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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 4 (März 1910)
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Kraus, Karl: Stil
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Lasker-Schüler, Else: Gedichte
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Lantz, Adolf: Die Hochzeit des Gilles de Rais, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0031

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Sprache ist das? Er will sagen, Matkowsky, der
letzte Löwe ist tot, die andern seien bloß Katzen.
•-Streichelt eure Katzen!“dem Publikumzuzurufen:
dazu langt das Temperament nicht; darum muß das
Ornament helfen. „Strählt die Miauzer!“ Es
^ird als Schlagwort bleiben. Ein stilistischer
Miauzer preist die Löwenkraft, ein Artist lite-
rarischer Mätzchen beschreibt die Urgewalt des
‘ ragöden, ein publizistischer Kainz beklagt
den Tod Matkowskys. Nun, sein eigentlicher Beruf
ist ein sozialer: er will die Reichsfassade rein-
fegen. Aber sein Arbeitskittel ist ein wallendes Qe-
wand, daß Van de Velde entworfen hat, der
Resen ist von Olbrich und die Hände tragen
Schmuck von Lalique. Da geht denn die Arbeit
nur schwer vonstatten, und sie gleicht eigentlich
auch mehr jenem langwierigen Qastmahl des Tri-
malchio, in dessen Beschreibung es heißt: „Nun
folgte ein Gang, welcher unserer Erwartung nicht
entsprach; doch zog er durch seine Neuheit aller
Augen auf sich.“ Da gab es „einen runden Auf-
satz, in welchem die zwölf himmlischen Zeichen in
einem Kreis geordnet waren, auf deren jedes der
Kiinstler eine Speise gelegt hatte, die ihm zukam.“
gab es „einen Mischmasch von einem Span-
ferkel und anderem Fleische, und einetr Hasen
fuit Flügeln, damit er dem Pegasus gleiche.“
Kind „in den Ecken des Aufsatzes vier Faune, aus
^eren Schläuchen Brühe, welche aus den Einge-
weiden verschiedener Fische wohl zubereitet war,
auf die Fische herunterfloß, die in einem Meeres-
strudel schwammen“. „Dazu erscholl eine Sym-
Phonie, und in der Mitte der Tafel stand ein ge-
backener Priap," der mit allerlei Arten von Obst
und Trauben verziert war. Die Kuchen gossen
einen balsamischen Duft aus, und die Qäste
»glaubten, daß etwas Heiliges darunter verborgen
Sei“, erhoben sich „und wünschten Glück dem er-
habenen Vater des Vaterlandes.“ Stimmt alles.
Von dem Koch aber hieß es, er sei der kostbarste
Kerl von der Welt. „Wenn ihr es verlangt, so
macht er aus einem Saumagen einen Fisch, aus
Speck einen Baum, aus dem Schinken eine Turtel-
taube aus den Eingeweiden eine Henne“. Heiliger
Petronius — so arbeiten ja die Ornamentiker aller
Keiten und aller Qebiete! Und wir haben heute in
Peutschland eine geistige Küche. von deren Er-
Zeugnissen das Auge sattwird. Siehe, einBildungs-
^ünstler preßt die Leckerbissen von zehn Welten
"i eine Wurst! . . Nun muß gesagt sein, daß diese
Art, das Leben zu umschreiben oder um das Leben
herumzuschreiben, immerhin einer Anschauung
üienen könnte. Diese Umständlichkeit wäre Ver-
•dirzung oder die Verkürzung wäre sinnvoll, wenn
JÜe für die Dinge gesetzten Chiffren zugleich den
mhalt brächten, der von den Dingen ausgesagt
werden soll, oder die Beziehung, in welche die
Binge gestellt werden sollen. Es ist also erträglich
zu lesen, daß einem Schauspieler die Darstellung
des „Junkers von Corioli“ oder von „Kleopatras
u^üdem Freund“ gelungen sei. Das Ornament ist
hier ein Mittel, nicht ein Zweck. Aber dann ist es
eben eine Krücke, die vorw'ärts bringt, und die
Plastik, diederAutor erreicht, bleibt doch immer die
Plastik einer Geschwulst. Die gehobene Sprache
I’ebt den Sinn, den das Temperament zu heben
uicht imstande war. Die Schönheit geht vollends
Üöten, wenn das Pathos sich zu einer Telegramm-
adresse wie „Rampendoyle“ oder „Tarifeden“ zu-
sammenballt oder in einer ausführlicheren Qeheim-
schrift sich verästelt, deren Dechiffrierung den Leser
2,var reizt, aber nicht befriedigt. Niemand wird
dem Autor die Liickenlosigkeit seiner Technik be-
streiten und die Fleckenlosigkeit seines Materials.
Aber den durchaus artifiziellen Charakter dieser
jjestaltung enthüllt er selbst, wenn er die Feder
uiulegt, um den Mund aufzumachen. Kostüm und
Schmuck sind abgetan, die Hieratik ist zum Teufel,
und fern aller Weitwendigkeit spricht ein Agitator,
der diePfiffe des Metiers kennt, ganz wie dem zu-
uörenden Pack der Schnabel gewachsen ist. Der
eben noch an der sprachlichen Beulenpest dar-
uiederlag, steht gesund vor uns, freut sich und —
streichelt die Katzen. Der kostbarste Kerl von der
welt; am andern Tag macht _er wieder aus einem
Sauinagen einen Fisch und preßt die Leckerbissen
von zehn Welten in eine Wurst... Ach, meinem Stil
wird nachgesagt, daß sich hart im Rautne die Qe-
danken stoßen, während die Sachen doch so leicht
oeieinander wohnen. Und wer von mir Aufschluß
über die Sachen erwartet, hat sicherlich recht, aus
dem Gedankenpferch zu fliehen. Verweilt er aber,
um ihn zu besehen, so wird er eine Architektonik
Kewahren, in der um keine Linie zu viel, um keinen
Stein zu wenig ist. Man muß nachdenken; das ist

eine harte Forderung, meist unerfüllbar. Aber die
Forderung, die der Berliner Bildungsornamentiker
stellt, ist bloß lächerlich: man muß Spezialist in
allen Fächern sein oder zum Verständnis eines
Satzes zehn Bände eines Konversationslexikon;»
wälzen. Der eine schlägt auf den Fels der nücR-
ternsten Prosa, und Qedanken brechen hervor. Der
andere schwelgt im Ziergarten seiner Lesefrüchte
und in der üppigen Vegetation seiner Tropen.
Hätte ich mein Leben damit verbracht, mir die
Bildung anzueignen, die der andere zu haben vorgibt,
ich wüßte vor lauter Hilfsquellen nicht, wie ich mir
helfen soll. Ein Kopf, ein Schreibzeug und etwa
noch ein Fremdwörterbuch — wer mehr braucht,
hat den Kopf nicht nötig!

Qedichte

Von Else Lasker-Schüler
Ein Trauerlied

Eine schwarze Taube ist die Nacht
. . . Du denkst so sanft an mich.

Ich weiß, dein Herz ist still,

Mein Name steht auf seinem Saum.

Die Leiden, die dir gehören
Kommen zu mir.

Die Seligkeiten, die dich suchen
Sammele ich unberührt.

So trage ich die Blüten deines Lebens
Weiter fort.

Und möchte doch mit dir stille stehn;
Zwei Zeiger auf dem Zifferblatt.

0, alle Küsse sollen schweigen
Auf beschienenen Lippen liebentlang.

Niemehr soll es früh werden,

Da man deine Jugend brach.

In deiner Schläfe
Starb ein Paradies.

Mögen sich die Traurigen
Die Sonne in den Tag malen.

Und die Trauernden i

Schimmer auf ihre Wangen legen.

Im schwarzcn Wolkenkelche
Steht die Mondknospe.

. . . Du denkst so sanft an mich.

Mein Liebeslied

Auf deinen Wangen Iiegen
Goldene Tauben.

Aber dein Herz ist ein Wirbelwind,
Dein Blut rauscht, wie mein Blut —

Süß

An Himbeersträuchern vorbei.

0, ich denke an dich-

Die Nacht frage nur.

Niemand kann so schön
Mit deinen Händen spielen,

Schlösser bauen, wie ich
Aus Goldfinger;

Burgen mit hohen Türmen!
Strandräuber sind wir dann.

Wenn du da bist,

Bin ich immer reich.

Du nimmst mich so zu dir,

Ich sehe dein Herz sternen.

Schillernde Eidechsen
Sind deine Oeweide.

Du bist ganz aus Gold —

Alle Lippen halten den Atem an.

Pharao und Joseph

Pharao verstößt seine blühenden Weiber,
Sie duften nach den Qärten Amons.

Sein Königskopf ruht auf meiner Schulter,
Die strömt Korngeruch aus.

Pharao ist von Gold.

Seine Augen gehen und kommen
Wie schillernde Nilwellen.

Sein Herz aber liegt in meinem Blut.

Zehn Wölfe gingen an meine Tränke.

Immer denkt Pharao
An meine Brüder,

Die mich in die Qrube warfen.

Säulen werden im Schlaf seine Arme
Und drohen.

Aber sein träumerisch Herz
Rauscht auf meinem Qrund.

Darum dichten meine Lippen
Qroße Süßigkeiten,

Itn Weizen unseres Morgens.

David und Jonathan

In der Bibel stehn wir geschrieben
Buntumschlungen.

Aber unsere Knabenspiele
Leben weiter im Stern.

Ich bin David,

Du ntein Spielgefährte.

O, wir färbten

Unsere weißen Widderherzen rot;

Wie die Knospen an den Liebespsalmen
Unter Feiertagshimmel.

Deine Abschiedsaugen aber —

Immer nimmst du still im Kusse Abschied.

Und was soll dein Herz
Noch ohne meines —

Deine Siißnacht
Ohne meine Lieder.

Ich b!n traurig ....

Deine Küsse dunkeln, auf meinem Mund.
Du hast mich nicht mehr lieb.

Und wie du kamst — !

Blau vor Paradies.

Um deinen süsesten Brunnen
Gaukelte mein Herz.

Nun will ich es schminken,

Wie die Freudenmädchen

Die welke Rose ihrer Lende röten.

Unsere Augen sind halb geschlossen,

Wie sterbende Himmel —

Alt ist der Mond geworden.

Die Nacht wird nicht mehr wach.

Du erinnerst dich meiner kaum.

Wo soll ich mit meinem Herzen hin?

Die Hochzeit des Gilles de Rais

Von Adolf Lantz Fortsetzung

Verschließe nicht dein Ohr, o Bruder, diesen
letzten Meditationen und sei also in Wahrheit bei
mir. Feierlich habe ich vor Qott und Menschen
abgeschworen Verbrechen jeglicher Art, Irrtümer
wie auch Beschwörungen, alle Taten, so ich getan,
das Böse kennen zu lernen. Mit meinem Qott bin
ich versöhnt. Noch einmal in die Erinnerung mei-
nes Lebens hinabzuschürfen, bleibt mir geringe
Frist. Diese aber will ich nützen.

Springt mir just jener Tag ins Qedächtnis, da
der Vater meiner Mutter, Jean de Craon, ein Mann
von hohem Alter, mich, dcn Vierzehnjährigen, ver-
mählte.

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