärkerer Liebe zu
mir erfüllt, wie mich’s erstaunend bedünkte.

Vom großen Turnei in Nantes zog ich als
Sieger heim. Qäste brachte ich mit in großer Zahl
zu Jagd und Fröhlichkeit. Die Herolde posaunten
durchs Land, daß Baron Gilles de Rais die Zug-
brücke des Schlosses Machecoul herabgelassen für
jeden, so edlen Standes war. Viel adliges Volk
quartierte in den Qemächern, ihre Knechte füllten
die Kammern, Kaufleute wanderten herbei, brei-
teten ihre Schätze aus, Spielleute schlugen ihre
Zelte auf, war ein Lärmen und Treiben in der Qe-
gend wie nie zuvor, davon mir das Leben neu und
glänzend erschien. Auch eine Frau Herzogin, aus
England drüben flüchtig, allwo ihr Mann geächtet
und ermordet ward, hielt ihren Einzug. Eine gar
stolze Frau, sehr in der Qnade des Königs, von
auserlesener Schönheit und Herrlichkeit. Erfaßte
mein Blut ein tolles Fieber nach ihr. Merkte bald,
daß ihre Begehrlichkeit nach mir sich entflammte.
Erfand ihre Liebe und Wollust erfahrener denn die
meine. Und glaubte nicht anders, daß dies die
Liebe war, nach der mein Suchen ausgegangen,
darüber hinaus nichts Qewaltigeres an Rausch und
Verziickung zu finden sei. Darein völlig versunken,
erschien mir die Welt vollendet. Lernte Erlösung
schlürfen aus fieberndem Fleisch mit vergrabenen
Zähnen, aus Schmerzen den Qenuß saugen, den
Taumel der Macht aus wilder Bewegung, aus ver-
zückten Schreien trinken. Ein anderer, ein Ent-
fesselter, ward ich über Nacht. Später erst er-
kannte ich, daß sie eine jener Seltenen war, die
zwar jedem sich gab, der sie entflammte, aber
keinem um ein Qeringeres an Kraft und Beseeltheit
der Qefühle gehörte wie den andern zuvor. Wo
fie ruhte, wurden ihrem Körper Spiegel gebaut
und eine königliche Lagerstatt. Tausend Hände
rührten sich geschäftig, ihr zu dienen. Mit ihr ritt
ich an den Hof des Königs. AIs ich sie an andre
verlor, riß mich im Schmerz die Ueppigkeit der
Sinne wirblig fort. Erfuhr gesteigerte Lust, davon
ich noch nichts geahnt, erstaunte atemlos, wie ihr
Geheimnis schier unerschöpflich immer neue Lüste
barg, wie selbstverständlich ihr Qenuß sich mir
gab. Wie der Rausch gegenwärtiger Verzückung
Vollendung vortäuschte, in der Raserei der nächsten
die Unvollkommenheit der vergangenen sich ent-
schleierte. Da entbrannte es in mir: „Qott, der
du vollkommen bist, auch solcher Art in der Liebe
thronst, welche ist die, deren Lust die letzte ist und
sich völlig enthüllt, daß mein Sinn sie erkennt und
mir Erlösung wird?“

In das Iodernde Licht der Fackel drang sein
fragender, dunkler Blick. In die Flamme schauend
wie in Unbestimmbares, in einen fernen, blutenden
Horizont, schloß er jetzo aufstöhnend die Augen.

„Die da Qott auf Erden vertreten, die Qe-
weihten des Herrn, und die da irdische Qerechtig-
keit vertreten, die Richter im Eid des Herzogs, und
das Volk, in dessen Samen ich würgend gewühlt,
sie haben vernommen, was ich getan. Daß die
Flammen an meinem Leib wären, das Gehirn
fräßen, auf daß die Erinnerung von mir genommen,
das Bild der purpurgefärbten Fliesen, der ge-
mordeten Leiber. Daß meine Augen verglommen
lägen, auf daß sie den Stahl nicht mehr gleissen
sehen an entblößten Hälsen, das vertrauende
Lächeln der Knaben, die ich auf meinem Schoß
tröstend gewiegt, dieweilen die Hand hinterrücks
ob dem Nacken den Dolch einsetzte ins junge
Fleisch! Laß es Tag werden, barmherziger
Christus, daß dieser Körper im Feuer zerfalle, der
den Deinen lebendampfenden, blutenden Qefäßen
entnahm. Feierlich zelebrierte der Priester die
schändliche Messe, Todsünde begehend, weihte
Dich mit falschem Segen auf dem Altar aufge-
rissener Eingeweide, darein die Lüste unbegreiflich
Iockend sich gebettet. Da lag dein hciliger. fleisch-
gewordener Leib und ich, der Verworfne, stand
trunken davor, fühlend eine Gewalt über Natur und
Lebendiges, Qewalt selbst über Dich, o Herr, ein
Mittler Satans, ein Papst der Hölle, die Kirche
alles Bösen der Welt, die Hostie, darein der Leib-
haftige eingekörpert. Da ward mir nun Anblick
und Besitz von Liebe und Lust, Tod und Schönheit
und Gewalt des Bösen. In e i n e Stunde, an
e i n e n Ort, in ein einziges, gigantisches, atem-
raubendes Qeftihl waren sie alle teuflisch be-
schworen. Aber da ich nun im Triumph stand,

mich übermächtig wähnend jetzo die Vernunft in
die Qeheimnisse einbohren gewollt, sie endlich zu
erkennen, da brauste das Chaos der Sinne in mir
und Nacht verschlang den Sinn. In memer Ohn-
macht hinstürzend, dem Bösen gräßlich fluchend,
rief ich von Neuem den Qott, der da ins Chaos den
Sinn gepflanzt, derweilen er rief: „Es werde
Licht!“

* * #

Ingrimmig knisternd verlosch der letzte
Stumpf der Fackel, fiel dumpf aus dem efeernen
Ring auf den Boden herab. Daß der stickige Rauch
sich verzöge, stiess ich das Fenster auf. Er-
quicklich wehte die feuchte Nachtluft ins Verließ.
Der Qefangene schauerte auf, atmete die reine
Kühle ein, die war, als käme sie nicht aus dieser
Welt. Und schwieg lange, derweilen der wehende
Wind über mich glitt, gleich einem Strom klaren,
sanften Qewässers.

Da erhob sich die Stimme des Qefangenen
wieder, leise und zögernd, gleichsam die Ver-
gangenheit aus dem Qedächtnis rückholend, daß sie
ein Qegenwärtiges werde:

„Seltsam gefügte Kette der Stunden! —
Wandelt Euch jetzo zurück, auf daß diese Ietzten
durch die Erinnerung zu jenen ersten werden, in
denen ich zum Mann ward! — Mondlicht war im
Gemach, gedämpft durch buntfarbige, kreisrunde
Scheiben, Frühling über dem bräutlichen Lager,
darauf noch kein Körper geruht. Rot schimmerte
die Ampel. Zur Nacht gekleidet in wallendes Ge-
wand blaßleuchtender Seide, so geleiteten die
Mägde die Braut zur Blumenpforte des Gelasses.
Fast noch Kinder, eins geängstet vor dem andern
in seiner Keuschheit, scheu, neugierig und zu-
traulich zugleich, standen wir, Mann und Weib.
Sprachen beide erst kein Wort, klopften unsre
Herzen gar beklommen. Bis daß ich, um zu reden,
fragte, ob sie es liebe, bei offnem Fenster zu
schlafen. Die Luft täte gar wohl dem Schlum-
mernden und scheuche böse Träume. Auch wärs
lustig, früh vom Lärmen der Vögel draußen sich
wecken lassen. Stiegen wir also die Stufen in den
Erker hinauf, standen daselbst dicht beieinander,
den Duft des Frühlings auf uns. Erzählte ich von
meinen großen Taten auf der Jagd. Später dann,
wie ad exemplum meiner Kraft, hob ich sie empor,
trug sie zur Ampel, daß sie in Angst aufschrie, sich
zu verbrennen. Ueberschüttete mich ihr Haar und
deckte mein Qesicht. Brachte sie jetzt aufs
Lager, mutig und sehr verwirrt zugleich. Da riß
der Qürtel, als sie sich kratzend rächen gewollt.
Stritten und balgten uns, durch Nähe und Be-
riihrung der Körper erregt. Nach unerfahrener
Nacht, Qetändel, hitziger Wirrnis, Halbschlaf, im
ersten Morgengrauen, als vereinzelt Vogeigetriller
das Licht des Tages rief, da plötzlich, von Unent-
rinnbarem geleitet, in blinder Wucht, unter
wütenden Küssen, ward sie mein. Achtete der
Schreie nicht im besinnungslosen Kampf, nicht
meiner selbst.

Jetzo aber, kaum mir wiedergegeben, liegt
dicht vor mir ihr totenblasses Qesicht, das
brechende Auge, jäher Atem keucht über halb-
geöffnete Lippen, krampfhaftes Zucken schüttelt
den Körper, der mich umklammert hält. Erschreckt
reiß ich mich aus der Umarmung. Und starr auf
Blut. Aus offner Wunde ihres Leibes rieselt Blut
und auch an mir selbst ist Blut. Da peitscht es
mich fort. In die Kleider hetze ich mich, stürme
durch die Tür, rufe die Mägde aus der Kammer
wach und stürze drauf gradwegs über den Burg-
hof zum Stall. Dem schlaftrunknen Knecht ein
Stoß zur Seite, das Sattelzeug über das stampfende
Roß, und fort gehts barhäuptig, die Zugbrücke
überpoiternd, hinab ins Tal. Nicht rückschauend
nach dem Schloß Machecoul, gleich einem Mörder,
so floh ich vor mir selbst im ersten Strahl der
Frühsonne. Schluss in Nummer 5

Karl Lueger

Von Robert Scheu

Er mußte irgend einmal geboren werden und
er wurde geboren, der Mann, der das Wesen der
Wiener zur künstlerisch vollkommenen Erschei-
nung verdichtete. Er war nach ihrem Herzen, wie
wohl keiner zuvor, und wohi keiner nach ihm sein
wird, in ihm erkannten sie sich wieder, die Kleinen
und die Qroßen. Der Wiener ist derjenige Men-
schentypus, der die Forderung nach Gemütlichkeit
 
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