Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0278
DOI Heft:
Nr. 34 (Oktober 1910)
DOI Artikel:Adler, Joseph: Reminiszenzen
DOI Artikel:Friedlaender, Salomo: Mechthildis
DOI Artikel:Beachtenswerte Bücher und Tonwerke / Wochenspielplan der Berliner Theater
DOI Seite / Zitierlink:https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0278
Reminiszenzen
Die Üb3r\e’08ncbn
In den Berichtcn der Wiencr Bllätter über dic
Beerdigung Kainzens stand zu lesen, daß der An-
blick des Leichenvvagens „den Frauen die schim-
mcrndcn Tränen in die Augen trieb und die Männer
in Ergriffenheit versetzte“. Aber nicht alles, was
Zeuge des Begräbnisses war, zeigte Rührung uud
Trauer. So zum Beispiel', wie der Reporter des
Neuen Wiener Tagbi'atts erzählt, blieben die Durch-
führungen der polizeilichen Maßnahmen, so nahe
sie auch dem Kondukt standen, unersChütterl'ich.
Es kfingt fast unglaublich: „Vor der Schottenkirche
waren außerordentüche Sicherheitsmaßnahmen ge-
troffen, um a'l'izu großes Oedränge zu vermeiden.
Der Pofizeibezirksleiter der Innern Stadt, Regie-
rungsrat Doleisch, hatte persönlich die k 1 a g 1 o s e
Durchführung der einheitlich getroffenen Vorkeh-
rungen getroffen.“
Würde die Pofizei in Wien gegen jeden ein-
schreiten, der in der Lotterarena der käuffichen
Oeffentlichkeit in frechen Posen geistig schauturnt,
sie liätte Heinridh GfüCksmann am offenen Grabe
seines großen Freundes MaufsChellen anlegen müs-
sen. Er verewigte sein Buhfen um den Beifall der
Reporter und der Zeitungsfeser in einem „w a r m -
empfundenen“ NaChruf: „Hineingewach-
sen und hineingeboren in eine Zeit, die ihre
Tafente und schaffenden Geister auseinanderstreben
u n d w i r k e n I i e ß , hast du mit der Gewalt
des Geistes ein Zief gezeigt und dazu den Weg
gebaut, ihn afs Erster und Größter besChreitend
und bis ans Ende gehend, eine Feuersäule, der
die Begeisterung der Jugend nadistürmte, deren
Leuchtkraft aber auch in alle jugendlichen
Freudeaufschwung strahlte.“
Noeh eine Elegie
Da ist doCh Fritz Engef ein anderer Kerl. Er
wendet siCh im Ufk mit einer selbstgefälligen Elegie
auf den Tod eines berühmfen JüngEngs unmittelbar
an das Pubfikum. Er tröstet es über das allzu frühe
Hinscheiden des Hefden der jüngsten Georg Her-
mannschan Romanarbeit, die vor kurzem ersChienen
ist, indem er unzweideutig von dem ReCht singt,
das die überfebende Reklame behält.
„Fahr’ denn Wohl, du Trauter meiner Seele,
Eingewiegt von uns’ren Segnungen,
Schlummre ruhig in der Grabeshöhle
Bis wir feiern einst Begegnungen:
Nicht in Welten, wie die Weisen träumen,
Nicht in Himmeln Wie die Dichter reimen —
Nein, o nein, du kleener Unglücksrabe,
Aber in der Buchausgabe.
Aus der Efegie wird mir bekannt, daß Emil
Kubinke ein Friseurgehilfe war, der drei Bräute
besaß, unter einer Afimentenklage litt und siCh
schfießlich selbstmordete. Und er sprach: „Wie
ist das Leben mieß!“ Und Fritz Engel reimt
prompt: „Und der Parzen Faden riß“. Mit schwerer
Mühe sucht er die reinen Reime und findet sie nicht,
aber mit leichtem Gewissen besChmutzt er frech
ein ernstgewofltes GediCht.
Aber dessenungeaChtet verdient Fritz Engef für
die Fußnote zu seinem GediCht, „der Name des
Jünglings war Ernil Kuhinke, Fr. SChiller“, einen
Fußtritt.
Berliner Theaterkritik
Mit Lg. zeichnet ein Musik-, mit M. L. ein
Theaterkritiker in UflsteinsChen Diensten.
Lg. sChrieb zur hündertsten Aufführung von
„TosCa“: „FreifiCh, die Berliner Tosca i s t a u f
d i e b e i d e n Augen d e r L a b i a g e s t e f 11.
In so gfänzender Darstellung wirkt die Gestalt fast
Überzeugend.“ Zuvor aber sagt er, daß sefbst ein
festgesChmiedetes ästhetisches Rüstzeug nicht Stand
hafte Vor der Wirkung eines gesdhlCkt aufgebauten
musikafisch dramatischen K u n s t w e r k e s. Doch:
„Die Berfiner Tosca ist auf die beiden Augen der
Labia gestefit“, das ist lusztig, wenn aucli die
Vorsteflung, daß etwas auf die sChönen Augen der
Labia gestefit ist, schmerzhaft sein mag.
M. L. hinwider beriditet in einer Kritik über
die Aufführung yon „Ueber unsere Kraft“ am Neuen
Vofkstheater: „Die Kinder Sangs lagen in den
Händen von Otto Montua und Annafiese Wagner.
So bringt iM. L. in den toten SChematismus der
landesüblichen, altbewährten und beliebten Kritiken
L o e b en.
J. A.
Mechtbildis
Von Mynona
Mechthifdis, ein Mädchen von lockeren Sitten,
begab siCh auf die Straße, um Unterhaft und Unter-
haftung zu suchen. Sie trug einen jovial aus-
sehenden Regenschirm; ihre Absätze waren schef-
misch. Mit Schnaps irn Magen und sündiger Fröh-
liChkeit im Herzen hiusterte sie die vorübergehenden
Mannslcute. Ihr war es eigentlich gleich, aber sie
währte den Schein. Ein Herr mit 'büauer Brille
und einer gewissen füsternen Energie erregte die
Aufmerksamkeit dieses zarten Kindes, und man kann
sich denken, wie h'ocherfreut es war, als er es
wirkfich anspraCh. Er ging mit aüf das Zimmer
der MeChthifdis. Ein blaues stummes Kabinett, ganz
gfeichgültig brannte eine Lampe. „Mechthildis“,
sagte die blaue Brille und funkelte yollkommen
hoChmütig, „sei verffucht! Um so mehr als —“
darnit braCh er ab. Als sie sich nun beide hoch-
aufatmend wieder gegenüberstanden, faChte Mech-
thifdis mit einem Mal sehr beleidigend. Der Herr
spürte das heraus und setzte siCh, denn er war
jetzt zu müde, um BelCidigungen stehend zu ver-
tragen. „Mechthifdis“, sagte der Herr mit leiser
wehmütiger Stimme, „was zwisChen uns sich er-
eignet hat, bereChtigt dich keineswegs, heraus-
forclernd gegen miCh zu werden“. Danach gab
er dem Weib ein Gofdstück. Im selben Moment
ffaCkte die Lampe auf, die bis dahin teilnahmlos
wie ein Mensch gewesen war, und erfosch. Wir
alle haben es schon an uns erfahren, daß Finster-
nis die Ehrfichkeit in Gesellschaft begünstigt. So
geschah es auch hier. Mechthifdis, bis jetzt so
sanft wie ein Faß Pufver, das kalt steht, explodierte,
weif es niemand sah. Sie puffte den Zylinder des
Herrn und spie hinein. Sie zersChlüg die Brille
des Herrn auf seinem Antfitz. Sie kratzte siCh selbst
bfutig. Sie brüllte wie ein sterbendes Ferkel.
Kurzum, sie benahrn sich ohne ersichtfichen Grund
— überdies war es finster — so ungebärdig, daß
der Herr endfich die Geduld verlor. Nicht als ob
der Herr sich irgendwie gewehrt hätte! Aber er
sudhte ihr mit eindringlichen Worten deutlich zu
machen, daß ihr Benehmen Mängef aufwiese, unter
denen er fitte. Leider sChien es in Mechthildens
Interesse zu fiegen, diese von edler sittlidher Strenge
Zeugnis abfegenden Worte zu überhören. „Zünde“,
sagte sie endfich, „lieber die Lampe an, du Lackl!“
Als sie wieder auf die Straße gingen, stieß ihn
Meühthifdis in die Seite! „Schatz, du nimmst es
mir doCh nicht übef?“ Der Schatz gab ih'r sogar
einen Kuß. Djese Dinge sind eben niCht so schnur-
grade zu motivieren. Sie gehören in eine Geschichte
der seefisChen Ueberwältigungcn. Zwischen Mech-
thilüis und dem Herrn, der kurz zuvor noch eine
tadeflose blaue Brilie getragen hatte, war unter den
prosaisühsten Umständen jene Intimität vlor sich
gegangen, wefche die poetischsten verlangt. Man
soflte siüh' also üiber die ungewöhnlichen Wirkungen
ihres tZusa!mmensei,ns jniclht wundern.
Beachtenswerte Bücher und Tonwerke
Ausftlhrliche Besprechnng- vorbehalten
Rücksendung 1 findet in keinem Fall statt
EMILE VERHAEREN
Dramen: Das Kloster
Leipzig Inselverlag
GABRYELA ZAPOLSKA
Wovon man nicht spricht / Roman
Berlin Oesterheld & Co. Verlag
SAMUEL LUBLINSKI
Das werdende Dogma vom Leben Jesu
Zweiter Band des Werkes. Der
urchristliche Erdkreis und sein
Mythos
Jena Eugen Diederichs
HERMANN WAGNER
Die rote Flamme / Novellen
Verlag Georg Müller Miinchen
Shakespeare in deutscher Sprache
Herausgegeben und zum Teil neu übersetzt Von
Friedrich Gundolf / Gesamte Ausstattung
Von Melchior Lechter / Fünfter Band-'
König Heinrich der Sechste / Zweiter und dritter
Teil: König Richard der Dritte
Verantwortlich für die Schriftleitung:
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE
Verantwortlich ftir die Schriftleitung: in Oesterrelch - Untrarn •
I. V.: O.skar Kokoschka
Wochen-Spielplan der Berlmcr Theater
Oktober
Dienstag
18.
Mittwoch
19.
Donnerstag
20.
Freitag
21.
Sonnabend
22.
Sonntag
23.
Montag
24.
Theater mit gleichbleibendem
Spielplan:
Deutsches Theater
Schumannstrasse 13 a
Das
Wintermärchen
Judith
Sumurün
Don Carlos
Ein Sommer-
nachstraum
Don Carlos
Sumurün
Berliner Theater
Charlottenstr. 93
Die thörichte Jungfrau
Kammerspiele
Schumannstrasse 14
Der Graf von
Gleichen
Heirat wider
Willen / Komödie
der Irrungen
Gyges
und sein Eing
Heirat wider
Willen / Komödie
der Irrungen
Der Arzt
am Scheidewege
Heirat wider
Willen / -Komödie
der Irrungen
Gawän
nr j . Die beste der Frauen
Modernes Theater ab Doüner3tag:
Kömggrätzerstr. 57| 58 Dgr Mo,och
Lessingtheater
Friedrich Karlufer 1
Einsame
Menschen
Wenn der junge
Wein blüht
Wenn der junge
Wein blüht
Das Konzert
Wenn der junge
Wein blüht
Wenn der junge
Wein blüht
Einsame
Menschen
Neues Theater
Scbiffbauerdamm 4a|5
Der Stier von Olivera
Komische Oper
Friedrichstr. 104|104a
Die Boheme
Der Arzt wider
Willen.
Die Boheme
Hoffmanns
Erzählungen
Die Bohbme
Die Bokeme
Tiefland
Residenztheater
Blumenstr. 9a
Noblesse oblige
Neues königliches
Operntheater
Königsplatz 7
Sinfonie- Konzert
Eomeo
und Julia
Samson
und Dalila
Eegiments-
tochter
Puppenfee
Tristan
und Isolde
MadameButterfly
Gastspiel Caraso:
Carmen
Trianontheater
Pr. Friedr. Karlstr. 7
Pariser Witwen
Neues
Schauspielhans
Nollendorfstrasse 11112
Gastspiel Triesch
Jungfrau von
Orleans
Gastspiel Triesch
Jungfrau von
Orleans
Gastspiel Triesch
Jungfrau von
Orleans
Der Tartüff
Der Herr von
Pourceaugnac
Gastspiel Triesch
Jungfrau von
Orleans
Gastspiel Triescb
Jungfrau von
Orleans
Der Tartüff
Der Herr von
Pourcenugnac
Neues
Operettentheater
Schiff Bauerdamm 25
Der Graf von Luxemburg
Kleines Theater
Unter den Linden 44
Die Zensur
Der Liebestrank
Die Zensur
Der Liebestrank
Erster Klasse
Die verflixten
Prauenzimmer
Erster Klasse
Die verflixten
Frauenzimmer
Die Zensur
Der Liebestrank
Erster Klasse
Die verflixten
Frauenzimmer
Die Zensur
Der Liebestrank
Theater des
Westens
Kantstrasse 12
Die schönste Frau
Königliches
Schauspielhans
Gensdarmenmarkt
Unhestimmt
Der Krampus
Prinz Priedrich
von Homburg
Der Krampus
Colberg
Der Krampus
Moliere und die
Seinen/Tartiiff
3Ietropoltlieater
Behrenstrasse 55|5t>
Hurrah — Wir leben noch!
Die Üb3r\e’08ncbn
In den Berichtcn der Wiencr Bllätter über dic
Beerdigung Kainzens stand zu lesen, daß der An-
blick des Leichenvvagens „den Frauen die schim-
mcrndcn Tränen in die Augen trieb und die Männer
in Ergriffenheit versetzte“. Aber nicht alles, was
Zeuge des Begräbnisses war, zeigte Rührung uud
Trauer. So zum Beispiel', wie der Reporter des
Neuen Wiener Tagbi'atts erzählt, blieben die Durch-
führungen der polizeilichen Maßnahmen, so nahe
sie auch dem Kondukt standen, unersChütterl'ich.
Es kfingt fast unglaublich: „Vor der Schottenkirche
waren außerordentüche Sicherheitsmaßnahmen ge-
troffen, um a'l'izu großes Oedränge zu vermeiden.
Der Pofizeibezirksleiter der Innern Stadt, Regie-
rungsrat Doleisch, hatte persönlich die k 1 a g 1 o s e
Durchführung der einheitlich getroffenen Vorkeh-
rungen getroffen.“
Würde die Pofizei in Wien gegen jeden ein-
schreiten, der in der Lotterarena der käuffichen
Oeffentlichkeit in frechen Posen geistig schauturnt,
sie liätte Heinridh GfüCksmann am offenen Grabe
seines großen Freundes MaufsChellen anlegen müs-
sen. Er verewigte sein Buhfen um den Beifall der
Reporter und der Zeitungsfeser in einem „w a r m -
empfundenen“ NaChruf: „Hineingewach-
sen und hineingeboren in eine Zeit, die ihre
Tafente und schaffenden Geister auseinanderstreben
u n d w i r k e n I i e ß , hast du mit der Gewalt
des Geistes ein Zief gezeigt und dazu den Weg
gebaut, ihn afs Erster und Größter besChreitend
und bis ans Ende gehend, eine Feuersäule, der
die Begeisterung der Jugend nadistürmte, deren
Leuchtkraft aber auch in alle jugendlichen
Freudeaufschwung strahlte.“
Noeh eine Elegie
Da ist doCh Fritz Engef ein anderer Kerl. Er
wendet siCh im Ufk mit einer selbstgefälligen Elegie
auf den Tod eines berühmfen JüngEngs unmittelbar
an das Pubfikum. Er tröstet es über das allzu frühe
Hinscheiden des Hefden der jüngsten Georg Her-
mannschan Romanarbeit, die vor kurzem ersChienen
ist, indem er unzweideutig von dem ReCht singt,
das die überfebende Reklame behält.
„Fahr’ denn Wohl, du Trauter meiner Seele,
Eingewiegt von uns’ren Segnungen,
Schlummre ruhig in der Grabeshöhle
Bis wir feiern einst Begegnungen:
Nicht in Welten, wie die Weisen träumen,
Nicht in Himmeln Wie die Dichter reimen —
Nein, o nein, du kleener Unglücksrabe,
Aber in der Buchausgabe.
Aus der Efegie wird mir bekannt, daß Emil
Kubinke ein Friseurgehilfe war, der drei Bräute
besaß, unter einer Afimentenklage litt und siCh
schfießlich selbstmordete. Und er sprach: „Wie
ist das Leben mieß!“ Und Fritz Engel reimt
prompt: „Und der Parzen Faden riß“. Mit schwerer
Mühe sucht er die reinen Reime und findet sie nicht,
aber mit leichtem Gewissen besChmutzt er frech
ein ernstgewofltes GediCht.
Aber dessenungeaChtet verdient Fritz Engef für
die Fußnote zu seinem GediCht, „der Name des
Jünglings war Ernil Kuhinke, Fr. SChiller“, einen
Fußtritt.
Berliner Theaterkritik
Mit Lg. zeichnet ein Musik-, mit M. L. ein
Theaterkritiker in UflsteinsChen Diensten.
Lg. sChrieb zur hündertsten Aufführung von
„TosCa“: „FreifiCh, die Berliner Tosca i s t a u f
d i e b e i d e n Augen d e r L a b i a g e s t e f 11.
In so gfänzender Darstellung wirkt die Gestalt fast
Überzeugend.“ Zuvor aber sagt er, daß sefbst ein
festgesChmiedetes ästhetisches Rüstzeug nicht Stand
hafte Vor der Wirkung eines gesdhlCkt aufgebauten
musikafisch dramatischen K u n s t w e r k e s. Doch:
„Die Berfiner Tosca ist auf die beiden Augen der
Labia gestefit“, das ist lusztig, wenn aucli die
Vorsteflung, daß etwas auf die sChönen Augen der
Labia gestefit ist, schmerzhaft sein mag.
M. L. hinwider beriditet in einer Kritik über
die Aufführung yon „Ueber unsere Kraft“ am Neuen
Vofkstheater: „Die Kinder Sangs lagen in den
Händen von Otto Montua und Annafiese Wagner.
So bringt iM. L. in den toten SChematismus der
landesüblichen, altbewährten und beliebten Kritiken
L o e b en.
J. A.
Mechtbildis
Von Mynona
Mechthifdis, ein Mädchen von lockeren Sitten,
begab siCh auf die Straße, um Unterhaft und Unter-
haftung zu suchen. Sie trug einen jovial aus-
sehenden Regenschirm; ihre Absätze waren schef-
misch. Mit Schnaps irn Magen und sündiger Fröh-
liChkeit im Herzen hiusterte sie die vorübergehenden
Mannslcute. Ihr war es eigentlich gleich, aber sie
währte den Schein. Ein Herr mit 'büauer Brille
und einer gewissen füsternen Energie erregte die
Aufmerksamkeit dieses zarten Kindes, und man kann
sich denken, wie h'ocherfreut es war, als er es
wirkfich anspraCh. Er ging mit aüf das Zimmer
der MeChthifdis. Ein blaues stummes Kabinett, ganz
gfeichgültig brannte eine Lampe. „Mechthildis“,
sagte die blaue Brille und funkelte yollkommen
hoChmütig, „sei verffucht! Um so mehr als —“
darnit braCh er ab. Als sie sich nun beide hoch-
aufatmend wieder gegenüberstanden, faChte Mech-
thifdis mit einem Mal sehr beleidigend. Der Herr
spürte das heraus und setzte siCh, denn er war
jetzt zu müde, um BelCidigungen stehend zu ver-
tragen. „Mechthifdis“, sagte der Herr mit leiser
wehmütiger Stimme, „was zwisChen uns sich er-
eignet hat, bereChtigt dich keineswegs, heraus-
forclernd gegen miCh zu werden“. Danach gab
er dem Weib ein Gofdstück. Im selben Moment
ffaCkte die Lampe auf, die bis dahin teilnahmlos
wie ein Mensch gewesen war, und erfosch. Wir
alle haben es schon an uns erfahren, daß Finster-
nis die Ehrfichkeit in Gesellschaft begünstigt. So
geschah es auch hier. Mechthifdis, bis jetzt so
sanft wie ein Faß Pufver, das kalt steht, explodierte,
weif es niemand sah. Sie puffte den Zylinder des
Herrn und spie hinein. Sie zersChlüg die Brille
des Herrn auf seinem Antfitz. Sie kratzte siCh selbst
bfutig. Sie brüllte wie ein sterbendes Ferkel.
Kurzum, sie benahrn sich ohne ersichtfichen Grund
— überdies war es finster — so ungebärdig, daß
der Herr endfich die Geduld verlor. Nicht als ob
der Herr sich irgendwie gewehrt hätte! Aber er
sudhte ihr mit eindringlichen Worten deutlich zu
machen, daß ihr Benehmen Mängef aufwiese, unter
denen er fitte. Leider sChien es in Mechthildens
Interesse zu fiegen, diese von edler sittlidher Strenge
Zeugnis abfegenden Worte zu überhören. „Zünde“,
sagte sie endfich, „lieber die Lampe an, du Lackl!“
Als sie wieder auf die Straße gingen, stieß ihn
Meühthifdis in die Seite! „Schatz, du nimmst es
mir doCh nicht übef?“ Der Schatz gab ih'r sogar
einen Kuß. Djese Dinge sind eben niCht so schnur-
grade zu motivieren. Sie gehören in eine Geschichte
der seefisChen Ueberwältigungcn. Zwischen Mech-
thilüis und dem Herrn, der kurz zuvor noch eine
tadeflose blaue Brilie getragen hatte, war unter den
prosaisühsten Umständen jene Intimität vlor sich
gegangen, wefche die poetischsten verlangt. Man
soflte siüh' also üiber die ungewöhnlichen Wirkungen
ihres tZusa!mmensei,ns jniclht wundern.
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EMILE VERHAEREN
Dramen: Das Kloster
Leipzig Inselverlag
GABRYELA ZAPOLSKA
Wovon man nicht spricht / Roman
Berlin Oesterheld & Co. Verlag
SAMUEL LUBLINSKI
Das werdende Dogma vom Leben Jesu
Zweiter Band des Werkes. Der
urchristliche Erdkreis und sein
Mythos
Jena Eugen Diederichs
HERMANN WAGNER
Die rote Flamme / Novellen
Verlag Georg Müller Miinchen
Shakespeare in deutscher Sprache
Herausgegeben und zum Teil neu übersetzt Von
Friedrich Gundolf / Gesamte Ausstattung
Von Melchior Lechter / Fünfter Band-'
König Heinrich der Sechste / Zweiter und dritter
Teil: König Richard der Dritte
Verantwortlich für die Schriftleitung:
HERWARTH WALDEN / BERLIN-HALENSEE
Verantwortlich ftir die Schriftleitung: in Oesterrelch - Untrarn •
I. V.: O.skar Kokoschka
Wochen-Spielplan der Berlmcr Theater
Oktober
Dienstag
18.
Mittwoch
19.
Donnerstag
20.
Freitag
21.
Sonnabend
22.
Sonntag
23.
Montag
24.
Theater mit gleichbleibendem
Spielplan:
Deutsches Theater
Schumannstrasse 13 a
Das
Wintermärchen
Judith
Sumurün
Don Carlos
Ein Sommer-
nachstraum
Don Carlos
Sumurün
Berliner Theater
Charlottenstr. 93
Die thörichte Jungfrau
Kammerspiele
Schumannstrasse 14
Der Graf von
Gleichen
Heirat wider
Willen / Komödie
der Irrungen
Gyges
und sein Eing
Heirat wider
Willen / Komödie
der Irrungen
Der Arzt
am Scheidewege
Heirat wider
Willen / -Komödie
der Irrungen
Gawän
nr j . Die beste der Frauen
Modernes Theater ab Doüner3tag:
Kömggrätzerstr. 57| 58 Dgr Mo,och
Lessingtheater
Friedrich Karlufer 1
Einsame
Menschen
Wenn der junge
Wein blüht
Wenn der junge
Wein blüht
Das Konzert
Wenn der junge
Wein blüht
Wenn der junge
Wein blüht
Einsame
Menschen
Neues Theater
Scbiffbauerdamm 4a|5
Der Stier von Olivera
Komische Oper
Friedrichstr. 104|104a
Die Boheme
Der Arzt wider
Willen.
Die Boheme
Hoffmanns
Erzählungen
Die Bohbme
Die Bokeme
Tiefland
Residenztheater
Blumenstr. 9a
Noblesse oblige
Neues königliches
Operntheater
Königsplatz 7
Sinfonie- Konzert
Eomeo
und Julia
Samson
und Dalila
Eegiments-
tochter
Puppenfee
Tristan
und Isolde
MadameButterfly
Gastspiel Caraso:
Carmen
Trianontheater
Pr. Friedr. Karlstr. 7
Pariser Witwen
Neues
Schauspielhans
Nollendorfstrasse 11112
Gastspiel Triesch
Jungfrau von
Orleans
Gastspiel Triesch
Jungfrau von
Orleans
Gastspiel Triesch
Jungfrau von
Orleans
Der Tartüff
Der Herr von
Pourceaugnac
Gastspiel Triesch
Jungfrau von
Orleans
Gastspiel Triescb
Jungfrau von
Orleans
Der Tartüff
Der Herr von
Pourcenugnac
Neues
Operettentheater
Schiff Bauerdamm 25
Der Graf von Luxemburg
Kleines Theater
Unter den Linden 44
Die Zensur
Der Liebestrank
Die Zensur
Der Liebestrank
Erster Klasse
Die verflixten
Prauenzimmer
Erster Klasse
Die verflixten
Frauenzimmer
Die Zensur
Der Liebestrank
Erster Klasse
Die verflixten
Frauenzimmer
Die Zensur
Der Liebestrank
Theater des
Westens
Kantstrasse 12
Die schönste Frau
Königliches
Schauspielhans
Gensdarmenmarkt
Unhestimmt
Der Krampus
Prinz Priedrich
von Homburg
Der Krampus
Colberg
Der Krampus
Moliere und die
Seinen/Tartiiff
3Ietropoltlieater
Behrenstrasse 55|5t>
Hurrah — Wir leben noch!