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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 23 (August 1910)
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Bimini: Louis Foulda
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Walden, Herwarth: Der Schwindel mit der Kunst
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Lasker-Schüler, Else: Am Kurfürstendamm: Was mich im vorigen Winter traurig machte
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0188

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dicfiterische Begab'ung. Denn gegeniiber detn
Jammerstück „Talisman“ werden ja selbst Herrn
Rostands Dramen zu Meisterwerken. Aber der Lokal-
Anzeiger will, daß Ludwig Fulda, den man ad höc
schnell zum „Vortragsmeister“ ernennt (endlich ein
Nachfolger für Strakosch!), durch die Vorlesung
seiner Stücke deutsche Kultur nach Frankreich
bringt. Der Lokal-Anzeiger möge sich aber merken,
daß man uns in Paris vor allen Dingen im Kitsch
überlegen ist. Auch in Frankreich dichten die An-
gestellten der Bonbonfabriken, auch in Paris
kommen die Rostands in die Akademie Fran?aise.
Aber ihre Bonbons Schmecken besser als die deut-
schen. In Frankreich ist man so galant, den Schund
zu parfiimieren. Er riecht wenigstens gut. In
Deutschland verlangt der Lokal-Anzeiger und die
gesamte literaturbeherrsdhende Zeitungsclique, daß
der üble Geruch Fuldascher Reimereien für den
echten Duft der deutschen Poesie gehalten werde.

Bleibt Fulda nic'hts übrig, als in Paris seine
Moliere-Uebersetzungen vorzulesen. Die Comedie
Frangafse kann was lernen. Jules Claretie wird ihn
zum Vortragsmeister ernennen, da jeder selner frisch
vom Conservatoire übernornmenen einige hündert
dcutsche Acteurs (will sagen: Brummer, Grunzer,
Knurrer) beschämt. In einer Matinee wird Herr
Louis Foulda seine gesammelten Moliere-Ueber-
setzungen vorlesen, nachdem er zuvor einen Eid ge-
schworen hat, daß es auch ganz gewiß Moliere ist.
Dann wird ein Dolmetscher die Fuldaschen Con-
fitüren ins Französische übersetzen. Und man wird
in Frankreich staunen, was für ein zuckersüßes,
sauberes und adrettes Kerlchen dieser Moliere war.

Bimini

Der Sehwinßel init der Kunst

Berlin besitzt ein „Zentralorgan fiir die Reichs-
hauptstadt“. Diesen stolzen und nicht genügend be-
achteten Untertitel fiihrt der Berliner Lokal-Anzeiger.
Eine annähernd vorbildlich redigierte Zeitung. Ganz
ohne Scherz. Denn die Herren, die sich seine Mit-
arbeiter nennen "clürfen, "haben Gotseidank keine
Ansichten. Der größte Vorzug, den man einer
Zeitung nachsagen kann. Es ist für Politik, Wissen-
schaft und Kunst interesselos, was irgend ein Mit-
bürger darüber denkt, auch wenn er sich in der
glücklichen Lage befindet, seine Gehirntätigkeit
gegen Honorierung veröffentlichen zu können. Aber
auch August Scherl wird ehrgeizig. Er richtete vor
nicht zu langer Zeit eine Rubrik ein, die 'den sym-
pathischen Titel „Wovon man spricht“ führt, und
leider Ansichten preisgibt, die zur Volksverdummung
das ihrige tun. Doch auch hiermit begnügte sich
der Ehrgeiz des plötzlich meinungslüsternen Ver-
leger nicht. Er wandte seinen Sinn den bildenden
Künsten zu. Mit seiner Hilfe glückte es bekanntlich,
die äußerst wertvolle Tätigkeit des Herrn von
Tschudi zu unterdrücken. Dieser Sieg spornt ihn
offenbar zu neuen Untaten an. Und während er
früher sich der Hilfe eines angeblichen Deutsch-
Amerikaners bediente, der sich über die neuen
Kunstzustände in Berlin nicht fassen konnte, schickt
er jetzt eine schlechte Romanschriftstellerin ins Feld,
die die Provinzialen über die Sezession aufklären

soll. („Briefe einer Provinzialin aus Berlin“). Diese
Dame hiat Talent, äch möchte sie der Vossischen
Zeitung als Nachfolgerin des pietschvergnügten
Herrn empfehlen. Man muß eine Herkulesarbeit
verriehten; kaum hat man der Hydra einen Kopf
abgeschlagen, so waChsen ihr hundert neue. Und
“die Dame vom 'Lokal-Anzeiger kann mit ihrer Kunst-
dummheit noch ganze Millionen ergiebig versorgen.
Das Publikum bezeichnet gern selbstbewußte
Künstler als großenwabnsinnig. Was für ein Wort
bleibt aber für sölch ein Dummchen übrig, daß es
wagt, über Künstler wie Manet zu urteilen. Das
DummChen behauptet sogar, e’ine Ueberzeugung zu
haben, und fühlt sich verpflichtet, immer mal wieder
die Natur und den gesunden Menschenverstand zu
verteidigen. Nach 1 der neueren Terminologie be-
deutet gesunder Menschenverstand die Frechheit,
geistige und künstlerische Dinge zu bewerten, die
mit Hilfe der Fiebel und des kleinen Einmaleins
nicht aufzufassen sind. Welche Perspektiven er-
öffnen sich da für diesen sechsten Sinn, dessen Vor-
handensein übrigens die Betätigung der nätürlichen
Sinne lögischerweise und restlos ausschließt. Und
ebenso konsequent beruft sjch der Besitzer dieses
„Verstandes“ stets auf die Natur. Nämlich die
Natur, wie er sie sieht, unsinnliche Vorstellungen,
zusammengesetzt aus vagen “Begriffen von Schön-
heit, Ideal, aufgefaßt mit der Weisheit der Tatsachen
(der Mensch hat zwei Beine und weiße oder
schwarze Haut) und der staunenden Welt im Gou-
Vernantenton übermittelt: „Und ich sägte Ihnen,
daß ihr vergötterter Manet gar kein Historienbifd
sei, weil die ganze Historie Harauf erlogen sei,
von Anfang bis zu Ende.“ Da haben wir den
sechsten Sinn in Klümmern hoch zwei. Ueberhaupt:
der ganze Schwindel mit der Kunst ist erstunken unH
erlogen. Diese frechen Hochstapler denken etwas aus
in Worten, Tönen, Farben und das soll der gebildete
anständige, ehrliche Mann sich ansehen, arihören
und sogar Geld dafür ausgeben. Auf, Mitbürger,
kämpft gegen die Lüge, alias Phantasie, ins Ge-
fängnis mit den Betrügern alias Künstlern. Die
Provinz bietet Euch durch das' Dummchen vom
Lokal-Anzeiger die sChwesterliche Hand gegen
Berlin. Gegen die Stadt, mit rüden Einwohnern, die
sich' sogar einen Herrn Manet bieten lassen, der
falsche Historien mält! Das 'ist das Ende.

August Scherl hat das seinige getan. Am
27. Juii 1910. Jetzt muß sich alles, alles total
weriden. Ein leiser Trost bleibt. Wer durchaus
nicht vom Kunsthumbug lässen kann, dem Cmpfiehlt
der Lokal-Anzeiger die große Kunstausstellung. Ein
Diplömatenstück: wer diesem hinterlistigen Rat
folgt, ist definitiv vom Wahrie geheilt. Denn Lange-
weile wirkt selbst bei Paranoia Wunder. Trust

Am Kurfürstendamm

Was mich im vorigen Winter traurig machte

Blumen werden bald bliihen an beiden Seiten
des Reitwegs 1 am Kurfürstendamm. Wenn die lieb-
lidien Reiterinnen an all dem Duft vorbeigaloppieren
werden, dann äst es! zu spät, ihrien zu sagen, claß
die buntlachende Allee gesprengt wurde mit SChweiß

und Blrit PeitscKender und GepeitsCfiter. Die Pferde
vornehmer Landauer tanzen, ihre schwarzen Augen
zünden vor Leuchten. Ich beginne sie mit ihren
geplägten wiehernden Brüdern zu beneiden. Die
können nicht weiter durch den Hügel an Hügel
aufgeworfenen Erdboden; ihre Hufen mußten sich
selbst den Schriierzensweg bereiten. Da gibt es
kein Pardon! AuCh kein Mitleid der Spaziergänger,
niemand will was mit den Fuhrleuten zu sChaffen
haben; in den neumodischen, wogenden Busen ’der
Damen pocht kein Herz. Sie verhindern sogar ihre
Männer, sich 1 in Straßenangelegenheiten zu mischen.
Manchriial stellen sich Kinder auf zur rechten und
linken Seite des Dammes. Für sie ist es eine Unter-
haltung, ein wirklicher Kientopp. Heute besah sich
ein Schritzmann den unerhörten Vorgang. Aus
einem Bäckerladen schickte eine Käuferin für die
Pferde alte Semmeln. ICh sah über dem Gesicht
des uniformierten Mannes eine kräftige Freude
marschieren. Und ich bat ihn, ob er nicht
eingreifen wolle. Er erklärte mir, die Fuhrleute
sind nicht so schlimm, wie ihre Brotgeber. Weigert
älch einer der Angestellten wegen der nicht ge-
nügenden Anzahl Pferde an seinem Karren loszu-
fahren, verliert er seine zwänzig Mark per Woche.
„Da lauern schon immer genug BrotloSe vor der
Türe.“ Für die zwanzig Mark. — Sie leben, sie
peitschen, sie fluchen dafür. Ihre Roheit besteht
das Examen. „"Dämlich Vieh, windelweich hau ick
dir, faulet Luder!“ Die Wut rinnt den Unmenschen
über die Backen, den entblößten Hals hinab. Die
Rücken der Tiere bluten vor Hieben. Wie sollen
sie eB anders maChen? verteidigt sie der Schutz-
mann. Denn es dauern ihm die Treiber ebensö wie
die Pferde. Die Treiber, die nur zwanzig Mark
verdienen pro WoChe und sich sö plagen müssen
mit dem Vieh. „Es ist doch mal Vieh, es ist doch
zum Ziehen da!“ Ein paar Bürger stimmen ein
in den bequemen Sang. Röhren sollen gelegt
werden zum Ablauf des Wassers. Die Blumen,
die bald auf beiden Seiten der Allee wachsen,
müsSen bewässert werden. Gibt es denn keine
Maschinen, die die Erde schließlich aufwälzen
können? meint ein sechsjähriger kleiner altkluger
Ingenieur. Er hält auch eine Maschine im kleinen
aus einem Spielwarengeschäft in der Hand. Die
Männer toben. Wilde Australneger sind Engel da-
gegen mit ihrem Schlachtgeschrei. Ich aber fühle
ebenfalls die schwere Schuld, die die Besitzer dieser
Fuhrunternehmen treffen. Vorwurfsvoll sdhielen
seine Knechte über die gefräßigen Pfer’de auf uns:
Sie hätten selbst Hunger. Endlich aber entschließen
sie sich, nach afl den vergeblichen Peitschenhieben,
die Pferde umzuspannen. Zu sechsen geht es doch
besser über die hölprige Strecke. „Ich hab das
gleich gedacht“, gesteht der Schutzmann. „Aber
sagen Sie mal was zu den Leuten!“ Wenn die
lieblichen Reiterinnen im Sommer auf ihren ver-
wöhnten Schimmeln durch die Allee des Kurfürsten-
damms reiten, wird der Geranium zu Ihren Seiten
rot wie die vergossenen Blritstropfen der armen
Pferde blühen. Sie hatten alle traurige Augen uifd
ließen die Köpfe hängen.

Else Lasker-SChüler

Verantwortlich flir die Schriftleitung:
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE

Wenn öaa von Ißnen bisßer gebraucßte (Dunbwajfer 3U
Cnbe ift, fo empfeßlen wir Ißnen, an bef;ea Stelle einen
Verfucß mit Kosmin 3U macßen. Sie werben finben,
bafe Sie biefes in gan3 befonberem (Dafee befriebigt, benn
Kosmin ßat überaus erfrifcßenben Woßlgefcßmach,
honferviert bie 3äßne unb hräftigt bas 3aßnflei}d).
Slafdje (Dk. 1.50, lange ausreicßenb, überali häuflicß

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