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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 56 (März 1911)
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Scheerbart, Paul: Der Kaiser von Utopia, [16]: Ein Volksroman
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Schering, Emil: Die Beichte eines Toren
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Walden, Herwarth: Der klare Flötensänger
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Adler, Joseph: Aus der Werkstatt der Presse
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0453

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doch sterben können ? Ja — hm — wir strengen uns
eben so sehr an, um wenigstens mit Wonne sterben
zu können, da es uns ja doch nicht gelingt, mit Wonne
zu leben.“

Er sank müde in die Kissen zurück und schlief
ein.

Fortsetzung folgt

Die Beichte eines Toren

Mit der ersten deutschen Ausgabe der „Beichte
eines Toren“, die 1893 in Berlin erschien, ist ein Ver-
brechen an August Strindberg begangen worden, ein
dreifaches Verbrechen. Erstens war jene Uebersetzung
verstümmelt, produzierte an unzähligen Stellen tälschen-
den Unsinn, führte eine ordinäre Sprache. Zweitens
war die Kritik so blind, dass sie die groben Mängel
der Verdeutschung übersah und Strindberg für einen
Unsinn verurteilte, den er garnicht geschrieben hatte.
Drittens hielt der preussische Staatsanwalt, von der
ordinären Sprache der Uebersetzung irregeführt, das
Buch für unsittlich und machte dem Dichter, nicht
etwa dem (anonymen) Uebersetzer, den Prozess.

Diese neue Ausgabe will, so weit es noch möglich
ist, das Verbrechen wieder gut machen. Die Ueber-
setzung ist nicht verstümmelt, produziert keinen Un-
sinn, führt eine würdige Sprache. Jeder Kritiker sieht
jetzt, dass sich hinter dem tiefen Hass die grösste
Liebe verbirgt. Jeder Staatsanwalt muss von der hohen
Sittlichkeit dieses Buches überzeugt sein.

Die allgemeine Bedeutung der „Beichte eines
Toren“ liegt darin, dass sich hier ein geistig arbeitender
Mann von der Knechtschaft der Geschlechtlichkeit er-
löst, von seiner eignen, wie der eines Weibes, das
nicht etwa besonders schlimm, sondern vielmehr die
typische Vertreterin der Gattung Frauen ist, die nichts
als Geschlecht sind. Tausende von geistig arbeitenden
Männern liegen in den Banden ihres eigenen Ge-
schlechts und denen einer solchen Frau: für sie wird
dieses Buch eine Erlösung sein!

Während Strindberg in der „ßeichte eines Torer“
und in den darauffolgenden Dramen „Der Vater“,
„üläubiger“, „Kameraden“ die Befreiung von der
Knechtschaft der Geschlechtlichkeit persönlich durch-
führte, wie er sie erlebt hatte, stellte zur selben Zeit
in Frankreich, ohne dass die beiden Dichter etwas von
einander wussten, Peladan diese Befreiung systematisch,
an die Tradition anknüpfend, in seinem mit dem
„Höchsten Laster“ beginnenden Romanen dar. Diese
beiden Meister der geschlechtlichen Befreiung ergänzen
einander aufs glücklichste: Strindberg ist ursprüugliche
Natur, Peladan vollendete Kunst.

Die Frau, die in der „Beichte eines Toren“ ge-
schildert ist, wird Strindberg längst dankbar gewesen
sein für das strenge Gericht, das er über sie gehalten
hat. Gerade weil sie verurteilt wurde, hat sie gesühnt.
Ohne Urteil wäre sie geblieben, was sie war. Jetzt
aber, nachdem sie ihre Strafe erlitten hat, ist auch
ihre Schuld getilgt.

Und die Kinder dieser Ehe erhalten, reif geworden,
in der „Beichte eines Toren“ ein Testament, das sie
vor den Schrecken des geschlechtlichen Lebens be-
wahren wird.

Durfte Strindberg richten? Ja! Liess er in der
„Beichte eines Toren“ seine Frau ein reinigendes Fege-
feuer durchmachen, so hat er sich selber später in
den höllischen Gluten des „Inferno“ läutern und stählen
müssen.

Um seine Arbeit aus dem Persönlichen ins Typische
zu heben, hat Strindberg sie nicht, wie alle anderen
Werke, in der schwedischen Muttersprache geschrieben,
sondern in der fremden französischen, obwohl ihm das
nicht Ieicht wurde. Eine schwedische Ausgabe hat er
nie erscheinen lassen.

Ein Geheimnis Strindbergs ist, dass er seine Per-
sönlichkeit spalten kann. Der Axel der Beichte ist
nicht der ganze Strindberg, sondern zu ergänzen durch
den Johan der „Entwicklung einer Seele.“ Beide
Bücher schildern dieselbe Zeit 1875 bis 1887; das erste
den liebenden, das zweite den arbeitenden Strindberg.

Diese Gabe, seine Persönlichkeit spalten zu können
hat Strindberg im „Inferno“ vor Wahnsinn bewahrt.
Nur der eine Strindberg war damals krank, der andere,
durchaus gesund, wachte wie ein Arzt über den
Kranken.

Mit der „Beichte eines Toren“ wird die Lebens-
geschichte Strindbergs vollständig. Die fünf Bände:
Der Sohn einer Magd, Die Entwicklung einer Seele,
Die Beichte eines Toren, Inferno — Legenden, Ent-
zweit — Einsam erzählen Strindbergs Leben von der
Geburt bis zum fünfzigsten Jahr. Zugleich spiegeln
sie die Geistesströmungen des halben Jahrhunderts von
1850 bis 1900 wieder.

Emil Schering

Eine Gesamtausgabe der Werke von Angust Strindberg erschien
im Verlag Georg MUIIer München.

Der klare Flötensänger

Ein sehr mässiger Schriftsteller und trauriger Dichter,
sprach neulich recht schlecht Schlechtes und Rechtes
über Berlin. Die Vertreter der eingeborenen intelligenz
waren echt empört, dass der Kollege ihr Wohlwollen nicht
wenigstens mit einer Anerkennung ihres Geistes belohnte.
Wozu ist man schliesslich Kollege. Solange man die
dazu gehörigen Eigenschaften (. . . fest und treu zu-
sammen) behält, bleibt man im Vollbesitz der Macht
der Presse und kann es sogar zum Dichter bringen.
Da gibt es zum Beispiel einen Herrn Felix Lorenz,
Verfasser üblicher Cabaretverse. Der Name wird ohne
Zweifel jedem Leser geläufig sein. Nicht, weil Herr
Lorenz einen Gedichtband mit Buchschmuck geschrieben
hat. Das taten schon viele Leute. Nein, weil er ein
Kollege ist, der etwas für sich tun kann. Da kommt
zunächst ein Schauspieler, der seine Gedichte in einem
Kunstsalon vorträgt. Er hat einst viel edlere Dar-
bietungen gehört. An auffallendster Stelle berichten
alle Tageszeitungen von diesem zu erwartenden epochalen
Ereignis. Mit Wärme und blutvollen Notizen. Und
das ßerliner Tageblatt (Herr Lorenz gehört zu seinein
„Redaktionsstab“) vergisst sogar seine geschäftliche
Usance, bei Vorträgen nie den Kartenpreis und die
Vorverkaufsstellen zu nennen. So etwas ist nämlich
nach authentischer Interpretation des Verlags eine
Reklame. Und Reklame gehört in den Inseratenteil
und muss bezahlt werden, sagt dei Verlag. Sollte
dieses Prinzip nicht etwa m/r für Herrn Lorenz ver-
iassen sein? Man wird es versucnen. Und von dem
Ausfall des Versuchs die Leser m.terrichten Man weiss,
dass das Berliner Tageblatt gleiches Recht für Alle
vertritt. Aber Herr Lorenz lässt sich auch in der von
ihm geleiteten literarischen Rundschau derselben
Zeitung besprechen. Die Leser des Sturms werden
vielleicht diese Rubrik nicht kennen. Man suche sie
des Spasses halber, denn Spass muss sein, eines
schönen Mittwochs hinter den Beilagen von Hypotheken-
markt und Rasensport auf. Die Beilage ist nicht nur
literarisch, sie ist einfach abgründig. Sie ist schlecht
geschrieben und vertritt schlichte gutbürgerliche
Ansichten. Herr Sigmar Mehring, Verfasser eines
Reimlexikons (Librettiaten warm zu empfehlen) bespricht
Herrn Lorenz. Herr Lorenz ist, so sagt Herr Mehring,
ein Sänger der Klarheit. Wie dichtet Herr Lorenz?
„Frei und duftig, sonnendurchleuchtet und träumerisch,
wie unsere deutschen Wälder, vor allem aber von
holdem Sang erfüllt ist die Poetenseele, die uns ihr
Glück und Sehnen offenbart.“ Also Erdgeruch mit
Musik. „Mit kunstverständigen Augen und naturfrohem
Gemüt hat Lorenz die reiche Kultur und die üppigen
Erdenreize des Südens aufgesogen (mit den Augen)
und der Heimat zugetragen (mit dem naturfrohen
Gemüt) und nun bläst er im nordischen Walde die
Flöte Schönheit und taucht sein lächelndes Lockenhaupt
in seelige Bläue.“ Hoffentlich gehen ihm bei dem
Bade die Flötentöne nicht aus. „Seine Romantik um-
fasst griechische Kiassik und deutsche Märchen-
stimmung, sie jubelt mit Dionysos und schwärmt mit
Parzival, die Schwermut hat nur geringen Platz in
seinem Busen“. Sehr erklärlich, da in ihm schon die
deutschen Wälder, die reiche Kultur, die üppigen Erden-
reize des Südens, die Flöte Schönheit, däs lächelnde
Lockenhaupt, die griechische Klassik und die deutsche
Märchenstimmung untergebracht ist. „Lorenz, der
Sänger (der identisch mit dem Flötisten ist) erlauscht
alle Klänge des Lebens ... er hört das helle jauchzen
des jungen Wolfgang, ihn umweht das Brausen der
Wasserstürze und das Rauschen der Schwingen, und
der alte Fritz empfängt iioch den toten Menzel mit
freundlichem Flötenspiel.“ Hierbei ist zu befrierken,
dass der alte Fritz zwar ein Flötist, aber kein Kollege
war. „Des Dichters Verse wiegen sich in Wohllaut.“
Kein Wunder, wenn sich ein deutsch - griechisch -
italienischer Flötensänger in-,ihnen badet. ^Das Buch

sei“ so sagen die Herren Lorenz und Mehring, „den
Lenzwandlerinnen, die mit Blüten siegen, besonders
empfohlen“. Meinen Segen und Glückwunsch. Jeden-
falls: Wieder mal ein Dichter jemacht, er kann uns
höchstens noch gestohlen bleiben.

Trust

Aus der Werkstatt der
Presse

Parität

„Zuerst ging er nach Wien, der Heimat
seines Vaters, um dort an der Quelle der
väterlichen Erfolge zu lernen, dann wandte
er sich nach Paris, wo er sich lange aufge-
halten hat. Auch London hat er kennen ge-
lernt und kam nach seines älteren Bruders
frühem Tode als gewandter, welterfahrener
und sprachenkundiger Mann nach Berlin zurück.

Im Stile des Vaters wurdeweitergewirkt - .“

„ E r “ war kein Maler oder Bildhauer, sondern
nur der vor wenigen Tagen verstorbene Konditor
Kranzler. Aber der Verfasser des ihm gewidmeten
„warmen“ Nachrufs bleibt: Ferdinand Runkel.

Aus einem anderen Nekrolog

ln diesem Bemühen, das Wesen, die Quer-
summe des geistigen Gehalts der Kämpfe und
Sorgen unserer Zeit auszusprechen, den natür-
Iichen Adel zu erfassen, der das Gemütsleben
der Massen beseligt oder wenigstens beseligen
sollte — in dem Streben zu zeigen, wie die
einfachsten Verrichtungen des Lebens geheiligt
werden, wenn ihnen die Beziehung auf das
Ewige nicht abhanden kommt, berührt er sich
stellenweise mit dem zweiten Toten des Tages,
mit Spielhagen. Cas

Mit einfachen Verrichtungen, ob auch das Leben
damit das Weltall in Rotation hält, begnügt sich der
Journalismus ungern.

Und warum müssen auch gleich zwei Grosse an
einem Tage sterben ? Uhde und — Spie'hagen?

Der undankbare Reinhardt

Der Verfasser „der Bekenntnisse eines Barbaren“
war auch bei Carl Hauptmann eingebrochen, und da
die Grössen unserer Literatur im Schweigen Enthalt-
samkeit nicht üben können, verriet der schlesische
Dichter die Welt an ein Versprechen. Er drängte ihr
die Erwartung von grossen Werken auf, die er
und sein Bruder Gerhart noch schaffen wollen, er
betrog sie um Hoffnungen, die sie sich niemals gemacht
hatte.

Zwei fünfaktige Dramen mit Prolog und Epilog
sind stofflich allerdings ein grosses Werk, aber man
muss darum nicht befürchten, dass „ d e r
Regisseur noch nicht geboren ist,
der es auf die Bühne bringt.“ Doch nicht genug
daran, dass der Regisseur, der den „Napoleon“, d e n
ersten seiner Art, inszenieren kann, noch
nicht lebt, muss auch noch „der Autor ganz
oder beinahe totsein, damit seine Trilogien
oder Dilogien aufgeführt werden. Wirhaben es
an Schiller erlebt. Björnson? der war ein
Ausländer, und das ist ganz etwas anderes.“

So müssen wir es auch noch erleben: dass Carl
Hauptmann Schillers Schicksal teilt. Sollten Reinhardts
Energie und Können nicht mehr zureichen? Sollen
wir den Entbindungsjammer eines Regisseurs, der erst
für Hauptmann geboren werden muss, hilflos über uns
ergehen lassen? Vor wenigen Wochen war es Carl
Hauptmann selbst, der Reinhardt einen
K a i s e r und Felix Holländer seinen Bismark
nannte* . . saririsO sib bnu tsisdßD «sO

Hinterindisches aus Wien

[Der deutsche Kronprinz.J Aus Berlin
wird uns berichtet: Der deutsche Kronprinz
soll, wie verlautet, nach der Rückkehr von
seiner Reise zum Kommandanten des 1. Leib-
' husarenregiments in Langfuhr bei Danzig, der
sogenannten „Schwarzen Husaren,“ ernannt
werden. Er wird vorgelesen. Der Mann ist,
wie gesagt, anscheinend geistesgestört.

Das ist der Witz der Neuen Freien PresSe. Tiefer
geht er nicht.

W. VI IX üiilii J- A»Vl
 
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