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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 20 (Juli 1910)
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Kokoschka, Oskar: Mörder, Hoffnung der Frauen
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Leppin, Paul: Daniel Jesus, [11]
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0160

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Erster Märin 'darauf zu den anderen

Unser Herr lätunt wie des Mond, der im Osten

aufgeht.

Zweites Mädchen still abgekehrt, irrsinnig
.Wann wird mit Wonne sie empfangen.

Der Chor geht horchend, in aufgelösten Gruppen
auf der ganzen Bühne umher, der Mann und die

Frau begegnen slch vor dem Tore.

Pause.

Frau sieht ihn, gebannt, dann zu sich
Wer war der Fremde, der mich sah ?

Mädchen drängen sich vor

Erstes Mädchen erkennt ihn, schreit

Seine Schwester erstach sich, weil er sie nicht

berührte!

Zweites Mädchen
Singende Zeit, niegesehene Blumen.

D e r M a n n erstaunt, Zug 'der Lebenden hält an
Bin ich ein Wirklicher, was sprach der Schatten!
Das Gesicht hebend, zu ihr: Sahst Du midi an,
sah ich Dich?

Frau fürchtend und verlangend

Wer ist der bleiche Mann, haltet ihn zurück.

ErstesMädchen grell schreiend, läuft zurück,
geil

Laßt ihr ihn ein ? Der erwürgt meine kleine betende
Schwester im Tempel!

Erster Mann zu den Mädchen

.Wir sahen, wie er das; Feuer heilen Fußes durch-

schritt.

Zweiter Mann

Tiere martert er, wiehernde Stuten erdrückte sein
Schenkek ,

Dritter Mann

Vögel, die vor uns liefen, mußten wir blenden,
roty j^rhe .jnj - Sande ersticken.

Der Mann zomig, eiferndl'

Wer ist die, die wie ein Tier stolz unter den Ihren
weidet?

Erster Mann j j ; J-' J _!_;

Sie errät, was niemänd verStand.

Zweiter Mann

Sie spürt, was niemand vernahm.

Dritter Mann

Man sagt, scheue Vögel komriien zu ihr und lassen
sich greifen.

Mädchen gleichzeitig mit den Männem
Erstes Mädchen

Frau, laß uns füehen! Verlöscht die Leuchten des
Führers.

Zweites Mädchen

Herrin entweiche, arme Singende.

Drittes MädChen

Er soll nicht unser Gast sein, unsere Luft atmen.
Laßt ihn nicht einkehren, er schreckt micri.

Männer gehen zögernd weiter, Frauen scharen sich
ängstlich: Die Frau geht auf den Mann zu, sprung-
haft, kriechend.

Ers tes MädChen
Der hat keine Lust!

Erster Mann
Die hat keine Scham!

Frau

Warum bannst Du mich’, Mann, mit Deinem Blick,
fressendes Licht, verwirrst mCine Flamine, ver-
zehrendes Leben kommt über mich, Flammenende.
O nimm mir entsetzliche Hoffnung — und über
dich kommt die Qual —.

Der Mann fährt wütend auf

Ihr Männer brennt ihr mein Zeichen mit heißen

Eisen inS rote Fleisch!

Männer führen den Befehl aus. Zuerst der Chor
mit den Lichtern mit ihr raufend, dann der 'Alte
mit dem Eisen, reißt ihr das Kleid auf und b'rand-
markt sie.

F r a u in furcHtbären Schmerzen schreiend
Schlagt die kälten zurück, die fressenden Leichen.

Sie springt mit einem Messer auf ihn Ios und
schlägt ihm eine Wunde in die Seite. Der Mann
fällt.

Männer

Flieht den Besessenen, erschlagt den Teufel! Wehe
uns Unschuldigen, verscharrt den Eroberer.

D e r M a n n Starrkrampf, singend mit blutender,
sichtbarer Wunde. :

Der Mann

Sinnlose Begehr von Grauen zu Grauen, unstill-
bares Kreisen im Leeren. Gebären ohne Geburt,
Sonnensturz, wankender Raum. Ende derer, die
mich priesen. Oh, Euer unbarmherziges Wort.

Männer

Wir kennen ihn nicht, verschont uns. Kommt, Ihr
singenden Mädchen, laßt uns Hochzeit halten auf
seinem Notbett.

M ä d c h e n

Er erschreckt uns 1, Euch liebten wir, ehe Ihr kamt.
Legen sich mit den Männem wälzend und paarend
rechts auf den Boden.

Drei Männer auf der Mauer lassen mit Stricken
einen Sarg hinunter, man legt den noch schwach
sich Bewegenden in den Turm hinein, Weiber
sperren das Tor zu und ziehen sich mit den Män-
nern zurück. Der Alte steht auf und sperrt ab,
alles dunkel, eine Fackel leise blaues Licht oben
im Käfig.

F r a u jamttnernd und rächend

Er kann nicht leben, nicht sterben, er ist ganz weiß.

Sie schleicht wie ein Panther im' Kreis um den
Käfig. Sie kriecht neugierig zum Turm, greift
lüstern nach dem Gitter, schreibt ein großes weißes
Kreuz an den Turm, schreit ,auf.

Macht das Tor auf, ich’ muß zu ihm!

Rüttelt verzweifelt.

Männer und Weiber, die sich ergötzen, im
Schatten, verwirrt

Wir haben den Schlüssel verloren-wir finden

ihn-hast Du ihn? — sahst Du Ühn nicht —

— wir sind nicht schuldig an Euch’, wir kennen
Euch nicht- ,

Gehen wieder zurück'. Hahnenschrei, es lichtet im
Hintergrund.

F r a u Iangt mit dem Arm durchs Gitter und greift
in seine Wunde, geil böswillig keuchend, wie eine
Natter.

Blasser! Schrickst Du? Furcht kennst Du? Schläfst
Du bloß? Wachst Du? Hörst Du mich ?

D e r M a n n drinnen, schwer atmend hebt mühsam
den Kopf, bewegt später eine Hand, steht dann
langsam auf, immer höher singend, entrückend.
Wind der zieht, Zeit um Zeit, Einsamkeit, Ruhe
und Hunger verwirren mich. Vorbeikreisende Wel-
ten, keine Luft, abendlang wird es.

F r a u beginnende Furcht

So viel Leben fließt aus der Fuge, so viel Kraft
aus dem Tor, bleich wie eine LeiChe ist er.
Schleicht wieder auf die Stiege hinauf, zitternd am
Körper, wieder triumphierend und hoch schreiend.

Der Mann ist langsam 1 aufgestanden, lehrit am
Gitter, wächst langsam.

F r a u schwächer werdend, wütend

Fin wildes Tier zährii ich im Käfig hier, bellt Dein

Gesang vor Hunger?

Der Mann

Bin ich der Wirkliche, Du die tote Verfangene?
Warum wirst Du blässer?

Hahnenschrei.

Frau zitternd

Du, Leichnam, beschimpfst mich'.

D e r M a n n kraftvoll

Sterne und Mond, fressjende Lichter, Frau! Ver-
sehrtes Leben, im Träumen oder Wachen sah ich
ein singendes Wesen. Atmend entwirrt sich mir
Dunkles. Wer nährt mich?

Frau liegt ganz auf ihm; getrennt durcfi das Gitter,
auf dem sie sich wie eine Aeffin hoch in der Luft
ankrallt.

Wer säugt mich mit Blut? Ich fraß Dein Blut,
ich verzehre Deinen tropfenden Leib.

F rau r ;i. j j ’ [ ; ! | j ; [ ;j [

Ich will Dich nicht leben lassen, Du Vampyr, frißt
an meinem Blut, Du schwächst mich, wehe Dir,

ich töte Dich — Du fesselst mich-Dich fing

ich ein — und Du hältst micri-laßi loS von mir,

Blutender, Deine Liebe umklammert mich — —
wie mit eisernen Ketten — erdroäselt — loS —
Hilfe. Ich verlor den Schlüssel, der Dich fest'
hielt.

Läßt das Gitter, wälzt sich auf der Stiege wie ein
verendendes Tier, krampft die Schenkel urid die
Muskel zusammen.

Der Mann steht ganz, reißt daS Tor auf, berührt
die sich starr Aufbäumende, die ganz weiß ist,
mit den Fingern, Erkenntnis deS Todes, höchste
Spannung, die sich in einem langsflm abfallender
Schrei löst, sie fällt um, entreißt im Fallen dem
aufstehenden Anführer die Fackel, die ausgeht
und alles in einen Funkenregen hüllt. Er stehl
auf der obersten Stufe, Männer und Weiber, die
vor ihm fliehen wollen, laufen ihm in den Weg
schreiend

Der Teufel! Bändigt ihri, rettet EuCri, rette, v/ef
kann — verloren!

gerade entgegen; wie MüCken erschlägt er sie un<!
geht rot fort. Von ganz ferne Hahnenschrei.

Ende

Aufgeführt ara vierten Juli 1909 im Gartentheater der I n t e r •
natio nalen Kunstschauzu Wien

Daniel Jesns

Roman

Von Paul Leppin

Sctalull

Die schmalen Fenster der Villa Jesus draußeh
vor der Stadt glänzten beinahe weiß in der warmei 1
Nacht. Sie bües einen duftenden, rieselnden Wind
durch die blühenden Bäume, neben denen sich die
schlanken Renaissanctepfeiler wie nackte Fraueri'
arme streckten. Der Springbrunnen, den man vori
außen durch das Gittertor spielen sehen konnte,
schwatzte immerfort und laChte marichmal heim'
lich und redete dummes und ironisches Zeug. ZU'
weilen plätscherte er übermütig und warf dem
Fliederstrauch 1 sein helles, schönes Wasser ins Ge'
sicht und kicherte leise. Eine fast wunderlich hohe
Mauer umgab den Garten. Der Wind verfing sich
in ihren ECken wie in einer Muschel und irrte hastig
zwischen den glatten Sandwegen umher, auf dend 1
das Licht auS den Fenstern der Villa wie ein gläH'
zendes Goldnetz lag.

Vor dem angelehnten Gittertor stand Martfl'
Bianka und zögerte. Eine arme, launenhäfte Angsj
trieb sie her. Sie wußte, daß ihre Mutter m 1*
Valentin am Abend in die Villa Jesusl gegangeä
war, und daß sie Daniel vor der Stadt mit seineri 1
Wagen erwartet hatte. Nun war fast die ganz £
Nacht vorbei, und die Gräfin noch immer nich f
heimgekehrt. Zitternde Liebe hatte Bianka gc'
quält, daß sie nicht schlafen könnte, und böse
schillernde Halbträume sie ängstigten. Da hatt<’
sie ihren Leib in ein weites, schmiegsame*
Morgenkleid gehüllt und war herausgeeilt vor dri’
Stadt, die staubige Straße entlang, bis vor die Tü f
der Villa. Nun sah sie zu den Fenstem hinübei'i
aus denen der Wind zerflatterte Geigentöne, Ge
lächter und Schreie über die Rasenplätze streuh
und in den erstaunten Springbmnnen warf. D& s
Fest war noch immer riicht zu Ende, und die heil^
Luft des Gartens erfüllt von dem süßen, betäubeH'
den Geruch schwerer und dunkler Weine, auf dene* 1
der Duft des ChampagnerS wie eine schäumenü*’
Wolke schWamm. Marta-Bianka ging mit Ian£f
samen Schritten dem Eingang zu. Sie wollte Z*
ihrer Mutter und sie bitten, jhr nicht zu zümei 1'
Sie könnte nichts dafür, sie fürchtete sich' zu seh
allein im Haus, wenn sie niemanden hatte, der m
die Blässe von den Lippen küßte und ihr lang e>
Haar in die Hände nahm, wie es ih’re Mutter imm c
tat. Sie würde ihr nicht böse sein, daßj sie i* 1
 
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