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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 1.1910-1911

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Nr. 29 (September 1910)
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Kraus, Karl: Vom Lynchen und vom Boxen
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Walden, Herwarth: Die Letzten
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https://doi.org/10.11588/diglit.31770#0236

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r.

E s' m acht ih n <i u rehauss vergniigt/
dass es schon Lätare ist

Arno Holz

kniipfen wollten, als Erster den Strick in die Hand
nehmen. Meine lieben Freunde und Nachbarn erklärten
diesen meinen Wunsch für durchaus berechtigt und
legten mir kein Hindernis in den Weg. Aber ich
glaube, daß der Neger schon vor Angst tot war, als
ich mit einem starken Zug ihn in die Luft hinauf-
beförderte. Er bewegte sich nicht mehr und zappelte
nicht mehr mit den Gliedern; von dem Augenblick,
in welchem er höchgezogen wurde, zuckte kein Muskel
seines Körpers mehr.“

Aber äudi bis dahin wurde nichts unterlässcn,
w'aB dcr Philantrop vorzukehren hat, wcnn es gilt,
dcm Schwachen beizustehcn:

„Bevor ich noch den Strick in Bewegung setzen
konnte, mußte ich den Neger stützen, denn die Beine
zitterten ihm so, daß er nicht stehen konnte.“

Ein Akt christhcher Nächstenliebe, der um so
größere Anerkennung verdient, als gerade bei Lyn-
c'hungen sonst fast durChwegs etwas rücksichts-
1'oS verfahren wird. Der Verfasser der Erklärung
ist ein Steuererheber nämens Miller, dessen Bruder
nämfich, ein Polizeibeamter, Vom Neger Curl ge-
tötet wurde. AuCh für diese Tötung wird ein Qrund
angegeben. Der Polizeibeamte wollte den Neger
Curl' verhaften. Aber auch dafür wird ein Qrund
angegeben: „weit Curl an eine weiße Frau einen
bel'eidigenden [Brief geschrieben hatte“. Ob auch
dieses Vorgehen einen Qrund hätte und ob etwä
der Brief eine Äntwort auf «inen schmeichelhaften
Brief war, häben wir nicht erfahren. Aber bäld
darauf wurden tausend Neger gelyncht, und der
Orund, hieß; es, war ein Sieg im Boxen, den jein
Neger über einen Weißen errungen hätte. Viei-
läicht war aber dieser Qrund nur ein Vorwand, und
vielleicht lag bloß die Gefahr nahe, daß tauslend
Neger an zehntausend weiße Frauen beleidigende
Breife sdhreiben könnten. Die verläßliche Schere
des Neuen Wjiener Journals hat uns darüber mit
einer Schilderung vom Negerhaß in Amerika be-
ruhigt, in der «s! hieß:

„Der Schwarze ist in den Augen des Amerikaners
eben nun einmal kein richtiger Mensch. Die ameri-
kanische Dame, die sonst an Prüderie mit ihren
Stammesgenossinnen in der ganzen Weit es reichlich
aufnimmt, kleidet sich in Anwesenheit eines Negers
ruhig an öder aus, und wenn die erstaunte europäische
Freundin sie darob zur Rede stellt, so antwortet sie
kaltblütig: „Der Nigger ist doch kein Mann!“

Sehr richtig! Aber die europäische Freundin
soll nur nicht so erstaunt tun. Auch sie würde
sich, wenn ein Somali-Dorf in die Nähe kbmtmt
oder bei Sonst einer besonderen ethnographisChen
Geiegenhcit, in Anvvescnheit eines Negers ruhig
an- oder auskfeiden. Denn ob der Nigger kein Mann
ist, daVon möchten siCh alfe, die Weiber sind, gern
überzeugen. Und weif daS ihre Männer fühlen,
darum werden Sjie die Nigger vom Erclboden weg-
fynChen, bis' diesen kein Muskel mehr zuckt. Ban-
kiers !, Advokaten, Landwirte und Kauffeute ünd alle
wahrhaft Vornehmen Menschen werden sich än
dies'er LynChüng beteifigen. Und werden dann sagen,
daß Slie doch besser boxen können. Und nur einen
Champion werden sie nicht besiegen: den Neger
der weibfichen Phantasie. Denn den hat den Weibern
diie Natur ältej Entschädigung für den reellen Ch'risteln
gegönnt.

Aus der Zeitschrift Die Fackel

Die Letzten

Viel'e Leute ärgern sich über subjektive Theater-
kritik. Dagegen wäre; nichtsl einzuwenden, wenn
es eine objektive gäbe. Jedenfafls: das, was dem
Pubfikum in der Tagespresse über Theater erzählt
wird, ist weder sübjektiv noch objektiv, es ist ein-
fach befanglos'. Es bleibt mir unbegreiflich, warum
es den Theaterbesucher interessiert, zu wissen, wie
eine Vorstellung irgend jemandem gefallen hät, für
dessen Quafität weiter nichts als die Tatsaclie
spricht, daß irgend jemänd von einem Verleger
anges'teflt wurde. Und jedesmal setzt es mich
Wiieder in Ers'taunen, daß diese Herrein, die
Kritiken sChreiben, nicht einmaf in der Lage
siind, einen Eindruck reaf festzustellen. Es fehlt
ihnen sogar die Fähigkeit, die reine ä u ß e r e
Wirkung zu empfinden. Was! können nun solChe
MensChen über ein Kunstwerk urteilen, deren Sen-
sibifität nicht einmäl hjnreicht, die Wirküng auf ih're
Mithörer objektiv nachzufühlen. In dicser Hinsidit

wurde wiieder Erstaunliches bei der Bcsprechung
gefeistet, mit der die Uraufführung des Dramas
„Diie Letzten“ Von Maxim Gorki in den Kam-
m e r s p ii efe n bedacht würde. Allerdings liegt der
Faff geräde in diesiem Theater kompliziert. Aeußere
Beifallskundgebungen finden nie statt. Das Publi-
kulm kommt Sjch hier ungeheuer feierlich vor und
verhindert Fremdlinge sbfort an dem VersüCh 1, sich 1
durCh HiändekfatsÜhen Von einer Erregung zu be-
freien. Die Uraufführungen werden stets von den-
selben Herren besucht, und trotzdem liest man in
jeder Kritik wieder von den „schwachen AnsätzCn
ZUm Beifafl“. Es| hat siCh wiederholt ereignct, daß
daS Pubfikum einstimmig begeistert wär und die
PreSse feststeflte, die Aufführung wäre glatt äb-
gefehnt worden. Nun ist es ! selbtetverständlidi für
den Wert der künStferischen Leistung, sowie für
ihre Beurteilüng Völlig gleiChgültig, ob und wie
ein äußerer Erfofg eintrat. Stellt män slolche Dinge
aber feSt, so fordert der nonnalc Anstand, die Tat-
SaChe nicht zu entstetlen. Ich für mein Teil ver-
zichte daräuf mit Vergnügen. Denn die Verwörren-
heit unserer gesamten KunstzustäUde bCruht äuf
der ungfüCklichen Verquickung zwischcn der Wahr-
heit des Lebens und der Kunst. Abgcsehen davon,
daß etel eine Wahrheit des Lebens überhäupt nicht
gibt. Wohf aber eine Wahrheit der KunSt.

Man muß immer wieder den bekännten Satz
wiederhofen, daß eine noch So natürliCHe Sache

in der Kunst noch länge nicht natürlich’ wirkt. Und
für die Kunst ist die Wirkung nun einmaf das Ent-
sCheidende. Was hat man niCht über diesen neuen
Gorki wieder aflesi lesen müssen. Die Schlagworte
von Naturafismus, von unerquicklichen und düsteren
Schilderungen, von dem Recht der MensChheit auf
Frohsinn, von dem schweren Ernst des Lebens,
der dete Abends zu heiteren Stunden geradezu be-
reChtigt. SelbtetVerständlich: die Besucher der Katn-
merSpiefe, die den halben Tag über Briefe unter-
schreiben, Tennis spiefen und sidh' den Aufregungen
deS Totafisators ergeben, den anderen halben Tag
aber auf Körperkultur und „die Mahlzeiten“ ver-
wenden müte'sen, diese Herrschaften häben ein un-
anfechtbarete! Recht auf Gemütsruhe. Schfimm ge-
nug, daß die Regierenden nicht Herr der revolutio-
nären Umtriebe werden, schlimm genug, daß man
jetzt Selbst in Preußen politisch wird, schlimm ge-
nug, daß es| überhaupt soziale Zustände gibt. Doch
daS Theater sbfl man nicht damit verseuchen. Nicht
die Stimmung zum Kabaret verderben. Man febt
doch nur einmaf. Und SChließlich ist es ja bekannt,
daß Dichter mäßfos übertreiben.

Meine Freunde werden wieder empört sein,
daß iich mit aften Kunstwahrheiten um mich werfe.
Aber was hifft das alles. Man muß Dinge so lange
sägen, bis sie gehört werden. Es ist natürfiCh für
den Wert einesi Kunstwerks völlig gleichgültig, ob
die Zustände in Rußländ zufriedenstellend oder

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